Duisburg. Warum die neuen Flüchtlings-Prognosen des Bundes den Duisburger Sozialdezernent nicht überraschen und wie er ihnen begegnen will.
Vier Turnhallen hat die Stadt Duisburg zur Flüchtlingsunterkunft umgerüstet, in Walsum stehen Zelte bereit und dennoch werden die Plätze nicht ausreichen — bei weitem nicht. „Die Lage ist dramatisch“, sagte Sozialdezernent Reinhold Spaniel der NRZ. „Deutschland ist in Not, NRW ist in Not, Duisburg ist in Not.“
Der Dreiklang der Überforderung spiegelt sich in den prognostizierten Zahlen wieder, die Bundesinnenminister Thomas de Maiziere am Mittwoch in Berlin vorstellte: Nicht wie bisher erwartet 450.000, sondern mehr als 700.000 Flüchtlinge sollen in diesem Jahr nach Deutschland kommen. Laut Bundesamt für Migration gab es im ersten Halbjahr 180.0000 Asylanträge: Die große Welle kommt also erst noch, die Ausläufer werden auch in Duisburg die Situation verschärfen.
Programm soll Schritt für Schritt abgearbeitet werden
Die Rechnung ist einfach: NRW nimmt nach dem Königsteiner Schlüssel 21,24 Prozent der Asylbewerber auf, die das Land nach einem weiteren Schlüssel (90% Einwohner, 10% Fläche) den Kommunen zuweist. „Wir rechnen bis Jahresende mit mindestens 2000 weiteren Flüchtlingen“, sagt Spaniel. Derzeitig hat die Stadt 2800 Asylbewerber untergebracht, die Hälfte davon in mehr als 500 Wohnungen. Jede Woche kommen mehr als 100 neue Asylbewerber, im Juli waren es 500. Die Kapazitäten sind erschöpft, trotz Turnhallen und Zelte, trotz der 800 Plätze im Landesasyl St. Barbara, die auf das Kontingent der Stadt angerechnet werden.
„Wir haben ein Programm, das wir Schritt für Schritt abarbeiten. Wir wollen bis Ende des Jahres noch 1500 weitere Plätze schaffen. Wir sind dabei aber auch von anderen abhängig“, so Spaniel. Beteiligt sind viele Behörden, Immobilien-Management, Bauverwaltung, Feuerwehr. Details zu geplanten Standorten will Spaniel nicht nennen.
Nutzung der Zelte nur bis zum Winter
Bekannt ist die geplante Nutzung des Bürobaus an der Memelstraße in Neudorf, zuletzt Sitz der Schulverwaltung. Rund 300 Plätze könnten dort entstehen. Im Gespräch ist nach NRZ-Informationen auch das leerstehende, ehemalige Thyssen-Verwaltungsgebäude an der Emscherstraße in Meiderich. In dem gewaltigen Backstein-Bau gibt es über vier Etagen Büros auf insgesamt 3300qm. Zur Debatte stand zudem das ehemalige Berufskolleg vor dem Rathaus, wo nach dem Abriss die größte archäologische Zone Deutschlands und später das Mercatorquartier entstehen soll. Doch der alte Schulkomplex ist für jegliche Nutzung zu baufällig.
Die Zelte in Walsum würden von der Stadt definitiv nur bis zum Winter genutzt, die Flüchtlinge dann umverteilt, betont Spaniel auf Nachfrage. Man hört ihm den wachsenden Unmut über die Debatte von Konzepten an. „Wenn hier 50 Flüchtlinge vor dem Sozialamt stehen und sich fragen, wo sie heute schlafen sollen, dann geht es schlicht und ergreifend um die Beseitigung von Obdachlosigkeit“, sagt Spaniel, der sich auch nicht über die neue Prognose wundert. Vor einem Jahr, als die geplante Zeltstadt einen bundesweiten Aufschrei nach sich zog, hatte er von „einer neuen Völkerwanderung“ und von einer „nationalen Aufgabe“ gesprochen. „Das hat keiner ernst genommen, heute redet jeder davon“, sagt er und ist sich sicher, dass die Asylfrage auch noch im Bundestagswahlkampf das Thema Nummer eins sein wird.
"Die Kommunen haben keinen Einfluss"
Einen solchen Flüchtlingszustrom hatte Duisburg allerdings Anfang der Neunziger beim Zerfall Jugoslawiens schon einmal erlebt. Spaniel war schon damals Sozialdezernent. „Objektiv waren es vielleicht mehr. Allerdings gab es damals noch keinen Flughafenbrand und keine Loveparade. Die Sicherheitsbestimmungen sind neu geschrieben worden, vor allem beim Brandschutz“, sagt Spaniel. Auch die Seveso-Richtlinie müsse man beachten, durch die Abstandsregel zu Störfall-Betrieben scheiden einige Standorte für Flüchtlingsheime aus.
Was würde der Stadt also helfen? „Ganz klar: Erstens eine Regelung über sichere Drittstaaten, zweitens muss der Bund die Asylverfahren beschleunigen“, sagt Spaniel. „Es ist doch paradox: Der Bund ist Herr des Verfahrens, das aber mehr als sechs Monate dauert. Die Kommunen haben darauf keinen Einfluss, müssen die Flüchtlinge aber unterbringen.“