Bottrop. Mensure (83) ist an Demenz erkrankt. Trotzdem pflegt ihre Tochter Asimet (52) aus Bottrop sie zuhause - mit Unterstützung ihrer drei Töchter.

Es hat ein wenig gedauert. Vielleicht war ihr der Besuch an diesem Nachmittag nicht recht. Aber am Ende, als das Foto mit Tochter und Enkelinnen gemacht wird, lächelt Großmutter Mensure doch noch. Seit knapp drei Jahren lebt die 83-Jährige bei ihrer Tochter Asimet Senyüz (52) in Bottrop, seit ihre Demenz das alleine Leben unmöglich machte. „Ich war früher das Nesthäkchen, wurde von meiner Mutter verwöhnt. Jetzt kümmere ich mich um sie“, sagt Asimet Senyüz. Sie ist ehrlich: Leicht ist das nicht.

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Ihr Mann Sadettin, ihr Sohn Merdan (30) und vor allem ihre Töchter Gözde (23), Mensure (25) und Selin (28) helfen tatkräftig mit, springen bei der Betreuung der alten Dame ein, wenn’s nötig ist. Gözde, die im Einzelhandel arbeitet, wohnt noch mit im Haus; Selin, die zudem ausgebildete Altenpflegerin ist, nur ein paar Meter entfernt. „Alleine würde ich die Pflege nicht schaffen“, betont Asimet Senyüz. Die 52-Jährige steht ja selbst noch im Berufsleben, arbeitet an drei Tagen in der Woche als Friseurin.

Betreuung in der Interkulturellen Tagespflege: „Das funktioniert gut“

Das sind die Tage, an denen Großmutter Mensure die Interkulturelle Tagespflege „Am Germaniahof“ des Arbeiter-Samariter-Bundes besucht. Die ist spezialisiert auf die Betreuung von deutsch- und von türkischsprachigen Seniorinnen und Senioren. „Das funktioniert gut, ich bin sehr zufrieden mit der Tagespflege!“

Atempausen wie diese – und einen Urlaub zwischendurch, den die Großmutter in der Kurzzeitpflege verbringt – braucht Asimet Senyüz, schlicht, um selbst durchzuhalten. Einen Menschen zu pflegen, der dement ist und unter dem Verlust seines Kurzzeitgedächtnisses leidet, ist eine Herausforderung. „Meine Mutter ist fast drei Jahre bei uns. Immer noch steht sie morgens auf und fragt: Wo ist mein Zuhause?“

Das machen sie gern: gemeinsam ins Fotoalbum schauen. Asimet Senyüz (li.) mit ihrer Mutter Mensure und Tochter Selin.
Das machen sie gern: gemeinsam ins Fotoalbum schauen. Asimet Senyüz (li.) mit ihrer Mutter Mensure und Tochter Selin. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Zudem schlafe ihre Mutter sehr schlecht, „wer von uns nachts wach wird, bringt sie wieder ins Bett“, erzählt Asimet Senyüz mit Blick auf Tochter Gözde. Großmutter Mensure ist den ganzen Tag über aktiv und unruhig, könne nicht allein gelassen werden, brauche Hilfe beim Anziehen und Waschen. Knie- und Gelenkschmerzen plagen sie. „Wir nennen sie unser großes Baby“, sagt Asimet mit liebevollem Blick. Sie nehme Großmutter Mensure überall hin mit, wo es möglich sei – etwa zum Treff der Internationalen Frauengruppe beim Kinderschutzbund, der nicht weit entfernt liegt.

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Aber es gibt Tage, da ist auch Asimet am Ende ihrer Kräfte. „Manchmal kommt der Punkt, an dem ich denke, ich schaffe es nicht mehr.“ Jeden Abend müsse sie kämpfen, denn Großmutter Mensure wolle zum Beispiel unbedingt in ihrer Kleidung und mit Zahnprothese schlafen. Die alte Dame könne dann richtig zickig werden. „Und hundertmal am Tag höre ich: Bring mich nach Hause.“ Das zerrt irgendwann selbst an den besten Nerven. „Ich habe Geduld – aber manchmal auch nicht“, meint die Pflegende schlicht.

„Oma bedankt sich auch und sagt zu Mutti: Ich bin nur eine Last für dich“, ergänzt die junge Mensure (25). Doch von einer Last will niemand in der Familie sprechen. Asimet Senyüz: „Unser Leben ist schon eingeschränkt. Aber ich mache das gerne – auch, wenn meine Mutter bettlägerig würde.“ Sie sieht allerdings ein Problem: „Wenn ich selbst krank werden sollte, dann müsste meine Mutter wohl doch ins Heim.“

Als die Großmutter sich verirrte war klar: Sie kann nicht mehr alleine leben

Die Wurzeln der Familie liegen in der Türkei. „Mein Vater war Gastarbeiter in Deutschland und hat uns nachgeholt“, erzählt die 52-Jährige. Sie selbst sei mit einem Jahr nach Deutschland gekommen. Die Familie, zu der noch vier ältere Geschwister zählen, lebte in Hamm. Als der Vater 2007 starb, wohnte Asimets Mutter zunächst allein. „Doch seit dreieinhalb, vier Jahren klappte das nicht mehr, Mama hat sich sogar verirrt.“

Asimets Töchter fanden gleich, dass die Großmutter nach Bottrop kommen soll. „Im Heim würde sie nicht die gleiche Pflege bekommen wie zu Hause“, glaubt Mensure (25). Für Gözde (23) ist sie „wie eine kleine Schwester“. Selin (28) hat für die Oma sogar ihr Zimmer geräumt und ist zwei Türen weiter gezogen. Inzwischen hat die Familie daheim umgebaut, das Bad ebenerdig machen lassen, Handläufe angebracht, Läufer-Stolperfallen aus den Räumen geräumt. Asimet hat zwei Pflegekurse besucht. „In der ersten Zeit, in der sie bei uns war, habe ich nur geweint, weil sie mir leid tat. Sie war immer so eine selbstständige, tolle Frau.“

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Wünsche, an Heimbetreiber und an die Politik, hat Asimet Senyüz als pflegende Angehörige viele. Zum Beispiel ein derart auskömmliches Pflegegeld, dass die Hauptpflegeperson nicht auch noch arbeiten gehen muss. „Ich erhalte jetzt 728 Euro im Monat für die Pflege. Den Heimen werden Tausende Euro gezahlt.“ Zudem muss aus ihrer Sicht dringend und wirkungsvoll etwas gegen den Fachpflegekraftmangel getan werden – damit sich die Personallage in den Heimen verbessern könne. Vielleicht, so Asimet Senyüz, wäre eine bessere Bezahlung ein Hebel, um Pflegekräfte zu werben.

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Denn was sie mit ihrer Mutter teils mit der Kurzzeitpflege erlebte, macht sie fassungslos. Sie ist aufgrund der persönlichen Erfahrungen mit zwei unterschiedlichen Trägern zu dieser Überzeugung gekommen: „Ein Mensch, der dement ist, ist im Heim verloren.“ Als sie ihre Mutter zuletzt aus der Kurzzeitpflege abgeholt habe, „stand die Pisse bis oben, die Pampers hingen in den Knien. Am Tag vorher ist sie gefallen, hat sich blaue Flecken zugezogen“.

Angeblich habe sie sich nicht pflegen lassen wolle, habe es von den Heimverantwortlichen geheißen – „aber sie ist gar nicht in der Lage, das selbst zu entscheiden“. Altenpflege-Profi Selin bestätigt: „Dieses Heim hat keinen guten Eindruck gemacht. Aber es sind nicht alle so. Es kommt immer auf die Pflegekräfte an, die vor Ort sind.“

Konkret in Bottrop wünscht die Familie sich außerdem ein Interkulturelles Seniorenheim. „Mit Pflegerinnen, die die Sprache der Migranten sprechen.“ Großmutter Mensure spreche zwar gut Deutsch, aber hört die demenzkranke alte Dame ihre von klein auf vertraute Muttersprache, fühlt sie sich gleich wohler und sicherer.