Duisburg. . Ursula Freyer ist Rektorin der Hauptschule Gneisenaustraße in Duisburg. Ein Gespräch über Vorurteile, die geplanten Sekundarschulen und Inklusion. Kinder mit und ohne Förderbedarf lernen hier schon lange gemeinsam.
Seitdem die Vereinten Nationen beschlossen haben, dass jedem Menschen die gleiche Teilhabe an der Gesellschaft zusteht, arbeiten die Städte an der Umsetzung. „Inklusion“ lautet das Stichwort.
Die Stadt Duisburg muss also in Zusammenarbeit mit den Schulen eine Möglichkeit schaffen, dass behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet werden können. Eine Bildungseinrichtung, die damit bereits seit einigen Jahren Erfahrungen sammelt, ist die Hauptschule an der Gneisenaustraße. Im Gespräch berichtet Rektorin Ursula Freyer, wie das in der Praxis läuft. Zudem ist die Gneisenaustraße eine der letzten Hauptschulen im Bezirk Mitte.
An anderen Schulen formieren sich gerade Elterninitiativen gegen die geplanten Sekundarschulen. Auch die Hauptschule sollen irgendwann in dem neuen System aufgehen. Gibt es hier keine Proteste?
Ursula Freyer: Unsere Eltern haben keine Lobby. Und die Kollegen sehen in der Sekundarschule eine Chance, vom negativen Bild der Hauptschule wegzukommen. Auch im kommenden Schuljahr dürfen wir noch neue Kinder aufnehmen und alle Klassen von fünf bis zehn unterrichten. Schulschließungen habe ich selber bereits miterlebt.
Wie war das für Sie?
Freyer: Es ist kein gutes Gefühl, zu packen und Zettelchen an Kartons zu kleben. Die erste Schule, die von der Schließung betroffen war, war die Alfred-Hitz-Schule in Rheinhausen. Dort habe ich im Rahmen des Programms „Geld statt Stellen“ unterrichtet. Damals gab es auch Elternproteste, und so gelang es, die Schule zu retten. Mittlerweile ist diese Schule geschlossen, und hier wird im kommenden Jahr die Sekundarschule an den Start gehen.
Gemeinsames Konzept entwickeln
Das Amt für schulische Bildung hat in Kooperation mit den Schulen ein Konzept entwickelt, wie die Vorgaben zur Inklusion umgesetzt werden können. Teilweise gab es bereits gemeinsamen Unterricht – etwa an der Grundschule Hebbelstraße, an der Astrid-Lindgren-Schule und eben an der Gneisenaustraße.
„Der Bedarf lässt sich schlecht vorhersagen“, erklärt Ralph Kalveram vom Amt für schulische Bildung. Bei Schuluntersuchungen wird der Förderbedarf des Kindes festgestellt.
Danach war ich als Konrektorin an der Gutenbergstraße, die ist dann mit der Gneisenaustraße zusammengelegt worden. Das wussten wir aber im Vorfeld und konnten uns darauf vorbereiten. Wir haben versucht, im letzten Jahr noch einmal tolle Sachen zu machen. Es gab gemeinsame Ausflüge der Kinder und Schulungen der Kollegien. An der Gutenbergstraße gab es bereits gemeinsamen Unterricht von Jungen und Mädchen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf.
Welchen Förderbedarf haben die Kinder genau?
Freyer: Wir hatten beispielsweise Kinder mit Down-Syndrom oder auch Autisten. Die meisten Kinder brauchen aber Förderung in den Bereichen Lernen oder emotional-soziale Entwicklung. Teilweise stellen wir den Förderbedarf auch erst im Laufe der Erprobungsstufe fest.
Was heißt Förderbedarf emotional-soziale Entwicklung?
Freyer: Das können Schüler mit autistischen Zügen sein, psychisch Kranke, Kinder mit ADHS, die Ritalin bekommen, oder die, die große Probleme haben, sich im sozialen Umgang mit ihren Mitschülern oder Lehrerinnen regelgerecht und angemessen zu verhalten.
Wie gehen Sie damit in der Schule um?
Freyer: Wir haben Regeln, an die sich alle halten müssen. Unsere Lehrer sind alle sehr erfahren und schaffen es, in den Klassen ein gutes Klima herzustellen – und dass alle Kinder füreinander Verständnis aufbringen. Zudem werden die Klassen von Lehrern und Sonderpädagogen betreut. Die gestalten den Unterricht gemeinsam. Davon profitieren alle.
„Wir müssen die Kinder aufbauen“
Gibt es eine Zusammenarbeit mit den Eltern?
Freyer: Also Helikopter-Eltern gibt es an dieser Schule nicht. Viele haben, als sie jung waren, selbst schlechte Erfahrungen mit Schule gemacht. Da müssen wir erst einmal ansetzen. Die meisten kommen aber zum Elternsprechtag. Als Schule sind wir durch unsere Sozialpädagogen in ein Netzwerk von Jugendamt und allgemeinem Sozialen Dienst eingebunden, so dass wir gemeinsam schnell handeln können, wenn Familien Unterstützung brauchen.
Haben Sie sich bewusst entschieden, Lehrerin an einer Hauptschule zu werden?
Freyer: Ich habe nach meinem zweiten Staatsexamen keine Anstellung gefunden und zuerst eine Ausbildung zur Fachredakteurin gemacht, mich dann aber entschieden über „Geld statt Stellen“ in den Schuldienst zu kommen. An der Lange Straße, später Alfred-Hitz-Schule, waren Schüler aus allen Gesellschaftsschichten. Es war nicht einfach zu Anfang, aber mir gefällt die Arbeit, man bekommt ganz viel von den Kindern zurück. Es sind Kinder, die kommen auch und umarmen einen, wenn sie sich freuen.
Welche Perspektive haben die Jugendlichen nach der Schule?
Freyer: Unsere Schüler werden ab der achten Klasse auf den Beruf vorbereitet – und wir bekommen von den Firmen immer wieder gesagt, dass sie sich gut benehmen. Bei einigen klappt der Einstieg in den Job auch übers Praktikum.
Trotzdem haben Hauptschulen oft einen schlechten Ruf.
Freyer: Ja das stimmt, die Kinder, die sich hier anmelden, egal ob für die fünfte Klasse oder in der sechsten oder siebten Klasse von der Realschule, sie sind oft total deprimiert – unsere Aufgabe ist es dann, sie wieder aufzubauen.
Glauben Sie, dass sich durch die Inklusions-Debatte für die Kinder etwas ändert?
Freyer: Theoretisch muss sich dann jede Schule um Kinder mit Förderbedarf kümmern. Ich bin gespannt, ob dann immer noch so viele abgeschult werden.