Castrop-Rauxel/Datteln.

Die 14-Jährige hatte 1,6 Promille intus und sich selbst nicht mehr unter Kontrolle, als sie in die Notfallambulanz der Kinderklinik gebracht wurde. Was sie getrunken hat? „Die Antwort war ein Klassiker“, sagt Prof. Dr. Michael Paulussen. Das Mädel sagte: „Ich weiß nicht.“

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    Der Ärztliche Direktor der Vestischen Kinder- und Jugendklinik und die Kinderschutz-AG des Hauses sind alarmiert. Sie beobachten eine wachsende Zahl betrunkener Minderjähriger. Geschichten wie die des 14-jährigen Mädchens mehren sich. Dem zunehmenden Problem will man sich jetzt offensiv annehmen. Was nicht heißen soll, dass die betreuenden Ärzte in der Kinderklinik keine Ursachenforschung betreiben und Gespräche führen würden. Nur: Die Aufenthaltsdauer ist relativ kurz, die Scham der jungen Betrunkenen mindestens so groß wie die Fassungslosigkeit der Eltern.

    Gemeinsam mehr Hilfsangebote anbieten

    Rechtzeitig vor dem Höhepunkt des Karnevals hat sich die Kinderklinik mit der Drogenhilfe Recklinghausen/Ostvest e.V. und der Suchthilfe Essen vernetzt, um geballte Hilfsangebote bei riskantem Alkoholkonsum Jugendlicher anzubieten. Hart am Limit, kurz „HaLT“, baut darauf auf, Kindern und Jugendlichen nach Alkoholexzessen noch während des stationären Aufenthaltes ein direktes Angebot mit nachhaltigem Charakter anzubieten.

    Voraussetzung ist eine Entbindung von der Schweigepflicht. „Wir treten sofort mit den Eltern in Kontakt, wenn es eine Schweigepflichtentbindung gibt, und führen ein Brückengespräch, dem sich ein Risiko-Check anschließt“, beschreiben Michaela Koffler und Petra Radke den Ablauf.

    Die Jugendlichen sollen ihre Situation reflektieren

    Zum Check gehört auch das Angebot, an einem Workshop teilzunehmen. Jugendliche tauschen sich hier untereinander aus und können ihre persönliche Situation reflektieren. Erlebnispädagogik in Form von Risikosportangeboten ermöglicht, eigene Grenzen zu erkennen und „Nein, bis hierhin und nicht weiter“ zu sagen.

    Anja Gröschell von der Recklinghäuser Drogenhilfe ist dankbar für die Unterstützung der Essener Suchthilfe. „Für uns als Drogenhilfe wäre das Projekt nicht machbar gewesen.“ Sie wünscht sich im übrigen wie ihre Mitstreiter mehr gesellschaftliche Sensibilität und Achtsamkeit im Umgang mit trinkenden Jugendlichen. Wie beispielsweise bei der Nikotin-Diskussion. Die letztlich zum Rauchverbot für unter 18-Jährige geführt habe.

    Druck der Gruppendynamik

    Alkoholkonsum sei kein Phänomen der sozialen Schicht, sondern entstehe im Umfeld: Party machen, raus gehen, Cliquen-Treffen. Dabei kreise vermehrt Alkohol, zunehmend so genannte Alcopops. Mischgetränke, häufig mit Wodka versetzt, deren verheerende Folgen Kinder und Jugendliche unter dem Druck der Gruppendynamik oft gar nicht einschätzen könnten. Prof. Paulussen zitiert einen Jugendlichen, der einmal beschrieben hat, was in seiner Gruppe abgeht: Der Coolste sei der Betrunkenste. „Wir können als Klinik, die Wert auf Kinderschutz legt, die Patienten nicht einfach wieder in ihr Umfeld entlassen“, sagt er.

    Da anzudocken, wo gerade das Schockerlebnis Alkohol war, ist für Drogenhilfe, Klinik und Suchthilfe der richtige Weg. Es gehe nicht um Abstinenz für immer, es gehe um kontrollierten Umgang mit Alkohol.