Dortmund. Die SPD steckt in ihrer tiefsten Krise - und einer ist mittendrin: Marco Bülow, Dortmunds frisch wiedergewählter SPD-Parlamentarier für Berlin. Die WAZ sprach mit dem 38-Jährigen über seine Erwartungen an die Genossen in Dortmund und Berlin.
Frage: Herr Bülow, Sie sind seit Montag in Berlin. Wie ist die Lage?
Marco Bülow: Schlecht. Die Bitterkeit des Wahlabends ist natürlich noch nicht verflogen. Das Wundenlecken wird wohl noch eine Weile dauern. Außerdem: Die herben Verluste der SPD offenbaren Lücken auch auf den zweiten Blick. Unsere Fraktion schrumpft ja nicht nur nach Sitzen. Es geht auch Sach- und Fachkompetenz verloren. Zu den 75 verlorenen Abgeordneten kommen 300 Mitarbeiter, die wegbrechen. Trotzdem bleibt die Themenvielfalt, die wir als große Partei beackern müssen. Die Arbeit verteilt sich also auf weniger Köpfe.
Die SPD steht am Abgrund. Was muss jetzt geschehen?
Bülow: Wir brauchen eine neue politische Kultur in der Partei, damit nicht weiter nach Gutsherrenart entschieden wird. Viele denken so wie ich, trauen sich das aber nicht zu sagen, weil sie Angst um ihre Karriere haben.
Apropos Karriere: Frank-Walter Steinmeier, bisher Außenminister, Vizekanzler und Kanzlerkandidat der SPD, ist jetzt Fraktionschef. Aus Ihrer Sicht eine gute Wahl?
Bülow: Das war noch kein personeller Neuanfang. Für mich wäre Sigmar Gabriel auch eine Option gewesen.
Der Noch-Umweltminister ist als Parteichef im Gespräch, mit einer Generalsekretärin Andrea Nahles. Ist das die Lösung?
Bülow: Klar, das Trio Steinmeier, Gabriel, Nahles kann eine Antwort sein auf die derzeitige Krise. Ich würde aber vorziehen, wenn solche Entscheidungen als Prozess von der Parteibasis mitbestimmt würden. Urwahlen kann man nicht immer machen. Aber in so einer außergewöhnlichen Situation müsste man darüber nachdenken. Es ist doch so: Die Partei muss für das haften, was von der Spitze kommt. In der letzten Zeit hat man auf die Basis zu wenig gehört.
Sollte sich die SPD nach links orientieren oder mehr zur Mitte?
Bülow: Die SPD muss sich zunächst einmal selber fangen und natürlich knallharte Oppositionsarbeit machen. In der Opposition müssen wir aber erst unsere Rolle finden. Die Frage wird sein: Wie binden wir unsere Flügel ein? Dann müssen wir unser Verhältnis zu den Grünen und zur Linkspartei finden. Klar ist aber: Es sollte kein Unverhältnis sein.
In Dortmund verloren die Sozialdemokraten überdurchschnittlich. Ist Ihre Heimatstadt noch die Herzkammer der SPD?
Bülow: Ja, aber mit Flimmern. Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Flimmern keinen dauerhaften Schaden nach sich zieht.
Die Dortmunder „Wahlbetrugs”-Debatte hat die SPD schwer belastet. Was erwarten Sie jetzt von den Genossen vor Ort?
Bülow: Klare Analyse und schonungslose Selbstkritik. Das Problem nur als Schmutzkampagne der CDU abzutun oder auf die vermeintlich unzuverlässigen Grünen, die bösen Medien und die Einflüsse der Bundespolitik zu schieben, das trifft es nicht. Da muss was von uns kommen, sonst werden wir keine Konzepte entwickeln, um aus dieser Diskussion herauszukommen. Das darf ebenfalls nicht nach Gutsherrenart passieren. Auch hier muss die Basis einbezogen werden.
Geschieht das denn?
Bülow: Je weiter man sich auf die Basis zubewegt, desto größer ist der Wille zur Veränderung. Man sollte genau reinhorchen in die Ortsvereine, welchen Änderungsbedarf sie sehen. Man darf das nicht nur den Parteifunktionären überlassen. Sonst verschreckt man das Potenzial, das diese Partei immer noch hat.