Bottrop. Die Pflege von Senioren ist herausfordernd, dennoch liebt der Bottroper Oliver Thomas seinen Beruf. Wir haben ihn bei der Frühschicht begleitet.
Morgens um 7 Uhr im Awo-Seniorenzentrum „Schattige Buche“, zweite Etage. Im gemeinsamen Wohnzimmer läuft das Frühstücksfernsehen, eine Handvoll Herren ist schon fix und fertig angezogen, wartet aufs Frühstück. Altenpfleger Oliver Thomas kommt entspannt hinein, bei dem Herrn auf der Couch sind vorm Essen Blutzuckermessung und Insulingabe dran. „Sonst alles gut?“, fragt Oliver Thomas. „Ein bisschen Kohldampf habe ich gekriegt“, meint der Senior, „bin ja auch nur ein Mensch. Und du?“ Der Pfleger lacht: „Ich auch – obwohl manche sagen….“ – „Du bist eine Maschine“, ergänzt der Senior, und dann „danke, Olli!“
Die erste halbe Stunde Dienst hat der Wohnbereichsleiter da schon hinter sich, samt Übergabe mit der Nachtschicht – „keine Auffälligkeiten“ – und kurzer Absprache mit dem stellvertretenden Pflegedienstleiter. Ab 7.30 Uhr steht im Speiseraum beziehungsweise auf dem Zimmer für jeden Bewohner und jede Bewohnerin ein von der Abteilung Hauswirtschaft nach individuellen Bedürfnissen zusammengestelltes Frühstück bereit.
Mit seinen drei Kollegen und Kolleginnen aus der Frühschicht teilt Oliver Thomas sich die morgendlichen Pflege- und Betreuungsaufgaben. Dabei beginnen nicht alle Senioren den Tag zur selben Zeit, im Gegenteil: „Manche wollen die ersten beim Frühstück sein, andere erst im Bett frühstücken und dann versorgt werden.“
Bewohner in verschiedenen Pflegegraden leben in dem Seniorenzentrum
28 Frauen und Männer in verschiedenen Pflegegraden leben hier, im Wohnbereich zwei. Jede und jeder mit eigenem Charakter, eigener Art des Umgangs. „Rund 95 Prozent von ihnen sind dement oder gerontopsychiatrisch verändert“, sagt Oliver Thomas. Natürlich sei das so manches Mal eine Herausforderung. Aber eine, die dem Bottroper liegt. Er wirkt ruhig, zugewandt, streicht seinem Gegenüber im Gespräch über den Arm, lacht an diesem Morgen gern mit „seinen“ Bewohnern. Auch die „Hilfe“-Rufe aus einem der Zimmer bringen ihn nicht aus der Fassung – „anders kann dieser Senior sich nicht mehr äußern“, erklärt er.
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Vor 20 Jahren, erzählt Oliver Thomas (39), war er Zivildienstleistender, fing dann eine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger an, die er aber abbrach. Als gelernter Kaufmann arbeitete der Bottroper mehrere Jahre im Einzelhandel. Doch als 2014 sein Vater starb, besann er sich noch einmal anders. „Ich wollte gerne wieder in die Pflege.“ Über familiäre Kontakte kam er zur „Schattigen Buche“. Zunächst als Pflegehilfskraft. „Nach zehn Wochen habe ich dann mit 30 Jahren noch einmal die Ausbildung angefangen.“ 2018 setzte er noch eine Weiterbildung zur gerontopsychiatrischen Fachkraft drauf.
Was er mag an der Pflege, ist die soziale Komponente. „Dass ich den Senioren helfen kann. Für Kleinigkeiten erhält man enorm viel Dankbarkeit. Mir reicht ein kleines Lächeln und das Wissen, dass die Menschen zufrieden und vernünftig versorgt sind.“ Zudem mag er die Abwechslung, „kein Tag ist wie der andere“. Dazu komme, dass die „Schattige Buche“ mit insgesamt 72 Plätzen ein kleines, familiäres Haus sei mit einem Team, das sich gegenseitig unterstütze.
Das Team: Es wirkt zwar nicht gehetzt, aber gut beschäftigt in diesen Morgenstunden. Personell sei man im Haus gut aufgestellt, unterstreicht der Wohnbereichsleiter. „Natürlich gibt es zwischendurch auch mal ein paar schlechtere Tage, in Urlaubszeiten oder wenn jemand krank wird.“ Und ebenso natürlich würde es dem Pflege- und Gesundheitsbereich ganz allgemein guttun, würde die Politik für attraktivere Rahmenbedingungen sorgen, findet Oliver Thomas. Durch einen höheren Personalschlüssel, bessere Bezahlung, andere Zeitmodelle. Aber in jedem Fall sei in der „Schattigen Buche“ für die Besetzung der vorhandenen Stellen gesorgt, inklusive vier Azubis für die Fachkräfte-Nachwuchssicherung.
Vieles ist Routine während einer Pflegeschicht
Oliver Thomas schlägt jetzt den Weg zum Zimmer von Herrn R. ein, der bettlägerig ist. Gleich neben seinem Bett bilden Familienschnappschüsse eine Fotowand, und als Olli ihn vorsichtig weckt, hält Herr R. schon gleich den Finger hoch, zur Blutzuckermessung.
Vieles ist Routine, während so einer Schicht. Als Nächstes ist die pflegerische Versorgung von Frau M. dran. „Ich beginne mit der Begrüßung auf der Bettkante, reiche dann erst einmal etwas zu trinken an.“ Danach geht’s ins Bad zum Toilettengang, „in der Zeit mache ich das Bett“. Intimpflege, das Waschen des Oberkörpers – unterstützt wird überall da, wo die Bewohner Hilfe eben brauchen. „Soweit noch Ressourcen da sind, wollen wir die natürlich noch fordern und fördern.“
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Bettlägerige wie Herr R. werden hingegen komplett in ihrem Bett versorgt. „Mindestens einmal in der Woche werden alle Bewohnerinnen und Bewohner geduscht oder gebadet“, erklärt Oliver Thomas. Dafür gebe es sogar Bettbadewannen, die man sich in etwa vorstellen könne wie ein Planschbecken. „Bettlägerige werden alle zwei bis drei Stunden gelagert und man muss täglich ihre Haut auf Rötungen oder Druckstellen hin inspizieren.“ In Lagerprotokollen werden die Beobachtungen und Maßnahmen festgehalten.
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Sorgfalt gehört zu den unerlässlichen Geboten in der Pflege. Die Medikamente, die der Wohnbereichsleiter zu Schichtbeginn schon „portioniert“ hat, werden in einem abschließbaren Schrank im Besprechungszimmer aufbewahrt. Kurze Gänge zu weiteren Bewohnern inklusive Medikamentengabe stehen an, bevor der Pfleger sich zu Herrn K. ins Wohnzimmer setzt. Der Senior hat in einem gelben, gut gepolsterten Spezial-Pflegesessel gedöst, und Oliver Thomas reicht ihm jetzt in aller Ruhe das Essen an und zu trinken in einer Tasse mit Strohhalm. „Heute gibt es Weißbrot mit Leberwurst.“ Sie kommunizieren ohne Worte; zum Abschluss reicht ein Handschlag – „dann weiß ich, dass alles gut ist“.
Frau T. dagegen, deren Füße Oliver Thomas als Nächstes eincremt, plaudert gern, und die Zeit dafür schiebt der Pfleger, wo es möglich ist, ein. Seit Oktober 2021 lebt die Seniorin in der „Schattigen Buche“. „Ich fühle mich sehr wohl. Für mein Alter geht es mir gut“, sagt die 90-Jährige. Dass sie beim Reha-Sport-Angebot des Heims mitmachen soll, passt ihr allerdings offensichtlich nicht so recht. „Ich werde mir das ansehen. Wenn es mir nicht gefällt, lehne ich ab.“ Olli schmunzelt, macht ihr Mut.
„Gegen 9 Uhr, halb zehn ziehe ich mich aus der Pflege raus und mache Dokumentationsarbeiten. Meist sind auch viele Arztanrufe zu tätigen“, berichtet der Wohnbereichsleiter. Weil der eine Bewohner vielleicht eine Überweisung braucht oder der andere ein neues Medikament. Auch manch Gespräch mit Angehörigen will geführt werden. Bürokratie mache rund 50 Prozent seiner Arbeitszeit aus.
In der Stunde vor dem Mittagessen – heute ein Salatteller mit Hähnchen – steht dann allerdings die Zwischenpflege inklusive Toilettengang mit den Bewohnern an. Nach der Mahlzeit gibt’s die nächste Pflegerunde, und manch Senior möchte zu Bett gebracht werden, zur Mittagsruhe. Oliver Thomas schiebt an diesem Tag Herrn T. im Rollstuhl in den kleinen Garten. Der 97-Jährige schaut sich kritisch um. Als er noch fitter war, hat er den Garten auf Vordermann gebracht und gepflegt. „Über sieben Jahre lang“, weiß der Wohnbereichsleiter. Hochbeete sind so angelegt, dass sie auch vom Rollstuhl aus beackert werden können.
„Ich kann nur Gutes über den Beruf sagen“
Für Oliver Thomas folgt an einem normalen Frühdienst-Tag schließlich noch die Übergabe an den Spätdienst, die Kaffee/Kuchen-Runde für die Bewohner – und gegen 14.45 Uhr kann er Feierabend machen. Und wo war die Pause? Der 39-Jährige schmunzelt: „Eine festgelegte Pausenzeit haben wir eigentlich nicht. Die Zeit der Pause bestimmt der Arbeitsalltag.“ Er weiß, dass der Schichtdienst nicht jedem liegt, dass manch einer Berührungsängste im Umgang mit Alten und Kranken hat, aber für sich stellt Oliver Thomas fest: „Ich kann nur Gutes über den Beruf sagen!“
Und wenn er nach der Schicht durch die Tür des Seniorenzentrums nach draußen tritt, lässt er möglichst alles hinter sich. „Das funktioniert nicht immer“, gibt Oliver Thomas zu. „Teilweise sind Bewohner Jahre hier, es entstehen besondere Bindungen. Wir sind ihr Zuhause. Natürlich ist man traurig, wenn sie sterben.“
Denn Olli ist am Ende doch keine Maschine.