Oberhausen. . Das Bistum Essen, vor 60 Jahren gegründet, setzt sich offensiv mit dem Erbe des charismatischen Gründungsbischofs Franz Hengsbach auseinander.
60 Jahre besteht das Bistum Essen, zu dem von Anfang an die vier Oberhausener Großpfarreien gehören. Nach Maßstäben der katholischen Kirche ist das keine Ewigkeit. Aber was für ein Wandel ist in dieser Zeit geschehen: Während der erste Bischof Franz Hengsbach Gotteshaus um Gotteshaus baute und dem nur wenig übertriebenen Leitsatz frönte: „Jedem Bergarbeiter seine Kirche neben das Bett“, während über Jahrzehnte der Charakter als Volkskirche völlig außer Frage stand, definiert sich die heutige Bistumsleitung mit Bischof Franz-Josef Overbeck an der Spitze völlig anders.
Als „Laboratorium“ unter den deutschen Bistümern will Essen zeigen, wie man baulich und strukturell schlanker wird: „Wir bewegen uns in einem viel zu großen Kleid“, sagte Overbeck dem Online-Portal katholisch.de
Der Bischof und sein Generalvikar Klaus Pfeffer sind beseelt davon, Ballast abzuwerfen, die Kirche wetterfest zu machen für eine Zukunft mit weiter sinkenden Gläubigenzahlen. Das „Ende der Volkskirche“ sei unabänderlich, was bei Overbeck nicht klagend rüberkommt, sondern zukunftsoptimistisch, ja fast ein wenig erwartungsfroh. Von vielen Gebäuden, die Hengsbach einst in verschwenderischer Zahl baute, gelte es, sich ohne falsche Sentimentalität zu trennen. Dass dabei in den Gemeinden auch Ablehnung bis hin zur Wut entstehe, ändere daran nichts.
Bunter und kreativer
Die Kirche müsse „bunter und kreativer“ werden, hat der Bischof verordnet. Experimentiert wird mit neuen Gottesdienst- und Seelsorge-Formaten ebenso wie mit einer kecken Öffentlichkeitsarbeit. Im Bistumsblatt „Bene“, Nachfolger des 2013 eingestellten „Ruhrworts“, stellte man sich sogar selbst in Frage. Warum eigentlich nicht alle Gemeinden an Münster, Köln und Paderborn zurückgeben? Vor 60 Jahren mussten die alten Bischofssitze 1,5 Millionen Gläubige nach Essen abgeben, was umstritten war. Immerhin: Fürs Erste wurde die Notwendigkeit einer Auflösung in dem Artikel verneint.
Auffallend ist auch, dass Overbeck und Pfeffer einen forciert sozialpolitischen, wirtschaftskritischen, oft geradezu linken Diskurs pflegen, was in der katholischen Kirche in Deutschland allerdings mittlerweile keine Exklusivität mehr beanspruchen kann. Beim wohl wichtigsten Streitthema der vergangenen Jahre, der Flüchtlingskrise und ihren integrationspolitischen Folgen, sprach sich Overbeck dann klar für die Aufnahme aller aus, die Einlass ins Land begehrten – und löste auch wegen seines gebieterischen Tons Diskussionen aus.
Für Kirchenmänner, die am Alten hängen, ist da so recht kein Raum mehr. Das gilt posthum auch für Franz Hengsbach, der das Bistum Essen von 1958 bis zu seinem Tod 1991 wie kein Zweiter prägte. Mit „Mythos Ruhrbistum“ hat der Kirchenhistoriker Franziskus Siepmann ein kritisches Buch vorgelegt, dessen Thesen wie gerufen kamen und von der Bistumsleitung daher positiv aufgenommen wurde.
Dem Bistum tue die „Entmythologisierung“ sehr gut, befand Generalvikar Pfeffer. Gerade Hengsbach selbst sei deutlich vielschichtiger, als es das Konstrukt der „strahlenden Figur“ der Gründerjahre nahelege. „Wir wollen keine Selbstbeweihräucherung.“
Beim Zölibat war er gnadenlos
Als „großer Hoffnungsträger“ gestartet, habe Hengsbach den gesellschaftlichen Wandel, der schon kurz nach dem Start des Bistums Mitte der 1960er eintrat, ausgeblendet, stellt Siepmann fest. Von der kapitalismuskritischen, aus Lateinamerika importierten Befreiungstheologie etwa hielt Hengsbach gar nichts, in der Verhütungs- und Abtreibungsfrage zählte er zu den konservativen Hardlinern, beim Zölibat war er gnadenlos.
Wer aufzumucken wagte, bekam seinen Zorn und seine Macht zu spüren. „Bei jungen Priestern mit neuen Ideen war er gefürchtet wegen seiner autoritären Art.“ Und er ließ weiter Kirchen bauen, als die Gläubigen schon schwanden und das katholische Milieu schütter wurde.
Gleichzeitig aber kultivierte der charismatische Gründungsbischof sein Image als „Kumpel Franz“, als Freund der Arbeiter. Der legendäre Satz bei seiner ersten Predigt im Essener Dom am 1. Januar 1958 gab den Takt vor: „So lasst uns denn in Gottes Namen die erste Schicht verfahren.“
Hengsbach habe es verstanden, „sich unglaublich gut zu verkaufen in einer Zeit, als dies für Bischöfe noch keineswegs üblich war“, analysiert Siepmann.
Die Macht der Bilder
Groß gewachsen und gut aussehend, verstand dieser Bischof etwas von der Macht der Bilder: Unzählige Fotos mit kohle-geschwärztem Gesicht zeugten von oft und gern unternommenen Grubenfahrten, dazu gab es leutselige Szenen mit Menschen. „Von Altkanzler Helmut Schmidt stammt der Satz, Hengsbach sei der wichtigste Mann des Ruhrgebiets“, sagt Siepmann.
So gehörte der Bischof zum kleinen Kreis der Gründungsväter des Initiativkreises Ruhrgebiet, dessen Ziel es war, den wirtschaftlichen Wandel sozial abzufedern. Hier ergeben sich für die heutigen Bistumsoberen wohl noch am ehesten Anknüpfungspunkte.
Hengsbachs Image hallte lange nach. „Noch 20 Jahre nach seinem Tod zählte der WDR ihn zu den 25 bedeutendsten Personen, die es in NRW jemals gab“, berichtet Siepmann. Es klingt – bei allen Verdiensten, die der Historiker ihm zubilligt – etwas verwundert.