Bottrop. .
Vor zehn Jahren erlebte die Bottroperin Kerstin Schneider die Katastrophe in New York. Sie war als Au-pair in den USA und erlebt mit, wie Nachbarn und Freunde um das Überleben Bekannter bangten.
Ihr Blick geht immer wieder zu Boden. Nervös knetet sie ihre Hände. Zwischenzeitlich schimmern die Augen verdächtig feucht. Nein, es fällt Kerstin Schneider nicht leicht, über diesen Tag zu sprechen. Den 11. September vor zehn Jahren, den sie hautnah erlebt hat. Als Au-pair in New York. 19 Jahre war die Bottroperin damals alt. Gerade einmal anderthalb Wochen war sie vor Ort, bei ihrer Gastfamilie in Pelham, etwa 40 Minuten außerhalb von Manhattan. Anderthalb Wochen, um die Großstadt, das pulsierende Leben am Big Apple zu genießen. Endlich in Amerika! Dann änderte der Terroranschlag alles.
Im Fernsehen
„Wir haben es im Fernsehen gesehen. Meine Vorgängerin war noch da, weil sie mich eingearbeitet hat. Die hat es zuerst im Fernsehen gesehen.“ Dann hat die gesamte Familie den Fernseher eingeschaltet. Der erste Gedanke der Familie: ein Sportflugzeug, ein Unfall. „An einen Terroranschlag hat keiner gedacht.
Besorgte Eltern
Was folgt ist ein Telefonat mit der besorgten Mutter in Bottrop. Geht es der Tochter auch gut? Währenddessen lassen die Terroristen den zweiten Jet ins World Trade Center stürzen. Aber mit dem Absturz des dritten Fliegers ins Pentagon, da sei allen klar geworden, „das kann kein Unfall sein“, sagt Kerstin Schneider.
Vermisste Ehemänner
Was danach passierte hat sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt – jede Einzelheit. „Eine Nachbarin kam angerannt und hat die ganze Zeit geschrien: ,Es ist Krieg!’.“ Dabei hat Kerstins Gastfamilie noch Glück. Der Vater arbeitet zwar in Manhattan, musste an dem Tag aber erst später los. Viel schlimmer war es in der Nachbarschaft. Viele Männer werden vermisst. Verzweifelt versuchen die Nachbarinnen irgendjemanden am Telefon zu erreichen. Versuchen zu erfahren, ob was mit dem Ehemann passiert ist.
Kinderbetreuung
Gleichzeitig musste sich jemand um die Kinder kümmern. Kerstins Aufgabe. Gemeinsam mit einem anderen Au-pair-Mädchen feiert sie ein Fest. Zehn Kinder haben sie beaufsichtigt. Vor denen dürfen sie sich nichts anmerken lassen. Gleichzeitig war da im Hinterkopf immer der Gedanke, „kann sein, dass dein Papi tot ist“. Eine Situation, die sich niemand vorstellen möchte. Tatsächlich ist es gut gegangen. Die Väter aller zehn Kinder haben überlebt.
Trauer bei Nachbarn
So gut hatte es ihre Au-pair-Freundin Lizzy nicht. Ihr Gastvater hat im 101. Stock des World Trade Center gearbeitet. Er hat den Anschlag nicht überlebt. Kurz vorher war Kerstin noch mit Lizzy in New York, hat sich Manhattan angeschaut, auch das World Trade Center. Jetzt ist sie zu Besuch bei ihr. „Die Atmosphäre war gespenstisch.“ Im Hause wird getrauert, die Mutter wird getröstet, Kerstin und Lizzy müssen sich gegenseitig stützen. Eine Leiche wird nie gefunden. Ein leerer Sarg wird bestattet – wie so häufig.
Gemeinschaftsgefühl
Dieser Austausch, zwischen den Au-pairs, aber auch zwischen den New Yorkern hilft. Die Stadt, so beobachtet Kerstin, versinkt nicht in Trauer. „Jeder konnte Geschichten erzählen. Jeder kannte Betroffene. Und durch den Austausch fühlte sich jeder besser.“ Es sei ein „Gefühl der Gemeinschaft“ entstanden. Aber Kerstin verhehlt nicht, dass es auch andere Momente gab. „Ein ganz gruseliges, beklemmendes Gefühl. Eine Angst und die Frage, ob man hier noch sicher ist.“ Trotzdem: Abreisen kommt für Kerstin nicht in Frage. Sie bleibt in New York, der Stadt, die sie auch jetzt, zehn Jahre später, als „tollste Stadt der Welt“, bezeichnet.
Helden gefeiert
Sie bekommt mit, wie die Stadt, wie die Bewohner sich aneinander aufrichten. „Sie haben ihre Helden gefeiert“, erinnert sich Kerstin. Die Feuerwehrmänner, aber auch die Passagiere des vierten Flugzeugs, das in Pennsylvania abgestürzt ist. Die Passagiere haben sich gegen die Entführer gewehrt, haben das Cockpit gestürmt und der Flieger stürzte auf ein Feld.
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Kaum wahrgenommen
Helden, die außerhalb der USA kaum wahrgenommen werden. „Das finde ich so schlimm, dass von den Opfern im Pentagon oder in diesem Flugzeug so selten die Rede ist. Das muss das Schlimmste sein. In so einem Flugzeug zu sitzen und zu wissen: ,Du hast keine Chance.’.“ Sie muss wieder schlucken. Und schon wieder schimmern die Augen.
Nie am Ground Zero
Zurück in Deutschland hat sie begonnen zu studieren: Religionswissenschaften. „Ich wollte andere Religionen verstehen. Auch den Islam.“ Ihr habe das geholfen. Sie hat den Islam als Religion des Friedens verstanden. Trotz allem ist New York Traumstadt. Schon drei Mal war sie seither dort. Ground Zero, den Ort, an dem die Zwillingstürme standen, hat sie sich nie angesehen.