Bottrop. Mehr Opfer des Apothekerskandals können Geld aus dem Hilfsfonds des Landes erhalten. Und die Aussicht auf Schmerzensgeld verbessert sich.

Das sind gleich zwei gute Nachrichten für die Opfer des Bottroper Apothekerskandals um gestreckte Krebsmedikamente: Das Land erweitert den Kreis der Anspruchsberechtigten aus einem Hilfsfonds. Und in einer Reihe von Zivilklagen auf Schmerzensgeld zeichnet sich eine neue Perspektive ab.

Auch interessant

Der ehemalige Inhaber der Alten Apotheke, Peter Stadtmann, war Ende November 2016 wegen des Vorwurfes verhaftet worden, Infusionen zur Krebsbehandlung unterdosiert, aber in voller Höhe von den Krankenkassen abgerechnet zu haben. 2018 wurde er deshalb von einer Wirtschaftskammer des Landgerichts Essen unter anderem wegen Millionenbetrugs zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig, seitdem der Bundesgerichtshof (BGH) im Juli 2020 die Revision der Verteidigung verwarf. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Essen verwertet ein Insolvenzverwalter das Vermögen des Apothekers. Seine Villa in Feldhausen ist bereits verkauft. Zuletzt bestätigte ein Sprecher des Insolvenzverwalters, dass sieben weitere Immobilien an der Hochstraße verkauft werden sollen.

Lesen Sie weitere Berichte aus Bottrop:

Den Erlösen aus diesen Verkäufen stehen hohe Forderungen der Gläubiger im Insolvenzverfahren gegenüber, die sich inzwischen auf 120 Millionen Euro summieren. Einen großen Teil davon machen rund 40 Krankenkassen geltend, die sich durch die Abrechnungen des Apothekers betrogen sehen. Die Höhe dieser Forderungen schmälert die Chancen der Stadtmann-Opfer, in Zivilverfahren an Schmerzensgeld zu kommen.

Rechtsanwalt Manuel Reiger vertritt 27 Krebspatienten oder ihre Hinterbliebenen in Zivilverfahren um Schmerzensgeld im Apothekerskandal.
Rechtsanwalt Manuel Reiger vertritt 27 Krebspatienten oder ihre Hinterbliebenen in Zivilverfahren um Schmerzensgeld im Apothekerskandal. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

27 dieser Verfahren führt der Stuttgarter Opferanwalt Manuel Reiger. Mehr als 50 Stadtmann-Opfer hat er während des Strafverfahrens als Nebenkläger betreut. Nur knapp die Hälfte klagen jetzt vor dem Essener Landgericht auf Schmerzensgeld. „Die anderen Opfer wollen sich das aus emotionalen oder finanziellen Gründen nicht mehr antun“, sagt Reiger.

In allen 27 Verfahren klagen die Opfer sowohl gegen den Insolvenzverwalter, um Ansprüche aus der Insolvenzmasse geltend zu machen, als auch gegen Stadtmann selbst. Inzwischen haben „frühe erste Termine“ stattgefunden, in denen das Gericht Aussichten auf einen Vergleich auslotet. Keine Chance, sagten dazu bei den ersten Terminen sowohl der Insolvenzverwalter als auch Stadtmann-Anwalt Peter Strüwe: „Mein Mandant ist vermögenslos.“

Vergleichsvorschlag: Ein Sonderfonds für Schmerzensgeld

In der letzten Verhandlungsrunde hat jetzt aber der Vorsitzende Richter Dr. Stefan Ostheide einen Vorschlag gemacht: Ein Sonderfonds für Schmerzensgeld solle der Insolvenzmasse entzogen und in Form eines gerichtlichen Vergleichs den Opfern zugesprochen werden. Der Insolvenzverwalter habe diesen Vorschlag an die Krankenkassen als Hauptgläubiger weitergeleitet, sagt Reiger, ergänzt um die Forderung: Auch die Familie Stadtmann müsse in diesen Fonds einzahlen. „Die Kassen beraten jetzt darüber“, sagt Opferanwalt Reiger. „Am Ende muss die Gläubigerversammlung zustimmen.“

Allerdings stehen viele Opfer noch vor einer weiteren Hürde. Der Vorsitzende Richter hat bereits deutlich gemacht, dass Hinterbliebene von Krebspatienten, die mit Medikamenten aus der Alten Apotheke behandelt wurden, nach höchstrichterlicher Rechtssprechung durchaus Anspruch auf Schmerzensgeld in fünfstelliger Höhe haben. Voraussetzung: Sie müssten nachweisen, dass „die psychische Beeinträchtigung über das übliche Maß in Vergleichsfällen hinausgeht“. Das heißt, sagt Reiger: Die Angehörigen müssen sich einem medizinischen Gutachten über das Ausmaß ihrer psychischen Schäden unterziehen.

Der Hilfsfonds des Landes

Die Landesregierung hat die Entschädigungsregeln für die Opfer des Apotheker-Skandals deutlich ausgeweitet. Ab sofort können alle Patienten, die zwischen 2001 und 2016 nachweislich in der „Alten Apotheke“ in Bottrop individuell hergestellte Krebsmedikamente erhalten haben, eine einmalige Zahlung beantragen. Dies gilt auch für Kinder, Ehegatten und Lebenspartner von verstorbenen Betroffenen.

Die Anträge können bis zum 30. Juni 2023 über ein Formular gestellt werden, das auf der Homepage des Ministeriums (www.mags.nrw) abrufbar ist. Der Hilfsfonds des Landes umfasst insgesamt zehn Millionen Euro.