Castrop-Rauxel. . Der Journalist und ehemalige ARD-Korrespondent in New York Gerald Baars – seit 2006 Castrop-Rauxeler – berichtet von seiner Arbeit in New York und dem Leben in der verwundeten Stadt nach den Anschlägen vom 11. September.

Heute fühlt er sich als „German New Yorker“ – als deutscher New Yorker – nach allem, was er rund um den 11. September 2001 erlebt hat: Gerald Baars, von 2000 bis 2006 Leiter des ARD-Studios in New York und damals Berichterstatter nach den Anschlägen auf das World Trade Center, erzählt im Gespräch mit dieser Zeitung, wie er die Zeit nach 9/11 erlebt hat.

Wie haben Sie den Tag des 11. September 2001 erlebt?

Gerald Baars: Ich war zu dem Zeitpunkt in Alberta/Kanada bei einem Vorbericht zum G8-Gipfel. An diesem Dienstagmorgen war mein Rückflug nach New York gebucht. Weil ich zum Flughafen musste, bin ich um kurz vor sieben aufgestanden, schaltete wie üblich den Fernseher ein und sah auf einmal die ersten „Breaking News“. In diesem Moment habe ich auch schon mit meinem Studio in New York telefoniert und meinen Kameramann, der dort als Stallwache geblieben war, losgeschickt.

Wie sind Sie dann nach New York zurückgekommen?

Ich war schon am Flughafen, aber der Luftraum wurde gesperrt. Dann bin ich mit meinem Team von Edmonton aus in einem Wahnsinnsakt mit einem Leihwagen 5000 Kilometer in 50 Stunden – in Amerika sind 88 Kilometer/Stunde Höchstgeschwindigkeit erlaubt – mit 130 bis 150 Sachen durchgebraust. Dann bin ich in New York ausgestiegen, rein ins Studio und habe angefangen zu arbeiten. Dort hatten die Mitarbeiter seitdem auch nicht mehr geschlafen und mittlerweile unterstützt von Mitarbeitern aus Washington und Kollegen, die zufällig in New York waren, Übermenschliches geleistet.

Wie ist es in der Zwischenzeit Ihrem Kameramann ergangen?

Joe McCarthy war unmittelbar zum World Trade Center gefahren. Er traf dort genau zu dem Zeitpunkt ein, als das zweite Flugzeug in den zweiten Turm eingeschlagen war. Er stand unter dem Südturm, als dieser einstürzte und konnte sich nur durch eine glückliche Fügung retten.

Wie konnte er sich in Sicherheit bringen?

Als er das Geräusch des einstürzenden Turmes hörte, ist er losgelaufen. Ein Polizist neben ihm hat instinktiv mit seiner Pistole die Scheiben des gegenüberliegenden World Finance Centers eingeschossen, dann sind die, die dort standen, in die Lobby des Hauses hineingehechtet. Man hört Joe auf dem Band, das er gedreht hat, sagen: „I’ve lost my camera, i found it back“ (ich habe meine Kamera verloren, aber ich hab sie wiedergefunden) und er dreht dann weiter. Das sind die eindrucksvollsten Szenen überhaupt, die danach gedreht worden sind.

Was geschah dann?

Über Stunden wusste niemand, wo unser Kameramann war. Sein Assistent war zurück zum Auto gegangen, um Batterien zu holen und als er zurückkam, sah er nur, dass der Turm eingestürzt war. Es war alles eine Riesenstaubwolke. Der Assistent war überzeugt: Joe liegt unter den Trümmern. So ist er ins Studio zurückgekehrt, die Ehefrau des Kameramanns wurde verständigt. Und ich bekam weit weg in Kanada erhebliche Schuldgefühle, weil ich ihn dahin geschickt hatte. Ich hatte stundenlange Ungewissheit, was mit Joe passiert ist.

Hat er überlebt?

Nach zwei, drei Stunden kam Joe im Studio an. Er hatte weitergedreht, bis die Batterie endgültig leer war und das Band voll. Er musste zu Fuß zurück laufen, es fuhr ja keine U-Bahn mehr, es gab keine andere Möglichkeit. Er war über und über mit Staub bedeckt, hatte Staub in den Lungen, musste ständig husten. Alle waren glücklich, dass er das überlebt hat. Das sind so Momente, wo man schlicht und einfach denkt: Was hast du da gemacht? Du hast ihn dahin geschickt, jetzt bist Du mitverantwortlich. Wie kannst du das tun, und wie kannst du seiner Frau entgegentreten? Man macht sich große Vorwürfe. Für Joe ist es noch gut ausgegangen, aber nicht für fast 3000 Menschen.

Gerald Baars. Foto: Monika Kirsch
Gerald Baars. Foto: Monika Kirsch © WAZ FotoPool

Wie haben Sie am Tag der Katastrophe, als Sie auf dem Weg von Kanada nach New York waren, Kontakt zu ihren Kollegen vor Ort gehalten?

Es gab keine Kommunikation mehr in New York. Der Telefonknoten war unter dem World Trade Center und somit zerstört, das Festnetz war zusammen gebrochen – übrigens für mindestens sechs Wochen hatte unser Büro keine Festnetzverbindung und kein Internet. Ich kam auch sehr schlecht durch in mein Studio. Es gab so gut wie keine Handyverbindung, die waren völlig überlastet. Ich hab eine Stunde Wahlwiederholung gedrückt, dann kam man vielleicht mal durch.

Was gab es für Sie zu tun, als Sie dann in New York angekommen waren?

Als ich nach den 50 Stunden Autofahrt ausstieg, hab ich ja unmittelbar angefangen zu arbeiten. Ich hatte die ganze Zeit im Auto im Radio die Nachrichtenkanäle gehört. Dann hab ich mich ganz schnell noch von meinen amerikanischen Mitarbeitern vor Ort informieren lassen, und bin dann gleich live in einen ARD-Brennpunkt, dann Tagesthemen. Wir haben damals nonstop berichtet. Ich war der einzige Fernseh-Korrespondent der ARD zu der Zeit in New York, konnte zunächst noch keine Verstärkung aus Deutschland bekommen, weil der Luftraum gesperrt war.

Sie haben ununterbrochen gearbeitet? Das kann doch kein Mensch durchhalten.

Sonntags nach den Anschlägen sind neue Studio-Crews und Reporter über Kanada eingeflogen worden, und auch mit dem Auto von Toronto runtergefahren. Meine eigenen Leute hab ich dann erstmal nach Hause geschickt. Eine Woche nach dem 11. September sollte ein 30-Minuten-Feature laufen, das hat dann die neue Mannschaft gemacht. Und ich dachte, danach gehe ich ins Bett, erst da fiel mir auf, dass ich seit sieben Tagen kaum geschlafen hatte. Ich wusste nicht, dass das geht. Das war so ein Adrenalinstoß. Da war man ein Roboter, ein Hamster im Laufrad, hat jede Information einfach verarbeitet, ich kam gar nicht zum Nachdenken.

Wann konnten Sie innehalten und begreifen, was da eigentlich passiert war?

Das Ereignis selbst richtig zu verarbeiten, hat etwas länger gedauert. Vier Wochen später hatte ich endlich mal wieder etwas Ruhe und guckte auf CNN die Talkshow von Larry King. Der hatte als Gast den Chef von Cantor Fitzgerald, dem Investmentbüro, das fast 700 Mitarbeiter – die gesamte Belegschaft inklusive seines Bruders – mit dem World Trade Center verloren hatte. Der erzählt seine Geschichte. Und wie er das alles schilderte und dabei auch selber mit den Tränen kämpft, da fing ich auf einmal an zu heulen wie ein Schlosshund vorm Fernseher. Da kam bei mir alles raus, was ich erlebt hatte. Das war der Moment, an dem die Emotionen mich überwältigten.

Wie sah die Arbeit für Sie als Journalist nach den Anschlägen aus?

Ich hab danach mit vielen Angehörigen der Opfer, mit Überlebenden, mit Menschen, die dabei waren, gesprochen. Viele kannten jemanden, der im World Trade Center gearbeitet hat. Ich war auch selbst vorher öfter dort, hab Menschen interviewt, wusste, dass auch unter denen, die dort ums Leben gekommen waren, welche sind, mit denen ich schon gesprochen hatte. Ich hab etwa mit dem Hausmeister gesprochen, der mit den Feuerwehrleuten den Turm raufgegangen war und von der 20. Etage durchs Treppenhaus eine behinderte Frau runtergebracht hat. Er war der letzte, der den Turm lebend verlassen hat. Und ich hab mit dem Polizisten gesprochen, der die Scheibe des World Finance Centers eingeschossen hat, wo auch mein Kameramann Joe war. Der hat auch unmittelbar danach weitergemacht und versucht, Menschen zu helfen, sie etwa mit Wasser zu versorgen.

Was hat Sie besonders beeindruckt?

Rudy Washington ist der eigentliche Held des 11. September, der Stellvertreter von Rudolph Giuliani, dem damaligen Bürgermeisters von New York. Washington hat vieles richtig gemacht, er hat Brücken sperren lassen, den ganzen Süden von Manhattan evakuieren lassen, schwere Räumgeräte von allen großen Baufirmen angefordert, Generatoren für Licht, es gab ja keinen Strom mehr, Statiker und Ingenieure angeheuert. Das Schwerste aber für ihn waren die Monate danach: In New York ist es guter Brauch, dass der Bürgermeister bei jeder Beerdigung eines Polizisten, eines Feuerwehrmanns oder eines öffentlich Bediensteten anwesend ist. Bürgermeister Giuliani hat das bei den ersten drei Beerdigungen gemacht, danach hat er Washington gebeten, das für ihn zu übernehmen. Das waren rund 370 Beerdigungen, Monate lang jeden Tag, sechs, manchmal sieben Tage in der Woche . Zwei, manchmal drei Beerdigungen hat er am Tag besucht, und hatte als stellvertretender Bürgermeister nicht das Privileg wie Giuliani, sich einmal zu zeigen, ein paar Worte zu sagen und dann gehen zu können. Er musste Spalier stehen und kondolieren. Das hat ihm den Rest gegeben. Seinen ersten freien Tag hatte Rudy Washington am 12.November, dem „Veteran’s Day“, einem Feiertag in den USA. Er war auf dem Weg zum Golfplatz, da stürzte ein Flugzeug der American Airlines in Queens ab, und jeder glaubte sofort, es sei ein neuer Anschlag. Erst später wurde klar, dass es ein Pilotenfehler war. Danach hat Washington im Dezember seinen Job quittiert und ist wieder als Ingenieur ins Baugewerbe zurückgegangen. Er hat mir erzählt, dass er ein Jahr lang mit niemandem darüber reden konnte. Auch er fing mitten im Interview an zu heulen – ein erwachsener Mann von damals 64 Jahren, da haben wir um die Wette geheult.

Wie haben Sie die Stadt New York nach den Anschlägen erlebt?

Die Stadt ist wirklich zusammen gerückt. Ich habe in der Zeit nach den Anschlägen ein anderes New York erlebt. Damals lebte ich schon über anderthalb Jahre in der Stadt. Vorher hab ich mich als deutscher Korrespondent in New York gefühlt, nach dem 11. September habe ich mich als „German New Yorker“ gefühlt – als deutscher New Yorker. Ich fühle mich auch heute noch als New Yorker, der sich verbunden fühlt mit den Menschen dort. Aus vielen Bekanntschaften, die ich hatte, wurden dann enge Freundschaften, die festhalten bis heute. In diesem Jahr kommen wieder Freunde nach Castrop-Rauxel. Es sind eigentlich jedes Jahr Freunde aus New York hierhin gekommen, die nie in Europa waren. Und ich fahre auch einmal im Jahr hin und besuche sie. Ich hab noch etwas anders erlebt: Die New Yorker sind ja bekannt für Hektik und ‘Money Money’ – auf einmal hatten sie Zeit füreinander, auch Nachbarn, zu denen man vorher nur ,Hi’ sagte und aneinander vorbei ging, kamen und fragten: „Why do they hate us?“ - Warum hassen sie uns? Da war eine Tiefe in der Diskussion und eine große Hilfsbereitschaft untereinander.

Wie hat sich das im Alltag gezeigt?

Es war ja die ganze Infrastruktur zerstört, an keinem Geldautomaten in Manhattan konnte man Geld ziehen, auch die Satellitenschüssel und die Bankdaten-Server waren im World Trade Center und damit weg. In den USA hat niemand viel Bargeld bei sich, sondern viele zahlen mit Karte. Man konnte aber in der Stadt nicht mehr mit Karte bezahlen, weil das System zusammengebrochen war. Also schrieb man einfach an in seinem Geschäft. Es war eine Ehrlichkeit, eine Hilfsbereitschaft da. In einer großen, anonymen Stadt wie New York City ist das sehr ungewöhnlich. Das waren die sehr positiven Erfahrungen danach.

Wie hat sich New York bis heute verändert?

New York ist mit der Zeit natürlich zu ‘business as usual’ (zum normalen Betrieb) zurückgekehrt. Aber das hat schon eine Weile gedauert. Es waren ja nicht nur die Gebäude weg, es sind damals so viele Arbeitsplätze physisch weggefallen, wie ganz Atlanta an Arbeitsplätzen hat – allein in Manhattan. Allein in den beiden Türmen haben 40 000 Menschen gearbeitet, insgesamt waren 140 000 Arbeitsplätze im Finanzdistrikt einfach nicht mehr da. Es kam auch niemand mehr nach New York, keine Touristen, keine Geschäftsreisenden. Es gab zum Beispiel lange keine Nonstop-Flüge mehr von New York nach Düsseldorf, viele flogen nicht mehr aus Angst, schon gar nicht in die USA. Der Tourismus ist auch eine wichtige Einnahmequelle in der Stadt. Da die Hotels leer standen, haben viele Firmen, die ihre Büroräume verloren hatten, leerstehende Hotelzimmer angemietet und daraus Büros gemacht. Mindestens zwei, drei Jahre hat New York wirtschaftlich darunter gelitten, bis sich das wieder normalisiert hat. Es hat auch lange gedauert, bis alle Gebäude ringsum das World Trade Center repariert oder wieder aufgebaut waren. Dann kamen auch die Unternehmen wieder zurück. Ground Zero ist jetzt eine Großbaustelle, der neue Freedom-Tower wird 2013 fertig sein, wenn alles planmäßig läuft. Dann ist das Kapitel auch nicht mehr als Narbe in der Stadt zu sehen – das hat lange gedauert.

Wie ist das Leben heute in New York?

Heute gibt es eine andere Sensibilität, es gibt eine andere Aufmerksamkeit, die Menschen sind nicht mehr unbefangen. Ich habe den großen Stromausfall dort erlebt, wo alle Leute in Panik auf die Straße gelaufen sind, weil sie dachten, das ist wieder ein Anschlag. Das alles steckt denen immer noch in den Knochen. Und wir merken doch auch heute noch: Es passiert irgendetwas in New York, und prompt ist da eine ganz andere weltweite Beachtung – zack, wird gleich das Programm unterbrochen.

Wie gehen Sie persönlich mit dem 11. September um?

Im professionellen Bereich rede ich natürlich über den 11. September, aber privat nicht. Mit Joe McCarthy, meinem Kameramann von damals, hab ich kürzlich noch telefoniert. Der konnte zwischendurch auch nicht mehr, war traumatisiert, hat sich aus dem aktuellen Fernsehgeschäft zurückgezogen, hat nur noch schöne Filme gemacht, nichts Aktuelles mehr. Jetzt geht es ihm wieder besser, und er arbeitet auch wieder für die ARD. Aber ich glaube nicht, dass er am 11. September, dem Jahrestag, unbedingt arbeiten möchte. Wir haben uns verabredet, dass wir uns treffen, wenn ich in diesem Monat wieder komme. Da gibt es schon so was wie einen Stammtisch. Immer wenn ich nach New York kommen, sage ich den ehemaligen Kollegen, die das alles gemeinsam mitgemacht haben, Bescheid, dann sind die alle da.

Wenn Sie die zehn Jahre Revue passieren lassen, was hat sich geändert?

Die Welt ist heute eine andere. Es ist eine bedrohlichere Welt geworden. Vorher gab es einen kalten Krieg, da haben sich zwei Supermächte mit ihrem Potenzial in Schach gehalten. Dann gab es eine Riesenchance ab 1990, wo die Vereinten Nationen hätten stärker werden können, wo Dialogbereitschaft für eine neue Weltordnung hätte entstehen können. 2000 war eine Aufbruchstimmung mit dem Millenium-Programm der UNO, das führte auch dazu, dass Kofi Annan den Friedensnobelpreis bekam. Es war alles viel versprechend – bis zum 11. September. Seitdem ist der Gegner nicht mehr klar. Vorher gab es zwei klare Blöcke. Doch wie will man einen Gegner bekämpfen, der in den Köpfen vieler, im Zweifel Tausender Menschen ist, die schlicht und einfach die westliche Zivilisation, unser Weltbild, als dekadent, Bedrohung und auch Unterdrückung empfinden, gegen das sie einen heiligen Krieg führen? Dagegen kann man sich nicht schützen.

Wie beurteilen Sie die heutige Situation mit Blick auf den Nahen Osten?

Wir haben eine Entwicklung, die ist über die letzten zehn Jahre eskaliert. Im Nahen Osten hat der Westen viel zu lange Stabilität in den Vordergrund gestellt und nicht auch die Bedürfnisse der Menschen in den Ländern. Die Herausforderung ist, wie können junge Menschen arabischer Herkunft, die sich lange als zweitklassig, diskriminiert und unterdrückt gefühlt haben – mit Fug und Recht – wieder Vertrauen fassen. Ich hab bis heute nicht verstanden, wie ein Mohammed Atta und andere, die in Hamburg studierten, die westliche Lebensweise kennen gelernt und gelebt hatten, die als Ingenieur oder Akademiker großartige persönliche Perspektiven gehabt hätten, in ein Flugzeug steigen, es kapern, und sich auf diese Weise selbst das Leben nehmen. Es ist mir unklar, was da mit diesen Menschen passiert ist. Die haben doch Bildung und Intelligenz mitgebracht.

Was erinnert Sie heute, zehn Jahre danach, an den 11. September?

Wie es der Zufall wollte, war ich genau in diesem Jahr in Oslo in Urlaub, als dort der Anschlag passierte. Ich war in Oslo eine halbe Stunde, bevor die Bombe explodiert ist, eingetroffen und hab die Explosion in der Innenstadt gehört und die Menschen gesehen, wie sie geschockt waren oder in Panik wegliefen. Und überall die Glasscherben auf dem Boden, es waren ja viele Häuserblocks entfernt noch die Schaufensterscheiben zu Bruch gegangen. Da hab ich mich natürlich ganz unmittelbar an den 11. September zehn Jahre vorher erinnert gefühlt.

Was haben die Erlebnisse rund um den 11. September mit Ihnen als Mensch gemacht?

Jeder Mensch hat im Leben prägende Erlebnisse, es gibt eine ganze Reihe davon – der 11. September gehört zweifellos mit zu den prägenden Erlebnissen. Es ist klar, dass einem in einer solchen Situation erst einmal die Endlichkeit des Lebens in Erinnerung gerufen wird, dass man sich bestimmter Werte deutlicher bewusst wird. Dazu gehören Zusammenhalt, Freundschaft, auf einander zugehen, auch mal Zeit nehmen. Dass etwa vermeintliche Karriere eine schale Angelegenheit ist, sondern andere Dinge zählen. Und dazu gehört wirklich gute enge Freundschaft. Man reflektiert mehr, man wird nachdenklicher. Nach dem 11. September hab ich im Mai 2002 dann auch geheiratet – nach 14 Jahren Zusammensein.

Der Sprung von New York nach Castrop-Rauxel: Seit 2006 leben Sie jetzt hier. Wie fühlt sich das im Vergleich an?

Jetzt wohne ich am Central Park West, nämlich am Stadtgarten (lacht). Es ist aber kein Ausruhen hier, es ist eine andere Art von Leben. Das erste, was ich erlebt hab, als ich hier ankam und ins Bürgerbüro ging, um mich anzumelden, war die Begrüßung im Bürgerbüro der Stadt, als ich mich anmelden wollte: Die Mitarbeiterin fragte:‘Sie kommen aus New York? Was wollen Sie denn in diesem Kaff hier?’ Natürlich hielt ich ihr entgegen:‘Wie reden Sie über meine künftige Heimatstadt?’ Das zeigt ein Problem von Castrop-Rauxel: Selbst die Einwohner identifizieren sich nicht richtig mit ihrer Heimat und vermitteln oft ein falsches Bild von ihrer Stadt. Dabei ist Castrop-Rauxel ist eine deutlich unterschätzte Stadt. Ich verstehe bis heute nicht, warum so viele Millionäre aus Dortmund in Herdecke wohnen. Castrop-Rauxel ist mindestens genauso schön, was die Wohnqualität angeht. Ich finde es schade, dass viele Castrop-Rauxeler ihre Altstadt nicht mehr nutzen und genießen, die so schön ist. Viele fahren von Ickern oder Habinghorst überall hin zum Ausgehen oder Einkaufen, nur nicht in die Altstadt.