Duisburg. Peter Nikolaus Kante leitet im Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein den szenischen Unterricht für die Auffühungen in Duisburg und Düseldorf.
Die Mitglieder des Studios der Deutschen Oper am Rhein stehen nicht nur in vielen, meist kleineren, Partien auf den Bühnen des Duisburger Theaters und des Düsseldorfer Opernhauses, sondern absolvieren zusätzlich ein umfangreiches Weiterbildungsangebot. Neben Meisterkursen zur Verfeinerung der Gesangstechnik und der Interpretation, die von Sängern wie Linda Watson oder Helen Donath abgehalten werden, gehört szenischer Unterricht unter der Leitung des Sängers Peter Nikolaus Kante seit dieser Spielzeit zum Lehrplan des Studios.
Im vierten Akt von "La Bohème" läuft die Handlung in Echtzeit
Im lichtdurchfluteten Probensaal im sechsten Stock des Düsseldorfer Opernhauses erarbeitet Peter Nikolaus Kante im Team mit dem Pianisten und Dirigenten Franz Klee sowie den sieben Mitgliedern des Opernstudios den vierten Akt von Puccinis „La Bohème“. Kante begründet die Auswahl dieses Stückes: „In diesem Akt läuft die Handlung in Echtzeit ab. Sonst wird in der Oper durch die Musik die Zeit gedehnt.“
Kante und Klee kennen sich aus der gemeinsamen Arbeit in der Opernklasse der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf, wo sie über mehrere Semester ihr Arbeitskonzept entwickelt haben. Das Wesentliche für Kante und Klee ist, dass die Sänger die Oper von Anfang an als kommunikativen Prozess erarbeiten, auch die musikalische Arbeit ist immer „szenisch“. Nach dem Einstudieen wird mit unterlegter Musik stumm gespielt, dann eine reine Textfassung und schließlich die gesungene Version mit Text und Musik.
Echte Körperempfindungen entwickeln
Dabei will Kante die jungen Darsteller dahin bringen, dass sie echte Körperempfindungen für die Charaktere und deren Stimmungen entwickeln. Die Möglichkeit, sich hinter einem Bühnenbild zu verstecken, gibt es nicht, denn auf der Spielfläche befinden sich lediglich ein Tisch, vier Stühle, eine improvisierte Staffelei und ein Bett. Die Anordnung dieser Versatzstücke wird bei jedem Durchgang verändert.
Das Liebespaar Mimi und Rodolf spielen Eva Badorová und Hubert Walawski. Anna Tsartsidze ist die Musette und Roman Hoza der Marcello. Wenn Musette die todkranke Mimi zu Rodolfo und seinen Freunden bringt und Bewegung in das Geschehen kommt, ist den Akteuren ihre Irritation anzumerken: Manchmal scheint es wichtiger, eine verabredete Position zu erreichen, als mit den Mitspielern zu kommunizieren.
Erst wissen, dann vergessen und schließlich neu finden
In solchen Momenten greift Kante ein: „Ihr habt jetzt schon das Ergebnis der Szene im Kopf, dabei erleben eure Figuren die Geschichte gerade erst. Die Verabredung der Szene muss gewusst, dann vergessen und im Spiel neu gefunden werden.“ Und an Hubert Walawski, der als Rodolfo Mühe hat, die sterbende Mimi zur Liege tragen will: „Dein Problem ist nicht, dass es unbequem ist, genau das ist Deine Chance, fang an, das Problem zu lieben!“
Immer wieder gehen die Sänger zurück an den Flügel, wo Franz Klee die Grundmechanik der musikalischen Kommunikation überprüft: „Du bist an dieser Stelle zu spät, weil Du vorher schon zu spät bist. Im Satz Deines Partners gibt es diesen Moment, wo du entscheidest, ob du etwas erwiderst, etwas entgegnest oder eine Frage stellst. Diesen Moment musst Du wissen!“
Mit Klammerblues aufs Sterben vorbereiten
Auf die Sterbeszene in „La Bohème“ bereitet Kante die Sopranistin und den Tenor auf ungewöhnliche Weise vor: Den Beginn des Duettes lässt er sie erst aneinander gepresst im „Klammerblues“ tanzend singen, so dass sie kaum Luft bekommen. Trotz oder vielleicht grade wegen dieser unbequemen Position singen beide Akteure ihre Rollen aber mit größter Intensität.
Als sich die Figuren an ihre erste Begegnung erinnern, fassen sich die Sänger an den Händen und drehen sich immer schneller im Kreis, bis Eva Badorová aus der fliegenden Bewegung heraus gegen eine Wand des Saales geschleudert wird. Danach wechseln die Sänger auf die Liege, wo sie Mimis Sterbeszene fast ohne Bewegungen spielen.
Sänger gehen in ihren Rollen auf
Kante gibt den Sängern vorher noch auf den Weg: „Nehmt die Energiezustände aus der Bewegung mit in die veränderte Situation. Erinnert euch! Spielt nicht, fühlt!“ Eva Badorová und Hubert Walawski gelingt das Kunststück tatsächlich: Fast regungslos spielen sie die Szene erneut, gehen dabei aber ganz in ihren Rollen auf.