Duisburg. Das Kunstprojekt „Heimat ist da, wo man hinscheißt“ im Landschaftspark Duisburg-Nord ist der provokanteste Teil der am Freitag startenden Akzente.

Die Kunst macht es möglich, dass ein Scheißhaus zur Rauminstallation wird: Wenn Freitag im Landschaftspark die 36. Duisburger Akzente eröffnet werden, dann führt der Weg zu den offiziellen Feierlichkeiten an einem Dixi-Klo vorbei. Das steht aber keineswegs dort, weil in der Gebläsehalle die Toiletten defekt sind — und es sollte tunlichst auch nicht benutzt werden.

Schließlich handelt es sich um ein Kunstprojekt zum Akzente-Motto „Heimat“. Und eben um eines, das derb und deutlich aus der langen Liste der 130 romantisch-heimeligen Veranstaltungstitel hervorsticht: „Heimat ist da, wo man hinscheißt!“ heißt die Installation, über die man im dicken Programmheft nur wenig gewahr wird, zu der die erwartete Debatte bislang ausblieb und zu der es bemerkenswerter Weise im Vorfeld noch nicht einmal eine Nachfrage gab.

Symbol für ein „urmenschliches Bedürfnis“

Womöglich liegt es alleine schon an der Scheu vor dem Begriff: „Scheiße“ sagt man nicht, das lernt schon jedes Kind. Und in die Zeitung gehört das Wort, auch wenn es seit 1934 im Duden steht, selbstverständlich auch nicht. Eine Regel, für die bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema eine Ausnahme gelten muss. Schließlich begleitet die Klo-Installation die Akzente als eine Art Klammer durchgehend von der Eröffnung bis zum Finaltag. Sie steht im Landschaftspark, auf dem König-Heinrich-Platz und auf der Beeckstraße. Und letztlich ist es der ureigenste Zweck der Kunst, Tabus aufzugreifen, zu provozieren und Debatten anzustoßen. Also: Wie kann ausgerechnet ein Scheißhaus Heimat sein?

Heimat sei „ein urmenschliches Bedürfnis“, die Baustellen-Toilette dafür ein örtliches Symbol, das Besucher einlädt, „ihre Bedürfnisse loszuwerden. Ganz ehrlich und unverblümt“, erklären die Projektkünstler, die bisher im Hintergrund bleiben. Ausgedacht haben sich das Klo-Konzept drei Kreative aus dem Medienbunker Marxloh. „Es gibt ganz viel Süßes im Akzente-Programm. Da wollten wir einen Kontrast setzen“, sagt Halil Özet, der mit Rainer Kzonsek und Nina Kradepohl hinter der Idee steckt. Die pure Provokation also? „Es geht darum, Heimat auch mal anders zu denken, realer, und da radikaler heranzugehen. Duisburg ist nicht schön und hat ein Image- und ein Identifikationsproblem, da muss etwas passieren.“

20 Jahre Landschaftspark Nord

So sahen im Landschaftspark Nord die Krananlage, der Hochofen 5 (dahinter), die Erzbunkeranlage und der Bunkervorplatz (im Vordergrund) im Jahr 1991 noch aus. Damals nahmen die Architekten ihre Arbeit auf, um einen Landschaftspark zu entwerfen.
So sahen im Landschaftspark Nord die Krananlage, der Hochofen 5 (dahinter), die Erzbunkeranlage und der Bunkervorplatz (im Vordergrund) im Jahr 1991 noch aus. Damals nahmen die Architekten ihre Arbeit auf, um einen Landschaftspark zu entwerfen. © Jürgen Dreide
Derzeit wird die Beleuchtung an der Krananlage – im Volksmund nur „Krokodil“ genannt – auf LED umgestellt. Die Lichtinstallation des britischen Künstlers Jonathan Park lockt seit Dezember 1996 die Besucher aus aller Welt nach Meiderich.
Derzeit wird die Beleuchtung an der Krananlage – im Volksmund nur „Krokodil“ genannt – auf LED umgestellt. Die Lichtinstallation des britischen Künstlers Jonathan Park lockt seit Dezember 1996 die Besucher aus aller Welt nach Meiderich. © Thomas Berns
Vier Jahre stand der Hochofen 5 bereits still, als 1989 dieses Foto entstand. Es dauerte weitere zwei Jahre, ehe die Planung für den LaPaNo  begann.
Vier Jahre stand der Hochofen 5 bereits still, als 1989 dieses Foto entstand. Es dauerte weitere zwei Jahre, ehe die Planung für den LaPaNo begann. © Thomas Berns
Heute bietet die Aussichtsplattform an der Spitze von Hochofen 5 eine der spektakulärsten Fernsichten über Duisburg und das westliche Ruhrgebiet.
Heute bietet die Aussichtsplattform an der Spitze von Hochofen 5 eine der spektakulärsten Fernsichten über Duisburg und das westliche Ruhrgebiet. © Thomas Berns
In den Gießhallen wurden ab 1951 Masselgießmaschinen eingesetzt, die erleichternder Ersatz für die schwere Handarbeit im Formsand war.
In den Gießhallen wurden ab 1951 Masselgießmaschinen eingesetzt, die erleichternder Ersatz für die schwere Handarbeit im Formsand war. © Jürgen Dreide
Über 40 000 Besucher lockten im Vorjahr die Filmabende des Stadtwerke-Sommerkinos. Vorführungsort ist stets die Gießhalle.
Über 40 000 Besucher lockten im Vorjahr die Filmabende des Stadtwerke-Sommerkinos. Vorführungsort ist stets die Gießhalle. © Thomas Berns
So sah die Gebläsehalle im Stilllegungsjahr 1985 aus. Die vier Elektroturbogebläse (unten am Boden) wurden bei der späteren Renovierung der Halle vollständig erhalten. Sie sind elementare Bestandteile des heutigen Maschinenfoyers.
So sah die Gebläsehalle im Stilllegungsjahr 1985 aus. Die vier Elektroturbogebläse (unten am Boden) wurden bei der späteren Renovierung der Halle vollständig erhalten. Sie sind elementare Bestandteile des heutigen Maschinenfoyers. © Jürgen Dreide
Über besagtem Maschinenfoyer befindet sich heute der Theatersaal der Gebläsehalle. Hier gibt es Klassikkonzerte, aber auch moderne Musik zu hören. Dieser imposante Saal mit der tollen Akustik wurde im Jahr 2002 errichtet.
Über besagtem Maschinenfoyer befindet sich heute der Theatersaal der Gebläsehalle. Hier gibt es Klassikkonzerte, aber auch moderne Musik zu hören. Dieser imposante Saal mit der tollen Akustik wurde im Jahr 2002 errichtet. © Thomas Berns
Diese Übersicht über das ehemalige Hüttenwerk Meiderich stammt aus dem Jahr 1956. In den 84 Jahren seines Bestehens wurden dort 37 Millionen Tonnen Roheisen produziert. Am 4. April 1985 erfolgte der bittere Moment der Werks-Stilllegung.
Diese Übersicht über das ehemalige Hüttenwerk Meiderich stammt aus dem Jahr 1956. In den 84 Jahren seines Bestehens wurden dort 37 Millionen Tonnen Roheisen produziert. Am 4. April 1985 erfolgte der bittere Moment der Werks-Stilllegung. © Jürgen Dreide
In dem ganz in Grün leuchtenden Gasometer können Tauchfreunde heute eine künstliche Unterwasserwelt erkunden. Auch Hochofen 1 und Kamin 2 (ganz links) erstrahlen nachts in atemberaubendster Farbpracht. Gefeiert wird der 20. Geburtstag hier am 28. Juni – parallel zur „Extraschicht“.
In dem ganz in Grün leuchtenden Gasometer können Tauchfreunde heute eine künstliche Unterwasserwelt erkunden. Auch Hochofen 1 und Kamin 2 (ganz links) erstrahlen nachts in atemberaubendster Farbpracht. Gefeiert wird der 20. Geburtstag hier am 28. Juni – parallel zur „Extraschicht“. © Thomas Berns
Drei Schmelzer beim Abstich in einer der Gießhallen. Roheisen und Schlacke fließen aus. Das Bild stammt aus der Zeit um 1950.
Drei Schmelzer beim Abstich in einer der Gießhallen. Roheisen und Schlacke fließen aus. Das Bild stammt aus der Zeit um 1950. © Stadtarchiv Duisburg
Auf der Bühne der Gießhalle können Musik-Fans etwa beim Traumzeit-Festival spektakuläre Auftritte miterleben.
Auf der Bühne der Gießhalle können Musik-Fans etwa beim Traumzeit-Festival spektakuläre Auftritte miterleben. © Thomas Berns
Im Jahr 1985 entstand dieses Bild der Erzbunkeranlage. Hier wurden Rohstoffe gelagert, die in den Hochöfen zu Roheisen geschmolzen wurden.
Im Jahr 1985 entstand dieses Bild der Erzbunkeranlage. Hier wurden Rohstoffe gelagert, die in den Hochöfen zu Roheisen geschmolzen wurden. © Jürgen Dreide
Die Bunker sind längst geleert, seit 1990 hat der Deutsche Alpenverein dort die größte künstliche Outdoor-Kletteranlage der Republik gebaut.
Die Bunker sind längst geleert, seit 1990 hat der Deutsche Alpenverein dort die größte künstliche Outdoor-Kletteranlage der Republik gebaut. © Horst Neuendorf
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"Krampfhafter Verzweiflungsakt von Touristikern"

Die „nostalgische Ruhrgebietsromantik“ sei doch „ein krampfhafter Verzweiflungsakt von Touristikern“, der ehemaligen Stahl- und Hafenmetropole trotz fehlender Ideen und Perspektiven eine neue Identität zu verschaffen. Duisburg sei eine Baustelle, sagen die Drei: „Es liegt an uns, die Stadt und unser Heimatgefühl unter den neuen Voraussetzungen mitzugestalten und neu zu erfinden.“

Das Akzente-Klo, vom Hersteller gestiftet, soll die Gedanken seiner Nutzer in diese Richtung kanalisieren. Umgebaut, beleuchtet und komplett weiß gestrichen wie „ein unbeschriebenes Blatt“, aber „stylisch und cool“, wie Özet sagt, lädt es von außen und innen dazu ein, sich „innerlich zu entleeren“. Gedanklich wohlgemerkt, mit Hilfe eines dicken Filzstiftes. Die Hinterlassenschaft besteht darin, aufzuschreiben, was Duisburg und was Heimat für Akzente-Besucher bedeutet. Die Klo-Kommentare sollen sich später auch auf großen Plakaten wiederfinden.

Das Akzente-Klo beleuchtet die Debatte um Duisburg als Heimat damit weitaus intensiver als viele andere Veranstaltungen. Wie die Besucher auf das Kunstklo reagieren, ob sie sich schreibend auf die Schüssel setzen oder das ganze für einen Griff ins Klo halten, wird sich ab heute zeigen. Ach ja, wie sieht es drinnen überhaupt in dem Dixi-Klo aus? „Wir haben heute noch ein paar Blumen ins Pissoir gestellt. Damit es noch ein bisschen heimischer wird“, sagt Özet.