Duisburg. Die meisten Duisburger blicken pessimistisch auf die Entwicklung ihrer Stadt nach dem Loveparade-Unglück und der Abwahl Adolf Sauerlands.
Die Frage nach dem Neuanfang ist so alt wie der „Neuanfang“ aus dem Jahr 2012 selber, nämlich drei Jahre. Diese Frage ist ein fester Bestandteil von Meinungsumfragen in und über die gebeutelte Industriestadt Duisburg – und sie ist somit natürlich im Fragenkatalog des aktuellen NRZ-Bürgerbarometers 2015 eine wichtige Position. Eine Frage, die aber von den Befragten des Bürgerbarometers zunehmend pessimistisch beantwortet wird: „Hat Duisburg nach der Loveparade-Katastrophe aus Ihrer Sicht einen Neuanfang geschafft?“
Die Antwort: Im Herbst 2015, fünf Jahre nach dem tödlichen Loveparade-Desaster und dem nachfolgenden Desaster des angemessenen Umgangs mit dem Ereignis ist eine Mehrheit (31%) der im Bürgerbarometer aktuell befragten Duisburger der Ansicht, dass ein Neufang in Duisburg nach der Abwahl von Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) bislang auf sich warten lässt.
Ein Viertel (25%) der Befragten sehen durchaus einen positiven Neuanfang in der Stadt, nach dem Abgang von OB Sauerland.
Stimmung vor fünf Jahren optimistischer
Das war vor fünf Jahren noch ganz anders: Der Vergleich mit der Befragung aus dem Jahr 2012, direkt nach der Abwahl von OB Sauerland, zeigt, dass vor drei Jahren die Stimmung der Duisburger Bevölkerung deutlich optimistischer war. 2012 sagten noch mehr als 50 Prozent, dass der Neustart gelungen sei und nur 18 Prozent waren gegenteiliger Ansicht.
Die Stimmung ist also ganz offenbar gekippt.
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Keine großen Abweichungen in der mehrheitlich pessimistischen Haltung gibt es im Vergleich von männlichen oder weiblichen Befragten, oder von Bewohnern des Duisburger Stadt-Nordens, Südens oder Westens. Die Befragten konnten auf einer (Schulnoten-)Skala von 1 (= stimme ich voll zu) bis 5(= stimme ich überhaupt nicht zu) ihre Meinung sagen. Besonders skeptisch zeigten sich die jüngsten Befragten (unter 20 Jahren), hier kam bei der Befragung eine Durchschnitts-Note von 3,8 heraus (befriedigend bis ausreichend), ebenso kritisch zeigte sich die Altersgruppe der 30 bis 39-Jährigen mit einer Note 3,59.
Woran es liegen kann, darüber sprachen wir mit Werner Hüsken, Krankenpfleger von Beruf, heute 63 Jahre alt und damals zusammen mit Theo Steegmann und Harald Jochums einer von drei Abwahl-Aktivisten, die der Initiative „Neuanfang für Duisburg“ ein Gesicht gaben. Was ist aus dem Anspruch gewordenen, lokale Politik, große soziale wie städtebauliche Projekte der Kommune stärker als bisher mit den Bewohnern dieser Stadt rückzukoppeln? Stichwort: Bürgerbeteiligung, oder zumindest mehr Elemente direkter Demokratie einsetzen?
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„Es gab nie einen Neuanfang in Duisburg“
Als die NRZ ihn in seinem Haus ganz oben im Norden der Stadt, auf der Stadtgrenze zu Dinslaken antrifft, um mit ihm über die Ergebnisse des neuen NRZ-Bürgerbarometers zu sprechen und über seine Hoffnungen und Erwartungen von damals an einen politischen Neuanfang in Duisburg, da wehrt er ab und sagt: „Ach was, . . . Neuanfang! Wir müssen über die Flüchtlinge in der Stadt reden.“
Denn längst hat der ehemalige unermüdliche Unterschriften-Sammler, der trotzige Wutbürger aus Walsum, der Mann, der mit seinem Mitstreiter Theo Steegmann einen Oberbürgermeister zur Verantwortung zog und damit Schlagzeilen machte und Aufmerksamkeit erregte, ein neues Thema für sich gefunden: Die Flüchtlings-Krise, lokal vor Ort.
Und was ist mit dem Neuanfang? Was ist aus den Forderungen, Erwartungen und Hoffnungen geworden, Herr Hüsken? Mehr Demokratie und weniger roter oder schwarzer Filz in der Stadt? Bürgerbeteiligung?
„Sie können daran, dass ich mich um Flüchtlinge in der Stadt kümmere, ablesen, was ich vom Neuanfang in dieser Stadt halte“, sagte er und lächelt. „Der Neuanfang in Duisburg ist gescheitert. Es gibt keinen und es gab nie einen.“
"Die Menschen sind nicht ja politikverdrossen"
Damals, als Sauerland weg war und ein neuer Mann oder neue Frau noch nicht in Sicht waren, da hätten sie die alten Zustände, die die SPD und die CDU hinterlassen haben, einfach nicht mehr akzeptieren mögen. All den roten wie schwarzen Filz, die unverschämte Postenschieberei und Selbstbedienung à la Greulich und Uwe Linsen, die rein formale Demokratie, die mit volkstümlichem Fass-Anstich und jovialen Kleingarten-Besuchen eine Bürgernähe vorgauckele, die die Politik aber dann im Alltag, wenn es um Einschätzung und Entscheidung gehe, streng vermeide.
Das sollte nach Sauerland alles besser werden. Hüsken: „Denn die Menschen sind nicht ja politikverdrossen, sie sind verdrossen wie die Parteien Politik machen.“ Die Suche nach der unverbrauchten neuen Führungsfigur - unabhängig, kompetent und kooperativ - hatte die Bürgerinitiative bekanntlich mit dem Vorschlag ihres Kandidaten Michael Rubinstein, Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde, zu beantworten versucht. Ein Vorstoß, der dann weder beim Wähler eine Mehrheit fand, noch innerhalb der Initiative auf echte Sympathie stieß.
Link „komplett ohne Visionen und ohne jedes Charisma“
Die SPD hatte dann mit Sören Link einen jungen Sozialdemokraten aus dem Parteiapparat nach vorne bugsiert. Hüsken: „Einen Neuanfang konnte man aber von ihm wirklich nicht erwarten. Er ordnet sich Zwängen unter, bewegt sich innerhalb eines festen Rahmens. Er ist nun wirklich nicht innovativ.“ Er würde nie, wie derzeit Bundeskanzlerin Merkel, mutig und selbstständig eine eigene Haltung in einer großen politischen Frage einnehmen. Und genau deswegen, weil die allgemeine Sehnsucht nach einem politischen Neuanfang in Duisburg mit einer neuen Führungsfigur „komplett ohne Visionen und ohne jedes Charisma“ beantwortet wurde, sei dann die Wahlbeteiligung ins Bodenlose gesunken: „Aber das wird von den Verantwortlichen aller Parteien einfach so hingenommen. Dabei ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass der Bürger sich nicht mehr ernst genommen fühlt.“
Hüskens kampferprobter Kollege Theo Steegmann - mit dem der Walsumer Krankenpfleger seit dem Moment der Abwahl ein grimmiges Verhältnis erlesener Abneigung pflegt – hatte in der linken Tageszeitung „taz“ Ähnliches dazu zu Protokoll gegeben: „Der Neuanfang ist gescheitert, weil Ralf Jäger ihn nicht wollte. Der Duisburger SPD-Vorsitzende war beauftragt, einen unabhängigen OB-Kandidaten zu finden. Er wollte aber keinen Unabhängigen, sondern die alte Politik nach dem Motto: Ran an die Fleischtöpfe. Deshalb hat er mit dem Kandidaten Sören Link einen Mann des Apparats aus dem Hut gezaubert.“ Der sei aber – Stichwort Wahlbeteiligung - gerade mal von einem Viertel der Duisburger, die noch zur Wahl gegangenen seien, dann mit Mehrheit gewählt worden.
Dass sich am Ende die Bürger-Initiative selber zerlegt hat, es seitdem eine Zeit lang noch zwei „Neuanfänge für Duisburg“ gab, von denen heute nur eine leblose Facebook-Seite und ein vergessener Eintrag im Vereinsregister zeugen, beweist, wie schwer es gerade für Bürgerinitiativen es ist, im politischen Kampf einen kühlen Kopf und einen langen Atem zu behalten. Auch sie selber hat den Neuanfang dann aus dem Blick verloren