Bottrop.

Der Tag sollte für Sabrina ein Höhepunkt des Jahres werden. Doch ihr bester Freund Sebastian hat am Rosenmontag viel zu viel getrunken. Der restlos Betrunkene landet in der Kinderklinik des Marienhospitals - zur „Spezialbehandlung“.

So hat Sabrina sich das nicht vorgestellt. Der Rosenmontag stand seit Monaten als Highlight im Kalender der 18-Jährigen. Jetzt ist es ein Uhr mittags, und Sabrina findet sich in ihrem rosafarbenen Feenkostüm auf dem Flur der Kinderklinik des Marienhospitals (MHB) wieder. Im Bett vor ihr kauert ihr bester Freund Sebastian (17) in Embryonalstellung. Eine Nierenschale unter seinem Gesicht soll den Inhalt seines Magens auffangen, der sich in kurzen Abständen schwallartig entleert.

Einfach nur schlafen

Sebastian selbst scheint von dem Trubel, der um ihn herum herrscht, kaum etwas wahrzunehmen. Er weiß gerade noch, wie er heißt, und wiederholt mit verwaschener Sprache ständig den Satz „Mir ist kalt!“ – und das, obwohl er bereits zweifach zugedeckt ist. Dass er soeben von einem Rettungswagen am Rande des Rosenmontagszuges aufgegabelt wurde, hat er wahrscheinlich schon vergessen. Sebastian will einfach nur schlafen.

Über zwei Promille

Als wenig später Ärzte und Schwestern mit der Versorgung des Jugendlichen beginnen, wird es Sabrina zu viel. Dicke Tränen kullern über ihr Gesicht: „ Ich bin total überfordert und fühle mich einfach hilflos.“ Sebastian sei schon vor Beginn des Rosenmontagszuges angetrunken gewesen, erinnert sich seine Freundin, „aber dann hat er noch ein paar Wodka-Energy hinterhergekippt.“ Die haben ihm den Rest gegeben. Die Ärzte stellen bei Sebastian wenig später einen Blut-Alkoholgehalt von knapp über zwei Promille fest.

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Von DerWesten

Da hat Sebastian den ersten Teil der „Spezialbehandlung“ schon hinter sich: Sein buntes Hippiekostüm wurde gegen eine Windel ausgetauscht. Außerdem wird er an einen Monitor angeschlossen, mit dem die Ärzte seinen Kreislauf überwachen. Über einen venösen Zugang erhält er eine Infusion mit Kochsalzlösung. Und im Labor wird das Blut des Jugendlichen weiter untersucht.

In dieser Zeit bleibt der 17-Jährige in einem Bett auf dem Flur liegen – allerdings nicht aufgrund von Platzmangel. „Wir müssen die Alkoholisierten im Blick haben“, weiß die erfahrene Krankenschwester Noelle Zairi. Denn wer im komatösen Zustand erbricht, dem droht beispielsweise eine Aspiration. Dabei läuft das Erbrochene in die Lunge und kann dort schwere Komplikationen hervorrufen. „Außerdem hat das Ganze auch einen erzieherischen Charakter“, erklärt Assistenzarzt Björn Willmann.

Sebastian soll an diesem Tag nicht sein einziger Alkoholpatient bleiben. Innerhalb von einer Stunde, bis zwei Uhr nachmittags, erreichen sechs minderjährige Patienten am Rande der Alkoholvergiftung die Kinderklinik per Rettungswagen. Ärzte und Schwestern der Kinderstation im Marienhospital versorgen im Akkord, um allen Patienten gerecht zu werden. Und obwohl dieser Tag zu den besonders stressigen gehört, arbeiten alle ruhig und routiniert – Alkohol ist kein neues Problem in der Kinderklinik. „Letztes Jahr waren es insgesamt 70 Fälle“, weiß Susanne Stark, Stationsleiterin und Krankenschwester.

Selbstschädigend

Der Chefarzt der Kinderklinik im MHB, Dr. Martin Günther, beobachtet in seiner Klinik seit Jahren einen Anstieg der alkoholbedingten Aufnahmen. „Es stimmt aber nicht unbedingt, dass die Jugendlichen von heute mehr trinken. Sie trinken anders.“ Früher erntete man Anerkennung mit Durchhaltevermögen auf einer Party - heute mutiert derjenige zur Attraktion, der seinen Alkoholpegel möglichst schnell in komaverdächtige Höhen treibt. „Das Ganze hat in vielen Fällen einen selbstschädigenden Charakter“, meint Dr. Günther.