Duisburg. Physiotherapeut Danijel Barukcic aus Kroatien kam auf ungewöhnliche Weise nach Duisburg: Über ein Casting fand er eine Stelle in einer Physio-Praxis.
Auf einem Bein steht Hans Joachim Heine auf dem Stepper. Nach einer Hüft-OP soll er behutsam seine Muskulatur aufbauen. Mit Walking-Stöcken in den Händen hält er Balance und hebt seitlich das linke Bein gegen den Widerstand einer Gummischlaufe an. Auf, ab, auf, ab. Danijel Barukcic korrigiert seine Haltung, gibt Anweisungen.
Barukcic ist Physiotherapeut in der Duisburger Praxis Novotergum. An seine Arbeitsstelle ist der 25-Jährige auf ungewöhnlichem Wege gekommen: über ein Casting in Kroatien. Um Fachkräfte zu finden, schlug Novotergum diesen kreativen Weg der Mitarbeiterrekrutierung ein, weil es in Deutschland zunehmend schwieriger werde, Fachkräfte zu finden. Und Barukcic nutzte die Chance, um Arbeit zu finden und nach Deutschland zu kommen – zurück nach Deutschland, um genau zu sein.
Denn als Kind hatte Barukcic bereits in Deutschland gelebt. 1993 flüchteten er und seine Familie wegen des Jugoslawienkriegs nach Baden-Württemberg. Dort besuchte er den Kindergarten und die Grundschule, bis er 1998 nach Kroatien zurückkehren musste. "Irgendwann wollte ich auf jeden Fall wieder nach Deutschland kommen", war für Barukcic früh klar.
Ein Traum hat sich erfüllt
Nun ist sein Traum wahr geworden. Seit Februar arbeitet er bei Novotergum – und ist sichtlich zufrieden. "Vor allem mit orthopädischen Patienten zu arbeiten, gefällt mir sehr gut", sagt Barukcic. "Und auch die Kollegen und mein Arbeitgeber helfen mir, mich zurechtzufinden."
Doch bis es soweit war und der Physiotherapeut in Duisburg starten konnte, musste er eine wahre Zitterpartie durchlaufen. "Für die Teilnehmer unseres Castings war das eine ganz emotionale Sache", erinnert sich Markus Schattling, Regionalgeschäftsführer bei Novotergum, an den Bewerbungsprozess. Die erste Hürde: das Skype-Interview.
Auch interessant
Über den Videotelefonie-Dienst Skype führte die Novotergum-Jury die ersten Gespräche mit den kroatischen Bewerbern via Internet. "Während der Interviews wurde direkt klar, mit welcher unglaublichen Leidenschaft sie bei der Sache sind und ihren Wunsch verfolgen, sich hier eine Existenz aufzubauen", sagt Schattling. "Das ist quasi durch den Computer-Bildschirm durchgestrahlt."
Schattling kann auch erklären, warum den kroatischen Bewerbern so viel daran liegt, eine Stelle im Ausland anzutreten: "Die Physiotherapeuten in Kroatien sind alle Hochschulabsolventen. Trotzdem ist die Qualität der Ausbildung niedriger als in Deutschland." Sie orientiere sich an veraltete Schulungsstrukturen. Zudem sei die Arbeit sehr standardisiert. Der einzelne Therapeut sei wenig frei in seinem Handeln und dürfe nur genau das ausführen, was Ärzte vorschreiben.
Kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz in Kroatien
Auch die Aussichten auf einen Job seien relativ gering, ergänzt Barukcic. "Die Konkurrenz ist sehr groß. Weil es nur staatliche Praxen und Gesundheitszentren gibt, gibt es nicht so viele Stellen", erklärt er. Deshalb sei er nach seiner Ausbildung auch in einem ganz anderen Bereich tätig gewesen. "Die letzten Jahre habe ich mehr im IT-Bereich gearbeitet und als Physiotherapeut nicht viel Berufserfahrung gesammelt. Jetzt kann ich richtig viel dazulernen."
Auch interessant
Dass der Kroate selbstverständlich nicht ganz ohne physiotherapeutische Kenntnisse war, konnte er im Recall, also der zweiten Casting-Runde beweisen. Dazu flog Markus Schattling gemeinsam mit dem Schulungsabteilungsleiter des Physiotherapie-Unternehmens nach Zagreb. Neun Bewerber hatten es in die zweite Runde geschafft. Sie mussten sich in weiteren Gesprächen und in Rollenspielen zu verschiedenen Krankheitsbildern beweisen.
Kroatisches Staatsfernsehen zeigt Casting
"Das war schon eine irre Sache", erzählt Schattling, "sogar im kroatischen Staatsfernsehen wurde über unser Casting berichtet." Wichtig sei der Jury gewesen, die Bewerber persönlich kennenzulernen. "Die fachliche Eignung kann man schließlich nicht über Skype überprüfen", stellt der Regionalgeschäftsführer fest.
Danijel Baukcic überzeugte die Jury sowohl fachlich als auch persönlich. Er ist einer von fünf Physiotherapeuten, die jetzt an einem der 25 Novotergum-Standorten in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg arbeiten.
Danijel Barukcic punktet mit Sprachkenntnissen
Nicht zuletzt Barukcics Sprachkenntnisse waren ausschlaggebend dafür, dass die Jury ihn auswählte. "Wir haben stark nach der Sprachkompetenz entschieden", sagt Markus Schattling. "Es gab viele Bewerber, die eigentlich sehr geeignet waren, aber die nicht so gut Deutsch sprechen konnten." Sie haben die Möglichkeit, sich erneut zu bewerben, sofern sie ihre Sprachkenntnisse verbessern. Schon für dieses Jahr ist ein zweites Casting in Kroatien geplant.
Warum aber geht ein Physiotherapie-Unternehmen den ungewöhnlichen Schritt, über ein Casting im Ausland Arbeitskräfte zu finden? "Wir suchen dringend Fachkräfte", erklärt Markus Schattling, "ohne Fachkräfte aus dem Ausland lässt sich unser Angebot gar nicht umsetzen." Das bestätigt auch Jürgen Querbach, NRW-Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Physiotherapie. "Das hat in den letzten zwei Jahren massiv zugenommen", sagt er. "Wir sprechen nicht mehr von einem drohenden, sondern von einem bestehenden Fachkräftemangel."
Auch interessant
Wichtig sei seinem Unternehmen deshalb, die gewonnenen Arbeitskräfte langfristig an sich zu binden, erklärt Markus Schattling von Novotergum. Das funktioniere nur durch Transparenz und eine stabile Vertrauensbasis, betont er. "Man muss vorab klären, was wir erwarten und was Arbeitnehmer von uns erwarten können." Nur so könne das Unternehmen seinen Arbeitskräften gerecht werden.
"Wir hören leider immer wieder Geschichten von Physiotherapeuten aus dem Ausland, die hier erst einmal Praktika absolvieren müssen und stark ausgebeutet werden", erzählt Schattling. Auch Barukcic hat bereits schlechte Erfahrungen gesammelt. Anfang 2014 arbeitete er einen Monat lang in einer Physio-Praxis in Lörrach. "Die Verträge waren sehr lang – und nicht gut. Ich wäre nur ausgenutzt worden", sagt er. Das sei bei seinem jetzigen Arbeitgeber völlig anders.
Frau und Tochter sollen auch nach Duisburg kommen
Der Traum vom Job in Deutschland ist für den Physiotherapeuten aus Kroatien bereits wahr geworden. Aber einen Wunsch hat er dennoch: "Irgendwann sollen meine Frau und meine kleine dreijährige Tochter auch nach Deutschland kommen." Drei bis vier Jahre wird es noch dauern, bis Barukcics Frau ihr Studium beendet hat. Vielleicht könne sie aber auch in Deutschland weiter studieren, hofft der Physiotherapeut.
Bis es soweit ist, sieht Danijel Barukcic seine kleine Familie über Skype und bei Besuchen. "Aber ich bin glücklich, hier arbeiten zu können", sagt er, "das macht die Trennung schon ein wenig leichter."