Bottrop. Die Tilgung der Erinnerung an den ersten Ruhrbischof erfolgt gerade rasend schnell. Sollen Straßen überhaupt noch nach Personen benannt werden?
Blinder Eifer schadet nur. Als solchen könnte man den fast schon überbordenden Aktionismus auch sprichwörtlich charakterisieren, der gerade im Umgang mit der Erinnerung an den ersten Bischof von Essen, Franz Kardinal Hengsbach, stattfindet. Der tobt nicht nur im Umfeld des Bischofssitzes oder der Stadt Essen, sondern in allen Kommunen, die in den letzten drei Jahrzehnten ihre Verbundenheit mit dem 1991 verstorbenen Kirchenmann konkret gezeigt haben – durch Straßennamen wie in Bottrop oder die inzwischen bundesweit bekannte und nun abmontierte Essener Statue.
Dass bei dieser Erinnerungs-Demontage neben Stadtoberhäuptern und Politikern die Kirche selbst einem Rigorismus huldigt und sich offensichtlich nicht schnell genug von Hengsbach trennen kann, überrascht eigentlich nur auf den ersten Blick. Denn seit einigen Jahren schon verabschiedet sich die Generation von Klerikern und Nicht-Klerikern im Bistum, die gerade am Ruder ist (und von denen einige selbst möglicherweise noch unter Hengsbachs eigenem Rigorismus in Sachen Moral, Disziplin, Kirchenbild und Theologie gelitten haben) von der einstigen Lichtgestalt.
Die Zeiten, als selbst Altkanzler Helmut Schmidt genau den Franz Hengsbach als „wichtigsten Mann des Ruhrgebiets“ bezeichnete, sind eben schon lange vorbei – schon lange, bevor die Vorwürfe möglicher sexueller Verfehlungen des Geistlichen 2011 seinem heutigen Amtsnachfolger präsentiert wurden.
Integrationsfigur über das katholische Milieu hinaus – alles wird rasend schnell abgehakt
Die Rolle als Integrationsfigur der Region über die Grenzen des katholischen Milieus hinaus, einer, den die Industriebosse ebenso schätzten, wie die Arbeiter, deren Kohle er im Ring trug, Mitinitiator des Initiativkreises Ruhrgebiet, oder selbst Leichtgewichtigeres wie die Ehrenmitgliedschaft im FC Schalke 04: All das scheint rasend schnell abgehakt, ohne das Schuld im juristischen Sinne überhaupt noch bewiesen werden kann. Es sei denn, es gäbe andere Zeugen als die mutmaßlichen Opfer.
Möglicherweise holt jetzt ein Rigorismus den anderen ein, übertrifft ihn vielleicht sogar in puncto Tempo. Selten sind zum Beispiel Straßenumbenennungen schon fast als Fakt präsentiert worden, wie im Fall Hengsbachs. Sieht man einmal von der unmittelbaren Nachkriegszeit ab, als teilweise schon vor dem Einmarsch der Alliierten Truppen Embleme und vor allem auch Straßenschilder, die an die verbrecherischen braunen Machthaber erinnerten, zu Recht verschwanden.
Wie die Erinnerung an die unbestreitbaren Verdienste Hengsbachs für Bistum und Region künftig aussehen könnte, da hat auch Bischof Franz-Josef Overbeck kein Patentrezept, zumal nicht einmal klar zu sein scheint, ob es möglicherweise noch weitere Vorwürfe gegen Hengsbach gibt. Der Bischof als Lernender, wie er sich selbst bezeichnet, einer, der sich auch für eigene Fehler im Umgang mit diesem Komplex entschuldigt, Untersuchungen „von außen“ unterstützt: Das hat so noch nie gegeben.
Am besten keine Straßen oder Plätze mehr nach Personen benennen
Vielleicht wird man eines Tages sogar sagen, die katholische Kirche hat nach langer Zeit menschlichen Versagens, der Vertuschung und Skandalen irgendwann angefangen, exemplarisch bei der Missbrauchsaufklärung zu handeln. In anderen gesellschaftliche relevanten Gruppierungen, Organisationen oder Einrichtungen passiert da immer noch viel weniger.
Nur eins sollte man lassen: Das Grab in der Bischofsgruft anzurühren. An welchem Grab steht heute „Mörder“ oder „Vergewaltiger“ – egal wie groß und einwandfrei juristisch erwiesen die Schuld des dort Bestatteten war. Und die Zeiten der „Verbrecherecken“ auf Friedhöfen sind in ihrem Rigorismus zumindest in unseren Breiten längst passé. Eins könnte man lernen: Keine Straßen oder Plätze mehr nach Personen zu benennen. Wessen Weste bleibt schon ein Leben lang gänzlich so rein, um würdig für ein Straßenschild zu sein.