Essen. . Die Wirtschaft brummt. Doch ausgerechnet im Ausbildungssektor scheint die gute Konjunktur nicht durchschlagen zu wollen. Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt spitzt sich im Gegenteil weiter zu.
Die Wirtschaft brummt. Noch nie gingen so viele Menschen in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nach. Handel, Handwerk und Industrie blicken fast durch die Bank optimistisch in die Zukunft.
Da klingt das, was sich derzeit auf dem Lehrstellenmarkt abspielt, wie aus der Zeit gefallen. Denn ausgerechnet im Ausbildungssektor scheint die gute Konjunktur nicht durchschlagen zu wollen. Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt spitzt sich im Gegenteil weiter zu.
In ihrem aktuellen Berufsbildungsbericht, aus dessen Entwurf das "Handelsblatt" jetzt zitiert, schlagen Experten der Bundesregierung jedenfalls Alarm. Trotz Superkonjunktur und drohendem Fachkräftemangel blicken demnach immer noch viel zu viele junge Menschen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz in eine ungewisse Zukunft.
81.000 junge Leute gelten aktuell als unversorgt, 20.000 von ihnen haben noch nicht einmal Aussicht auf berufsvorbereitende Maßnahmen. Noch nie seit der Wiedervereinigung, heißt es auch in einem dieser Zeitung vorliegenden Papier der Arbeitsagentur, sei die Zahl neuer Ausbildungsverträge derart niedrig gewesen.
"Große Herausforderungen" für duales System
Das duale Ausbildungssystem stehe vor „großen Herausforderungen“, warnen die Autoren. Nur 522.000 Lehrverträge wurden 2014 geschlossen, vor acht Jahren waren es noch 100.000 mehr. Auch die Zahl der Betriebe, die jungen Menschen überhaupt eine Chance auf eine Berufsausbildung geben, ist auf einem neuen Tiefststand.
Nur noch jeder fünfte Betrieb mit mindestens einem Angestellten bildet überhaupt aus. Ende 2013, dem letzten Erhebungstag, waren das 438.000 Firmen. 2008 bildeten deutschlandweit noch über 490.000 Unternehmen aus, die Quote der Ausbildungsbetriebe sank damit binnen fünf Jahren von 24,1 auf 20,7 Prozent.
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Auch wenn der Anteil der Lehrbetriebe in NRW etwas günstiger ausfällt als im Bundesschnitt, sieht es an Rhein und Ruhr nicht sehr viel besser aus mit der Nachhaltigkeit des weltweit geschätzten deutschen Ausbildungssystems.
„Wir haben so viele offene Lehrstellen wie seit Jahren nicht mehr“, sagt Axel Fuhrmann, Hauptgeschäftsführer der auch für weite Teile des Ruhrgebiets zuständigen Handwerkskammer Düsseldorf. Auch hier gehe die Zahl der Ausbildungsbetriebe zurück.
Besonders eng ist es im Revier. Können sich in der Landeshauptstadt Düsseldorf statistisch zwei Bewerber zwischen drei Lehrstellen entscheiden, ist das Verhältnis in der Region zwischen Duisburg und Bochum genau umgekehrt. Fuhrmann: „Im Ruhrgebiet haben wir zu wenig Lehrstellen für zu viele Bewerber.“ Einer der Gründe: die dominierenden Großkonzerne, bei denen „Kohorten von Lehrstellen“ weggefallen seien.
"Es gibt keinen rein praktischen Beruf mehr"
Andererseits wird es für die Betriebe selbst immer schwerer, angesichts rückläufiger Schülerzahlen und einer Hochschulquote von über 50 Prozent eines Jahrgangs überhaupt geeignete Lehrlinge zu bekommen. Den Wettbewerb um die besten Köpfe habe das Handwerk zugunsten der Universitäten längst verloren, weiß Fuhrmann.
Auch Angelika Weies, Geschäftsführerin der Handwerkskammer Dortmund, kennt den Kampf „unsere Betriebe um geeignete Lehrlinge.“ Hinzu kommt: Im Handwerk selbst sind die Anforderungen gestiegen. Fuhrmann: „Es gibt keinen rein praktischen Beruf mehr.“ Rechnen können müsse man auch als angehender Maler. Mit Kunden umgehen sowieso.
Gegengesteuert wird an vielen Stellen: Handwerkskammern locken Studienabbrecher mit verkürzten Lehrzeiten. Die Arbeitsagentur stellt schwächeren Jugendlichen neuerdings „Ausbildungsakquisiteure“ zur Seite. Ob das den Trend drehen wird? Angelika Weies beschreibt, worum es geht: „Wir müssen dicke Bretter bohren.“