Bottrop-Kirchhellen. Wo früher in Bottrop-Grafenwald Brot über die Theke ging, gibt es nun Frisches aus Japans Küche. Anastasia aus Kiew lernte beim Koch aus Tokio.

Grafenwald wird polyglott. Im Dorfkern eröffnen gerade eine Ukrainerin und ein Armenier einen Imbiss mit japanischer Küche. Noch steht „Bäckerei“ über dem Ladenlokal, das früher einmal Terwellen beherbergte. Dazwischen gab es noch „Ana’s Lädchen“ – aber auch das ist Geschichte.

Seit zwei Wochen betreiben Anastasia und Avetik Avetikyan dort nun einen japanischen Imbiss: Midori. Bislang nur als Lieferservice, unter anderem über Lieferando. Ab dem neuen Jahr aber auch im Lokal, gegenüber vom Café Engelseck und in Sichtweite der „Wöller Storwe“.

„Midori. Das heißt grün“, sagt Anastasia und zeigt lächelnd auf die grün-dominierte Inneneinrichtung. Wandregale, farbige Absetzung des Thekenbereichs: Alles leuchtet in dieser Farbe der Hoffnung. Nicht schlecht, denn Avetik und Anastasia, die mit ihrer fünfjährigen Tochter Michelle kurz nach Kriegsbeginn vor anderthalb Jahren nach Bottrop gekommen sind, nehmen ihr neues Leben seither selbst aktiv in die Hand. Dass dies mit ihrem alten in Kiew nicht all zu viel zu tun hat, kann man sich unschwer vorstellen.

Ukrainische Imbiss-Betreiber: Familie und Freunde über halb Europa verstreut

„Aber wir haben Freunde in Europa“, sagt Avetik, der einen armenischen Pass und eine ukrainische Aufenthaltsgenehmigung hat. „Sonst wäre mein Mann mit 37 Jahren wohl nicht legal aus der Ukraine herausgekommen, wie so viele, die jetzt Kriegsdienst leisten müssen“, erzählt Anastasia.

Noch steht Bäckerei drauf - ist aber schon Sushi drin. Mitten in Grafenwald, Zur Grafenmühle 2, haben Anastasia und Avetik Avetikyan ihren japanischen Imbiss „Midori“ eröffnet. Zurzeit gibt es nur Lieferservice, ab Januar auch Service im Lokal.
Noch steht Bäckerei drauf - ist aber schon Sushi drin. Mitten in Grafenwald, Zur Grafenmühle 2, haben Anastasia und Avetik Avetikyan ihren japanischen Imbiss „Midori“ eröffnet. Zurzeit gibt es nur Lieferservice, ab Januar auch Service im Lokal. © Funke FotoServices | Kerstin Bögeholz

Als im Februar 2022 Russland die Nachbarn überfiel, lebten die kleine Familie gerade vier Tage in ihrer neu renovierten Wohnung. Anastasia hatten vor kurzem ihren Lehrerinnenberuf gegen einen Job im Management eingetauscht, Avetik hatte ein Geschäft für zeitgenössische ausgefallene Möbel, die ein Freund in Litauen produziert, und die er in der Ukraine mit eigener Logistik vertrieb.

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Als die erste russische Rakete direkt im Nachbarhaus einschlug war für beide klar: Wir gehen. Zuerst zu Verwandten in die Westukraine, nach Uschgorod, nahe der slowakischen Grenze. Dann zu guten Freunden nach Bottrop. Wie oft sich ihr Leben seither verändert hat, lässt sich kaum nacherzählen. Fest steht: Die Avetikyans wollen sich eine eigene Existenz in Bottrop aufbauen. Dabei denkt man aus deutscher Perspektive sicher nicht sofort an japanische Küche.

Neuer Sushi-Imbiss in Bottrop-Grafenwald: Vor allem Klassiker auf der Karte

„Für uns Ukrainer ist das gar nicht ungewöhnlich“, sagt Anastasia. Japanische Küche sei in er Ukraine sehr populär, richtig beliebt und vor allem in den großen Städten in toller Qualität zu bekommen. Anastasia hat sich von Bottrop aus umgehört. „Schließlich habe ich über ein Jahr gelernt, bei einem Küchenchef in Düsseldorf. Seit zwei Wochen produziert sie frisch in der Küche hinter dem Ladenlokal.

Natürlich weist die Speisekarte bislang eher die Klassiker auf. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf Rolls und Sushi. Nigiri, Maki, Sashimi, Gunkan-Maki. Warme Gerichte, Reis mit Meeresfrüchten oder Hähnchen, einige Desserts wie japanischer Pudding, Banane in Tempura-Teig.

Japanische Küche ist in ukrainischen Großstädten der Hit – vielleicht bald auch in Grafenwald

Anastasia und Avetik freuen sich über ihren guten Essener Fischlieferanten. Topfrisch, 1a-Sushiqualität und auch bei spontanerer Anfrage flexibel. „Die erste Woche war ruhig“, erzählt Avetik. Er hat die Auslieferung übernommen. „Jetzt, in der zweiten Woche, lief es so gut, dass wir zum Bespiel bei Thunfisch total ausverkauft waren“, sagt Anastasia.

Es muss also auch Mund-zu-Mund-Propaganda geben, zumindest in Grafenwald, da sind sich die Neu-Gastronomen sicher. Aber es seien tatsächlich schon viele Lieferanfragen aus Dorsten oder Gladbeck, selbst aus Gelsenkirchen gekommen, obwohl ihre eigene Homepage noch in Arbeit ist – bei einem Freund, einem Webdesigner in Kiew.

Natürlich sind beide mit ihren Gedanken oft bei Freunden und Verwandten. Anastasias Mutter hatte ein Ferienhaus am Schwarzen Meer, nicht weit von Cherson. „Da war ich vor dem Krieg oft mit Michelle.“ Dann kamen die Russen. Von dem Haus sei nicht mehr viel übrig.

Ein anderer Freund, er kommt aus Butscha, war zufällig nicht in der Stadt, als die Russen einfielen. Seit er die Folgen des Massakers gesehen habe, sei er ganz verändert, „ein riesiger Kerl, der ein eigenes Transportgeschäft hatte, den ich vorher noch nie weinen sah“, erzählt Avetik. Jetzt ist er ganz verändert und dient als Offizier in der Armee. Das Ehepaar schluckt. Anastasia nimmt ihre Tochter auf den Arm.

Ukrainische Familie über Bottrop: „Man hat das Gefühl, willkommen zu sein“

Sie und ihr Mann sprechen übrigens nach so kurzer Zeit ziemlich gut deutsch. Vorkenntnisse? „Keine, Deutschkurse, zuletzt B1 und B2, dann natürlich etwas Fleiß.“ Deutsch ist zwar nicht leicht, aber auf keinen Fall so schwer, dass man in ein, zwei Jahren nicht schonen einen guten Level erreichen könne. Stimmt, hörbar.

Auf Bottrop lassen sie nichts kommen. „Wir haben hier sehr viel Unterstützung erfahren, nicht nur durch die Bottroperinnen und Bottroper oder Ukrainer, die hier sind, auch durch die Ämter, die uns beraten und gut geholfen haben“, sagt Anastasia. Verglichen mit Kiew sei Bottrop sehr übersichtlich. „Man wird angesprochen, hat das Gefühl, willkommen zu sein.“ Wirklich ein gutes Gefühl.

Midori, Zur Grafenmühle 2., Bot-Grafenwald. Geöffnet Di - So. Kontakt: Lieferando.de/Midori-Bottrop. Eigene Homepage folgt.