Bottrop. 1200 Bottroper haben nach einem Grundsatzurteil Einspruch eingelegt gegen Bescheide über Abwassergebühren. Die Stadt prüft und sucht Verbündete.
Hat die Stadt Bottrop ihren Bürgern für 2022 zu hohe Abwassergebühren berechnet? Ja, sagen 1200 Bottroperinnen und Bottroper und haben Einspruch eingelegt gegen ihre Bescheide. Nein, sagt die Stadt Bottrop: Die Gebührenerhebung ist „rechtskräftig abgeschlossen“. Vielleicht, sagt dazu der Eigentümerverband „Haus & Grund Bottrop“. Aber diese Auffassung sei „extrem bürgerunfreundlich“. Ja, was denn nun?
Auslöser aller Debatten in vielen NRW-Städten und im Land ist ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Münster vom 17. Mai im Streit um einen Gebührenbescheid der Stadt Oer-Erkenschwick aus dem Jahr 2016. Dabei ist das Gericht von seiner langjährigen Rechtsprechung abgewichen und hat im Kern geurteilt: Oer-Erkenschwick (und viele andere Kommunen, darunter Bottrop) berechnen den Bürgern viel zu hohe Zinsen für die Investitionen in die Abwasser-Infrastruktur. Würde die Stadt Bottrop die Vorgaben aus dem Urteil übernehmen, müsste die Stadt mit Einnahmeausfällen von 5,5 Millionen Euro im Jahr kalkulieren, rechnete die Kämmerei den Politikern im Juni vor.
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Soweit ist es noch nicht, und das aus zwei Gründen. Erstens hat das OVG keine Revision gegen sein Urteil zugelassen; dagegen hat die Stadt Oer-Erkenschwick Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt. Zweitens hat das Land inzwischen einen Gesetzentwurf vorgestellt, das den Verwaltungen und den Politikern eine Handhabe geben sollte, mit welchen Zinsen sie rechtssicher kalkulieren dürfen. Sie liegen deutlich niedriger als bisher üblich, aber höher als vom OVG vorgegeben. Auf dieser Basis hat der Rat der Stadt die Abwassergebührensatzung 2023 beschlossen.
„Die Stadt Bottrop ist in Absprache mit anderen Kommunen“
Was aber ist mit den Gebühren für 2022? „Haus & Grund“ hatte alle Eigentümer aufgerufen, gegen die Gebührenbescheide für 2022 Einspruch einzulegen. 1200 Bottroper sind diesem Aufruf gefolgt und haben eine Neuberechnung der Gebühren gefordert. Wie geht die Stadt um mit diesen Einsprüchen? „Derzeit wird geprüft, wie damit verfahren werden soll“, sagt Stadtsprecher Ulrich Schulze: „Die Stadt Bottrop ist hier in Absprache mit anderen Kommunen auf der Ebene der kommunalen Spitzenverbände, um ein möglichst einheitliches Vorgehen zu erwirken.“
Wenn die Stadt den Gebührenzahlern entgegenkäme, so täte sie es aus gutem Willen und sei keineswegs dazu gezwungen, betont der Stadtsprecher: Formal gelte weiter die Aussage des Stadtkämmerers, „nämlich dass die Gebührenerhebung des Veranlagungsjahres 2022 sowie die der Vorjahre rechtskräftig abgeschlossen ist“.
„Das ist extrem bürgerunfreundlich“
Ist das so? „Formaljuristisch leider ja“, sagt Marcus Kruse, Geschäftsführer von „Haus & Grund“. „Wir rechnen damit, dass die Stadt genau so argumentieren wird. Aber es ist extrem bürgerunfreundlich. Es gibt Städte, die haben ihre Gebührensatzung mit Blick auf das Urteil rückwirkend korrigiert.“
Zur Einordnung: Die Bottroper Abwassergebühren liegen im NRW-Vergleich ziemlich genau im Mittelfeld. Der Bund der Steuerzahler hat ausgerechnet, wie viel Abwassergebühren der durchschnittliche Vierpersonenhaushalt zahlt, der 200 Kubikmeter Frischwasser verbraucht und 130 Quadratmeter „abflusswirksame Fläche“ aufweist. Der Durchschnitt liegt bei 742,73 Euro. Für den Bottroper Musterhaushalt berechnet der Bund der Steuerzahler jährliche Kosten in Höhe von 741,20 Euro, vier Prozent mehr als im Vorjahr. Die geringsten Abwassergebühren werden für die Durchschnittsfamilie fällig in Reken (287,10 Euro), die höchsten in Monschau (1356 Euro).
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Wie die Debatte weitergeht, wird entscheidend davon abhängen, ob und wann das Grundsatzurteil rechtskräftig wird. Das würde es, wenn die Beschwerde aus Oer-Erkenschwick vor dem Bundesverwaltungsgericht verworfen wird. Wann das sein wird? Bald, sagt Gerichtssprecherin Ina Oertel auf WAZ-Anfrage: „Es ist beabsichtigt, innerhalb des ersten Quartals 2023 über die Zulassung der Revision zu entscheiden.“