Essen. . Die Bundesregierung will Adoptionen vereinfachen. Doch was heißt es, ein Kind aufzunehmen? Wir haben eine Familie mit ihrem Adoptivsohn besucht.

Es war ein kalter, sonniger Mittwoch im Februar 2003, als Stefanie und Michael Koslak ihren Sohn kennenlernten. In einem Glasbettchen lag er, zwei Tage alt, geboren von einer fremden Frau. Jetzt war er ihrer. Ihr Sohn, ganz plötzlich. Dass sie ein Baby für sie hätte, hatte die Dame von der Adoptionsvermittlung am Telefon gesagt. Ob sie es sich mal angucken wollten. Da saß Stefanie Koslak in einer Besprechung und wusste gar nicht, wie sie umgehen sollte mit diesem spontanen Mutterglück. Gemeinsam mit ihrem Mann raste sie ins evangelische Bethesda-Krankenhaus in Essen-Borbeck. Noch auf der Autofahrt überlegt sie sich einen Namen. Niclas – mit c, obwohl sie ja eigentlich gar keinen wollten, den man immer buchstabieren muss.

Die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam

Vier Jahre vorher hatten Stefanie und Michael Koslak erfahren, dass sie keine Kinder bekommen können. Ein schwerer Schlag war das für das Paar, das sich sehnlich Nachwuchs wünschte. „Wir haben uns ein Jahr Trauerzeit genommen.“ Im Jahr 2000 kontaktierten sie zum ersten Mal die Adoptionsvermittlung, im nächsten Jahr füllten sie den Antrag auf ein Baby aus. Zwischen null und drei Jahren alt sollte es sein.

Die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam. Wie war das Verhältnis zu Ihren Eltern? Wie haben sich Ihre Eltern mit Ihren Großeltern verstanden? Was würden Sie an Ihrem Partner kritisieren? Fragen, die ihnen in zahlreichen Gesprächen gestellt wurden. Die Beziehung der Koslaks, ihre Vergangenheit, ihre Familien – alle Konflikte und Emotionen wurden durchleuchtet. Im Januar 2003 sagte die Adoptionsvermittlung den Koslaks, es werde mindestens ein Jahr dauern bis sie ein Baby im Arm halten würden. Einen Monat später hielten sie Niclas in ihren Armen.

Wie in Trance

„Wir sind wie in Trance rumgelaufen, haben alles auf einmal gekauft“, erzählt Stefanie Koslak. Kinderwagen, Babyschale, Strampler, Bodys. „Sie wissen doch gar nicht, wie groß das Kind ist“, sagten die Verkäuferinnen, „doch, das weiß ich ganz genau“, entgegnete die damals 32-Jährige. Alle vier Stunden fuhren die Koslaks ins Krankenhaus, um Niclas zu füttern. Umsorgt von den Krankenschwestern, die sich so freuten mit dem jungen Paar, stetig verschmitzt flüsternd: „Das sind die Adoptiveltern.“

Stefanie Koslak erfuhr bei der Arbeit, dass sie bald Mutter wird.
Stefanie Koslak erfuhr bei der Arbeit, dass sie bald Mutter wird. © Jakob Studnar

Familie und Freunde kannten die Adoptionspläne; dass es so schnell geht, damit hatte niemand gerechnet. „Stolz haben wir allen gesagt: Wir sind seit zwei Tagen Eltern.“ Stefanie Koslak lacht. Sie lacht viel, herzlich und offen. Sie ist es, die den Großteil der Geschichte erzählt, voller Wärme und Begeisterung. Dieselbe Begeisterung, mit der frischgebackene Mütter über ihre gerade entbundenen Babys schwärmen, spricht aus ihren Worten. Dass die Bundesregierung überlegt, das Adoptionsrecht zu lockern und älteren oder homosexuellen Paaren die Aufnahme eines Babys zu ermöglichen, findet sie gut. Denn für viele kann Adoption ein Segen sein, wie für die Familie Koslak.

Niclas ist heute 14 Jahre alt. Ein aufgeweckter Junge mit dunklen Haaren und dunkler Brille, der gerne schwimmt und Körbe wirft, der die siebte Klasse des Burggymnasiums besucht, der Sport, Kunst und Deutsch mag und Englisch so gar nicht. Der Pokémon Go spielt und Yu-Gi-Oh-Karten sammelt.

Ob es ihn gestört hat, adoptiert zu sein? „Nein, nie!“

Er sitzt im Wohnzimmer der Eigentumswohnung seiner Eltern im Essener Norden und streichelt Hündin Naja. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotografien von ihm und seiner Schwester Alicia in DIN-A2-großen silbernen Rahmen. Vor acht Jahren nahmen die Koslaks das sechs Wochen alte Mädchen als Pflegekind auf; deren leibliche Eltern übertrugen ihnen später auch das Sorgerecht. Einmal sagte ein Mädchen zu Niclas: „Du hast ja gar keine richtige Schwester.“ Das kam bei dem Jugendlichen überhaupt nicht gut an. Ob ihn das irgendwann gestört hat, adoptiert zu sein? „Nein, nie“, sagt der 14-Jährige klar und selbstbewusst.

Ins Herz geschlichen und festgesaugt

Schon als Niclas zwei Jahre alt war, fingen seine Eltern an, ihm zu erklären, dass er nicht ihr leibliches Kind ist. Die Koslaks wollten von Anfang an offen mit dem Thema umgehen. Beim Arzt, bei Arbeitskollegen – und vor allem bei Niclas. Sie prägten die Begriffe „Herzenseltern“ und „Bauchmama“. Sie sind die Herzenseltern, die ihn in ihr Herz geschlossen haben, und die Bauchmama hat ihn im Körper getragen. „Wir sagen das immer so“, erklärt Stefanie Koslak, „die Kinder haben sich in unser Herz geschlichen wie Blutegel und sich festgesaugt“. Ein Bild von Niclas Bauchmama haben die Koslaks nicht, auch wenn sie es sich gewünscht hätten, „damit er weiß, wo seine Wurzeln liegen“.

„Mama und Papa sind meine Eltern.“

Die leibliche Mutter kam nicht aus Deutschland, blieb nach der Geburt die sechs Wochen, die sie es sich noch anders hätte überlegen können, unterschrieb beim Notar, dass sie es nicht getan hatte, verschwand in ihr Heimatland und hinterließ keine Erinnerung für Niclas. Aber Niclas braucht auch nichts, an dem er sich festhalten könnte, für ihn ist völlig klar: „Mama und Papa sind meine Eltern.“

Sie sind eben eine ganz normale Familie. Alicia, Niclas, Michael und Stefanie. „Gott, die Kinder haben es aber gut getroffen“, sagen die Leute manchmal, „aber wir, wir haben es doch am besten getroffen“, meint Stefanie Koslak lächelnd. „Ich wüsste gar nicht, wie man mehr lieben kann.“

>>> Formen der Adoption - von offen bis inkognito

Die Entscheidung für eine Adoption ist für jede Familie eine sehr persönliche und kann viele Gründe haben. Manche Paare wählen lieber die Form der Pflegeelternschaft, um für ein Kind zu sorgen. Adoptivkinder haben rechtlich die gleiche Stellung wie leibliche Kinder. Das Sorgerecht liegt alleine bei den Adoptiveltern. Pflegeeltern hingegen erhalten kein Sorgerecht, das bleibt entweder bei den leiblichen Eltern oder beim Jugendamt. In beiden Fällen gibt es verschiedene Varianten.

Bei der Inkognito-Adoption bleiben die leiblichen Eltern des Kindes anonym. Sie lernen die Adoptiveltern nicht kennen und halten keinerlei Kontakt zu ihnen und dem Kind. Sie haben aber die Möglichkeit, Bilder und Briefe bei der Adoptionsvermittlungsstelle zu hinterlegen. Eine Inkognito-Adoption lässt sich jederzeit bei Einverständnis aller Beteiligten in eine halboffene oder offene Adoption umwandeln.

Entscheiden sich Paare für eine halboffene Adoption, lernen sich die leiblichen und die Adoptiveltern zu Beginn kennen. Sie können sich weiter über die Vermittlungsstelle austauschen, haben aber keinen direkten Kontakt zueinander.

Bei der offenen Adoption hingegen sind sich die Familien namentlich und persönlich bekannt. Die leiblichen Eltern können am Aufwachsen ihres Kindes teilhaben und es gegebenenfalls sehen.

Ähnlich wie eine offene Adoption funktioniert eine Vollzeitpflege. Pflegeeltern geben dem Kind ein neues Zuhause, müssen aber bereit sein, den leiblichen Eltern den Kontakt zu ihm zu ermöglichen. Bei Angelegenheiten des täglichen Lebens können sie für das Kind entscheiden, sorgeberechtigt sind sie in der Regel nicht. Grundentscheidungen, wie die Wahl der Schulform, treffen die leiblichen Eltern. Eine besonders intensive Form der Vollzeitpflege sind Erziehungsstellen. Sie nehmen Pflegekinder mit besonderen Beeinträchtigungen auf und müssen eine pädagogische Ausbildung vorweisen.

Bereitschaftsfamilien hingegen nehmen kurzfristig in Not geratene Kinder auf, in der Regel für maximal drei Monate.

In allen Pflegeformen erhalten die Familien finanzielle Unterstützung vom Jugendamt. Vollzeitpflegeeltern und Erziehungsstellen bekommen zudem Zuschüsse zur Renten- und Unfallversicherung.