Bottrop. Hohe Preise belasten die Menschen derzeit sehr. Dass die Stadt nun Rechnungen für Straßenausbau schickt, sei „unmoralisch“, sagen Bottroperinnen.

Diese dicke Rechnung kommt erst noch. Allein deren Ankündigung aber schicke die Stadt nun wirklich zur völlig falschen Zeit, meint die Bottroperin Judith Steinwasser. Auf die drei Corona-Jahre, die viele Familien auch finanziell sowieso schon bis an ihre Grenzen belastet haben, folgen nun die Ukraine-Kriegsjahre mit hoher Inflation, enorm steigenden Preisen für Heizung, Strom, Sprit, Lebensmittel. Auch die Kindergartengebühren in Bottrop seien ja nicht gerade niedrig – und dann schickt die Stadt ihrer fünfköpfigen Familie jetzt auch noch eine Ankündigung ins Haus, dass sie bald eine vierstellige Summe fordern werde.

Geradezu „unmoralisch“, findet das die Bottroperin. Judith Steinwasser bringt damit auf den Punkt, was auch Nachbarinnen im Scheierbruch über die Ankündigung der Stadt denken und schrieb empört einen Brief an Oberbürgermeister Bernd Tischler. „Wir nagen nicht am Hungertuch, aber einen vierstelligen Betrag hat man ja nicht mal eben so noch zusätzlich parat“, meint die Bottroperin. Wenige Wochen vor dem Weihnachtsfest denke die Familie außerdem viel eher daran, schöne Geschenke für die Kinder zu kaufen, als sich auf eine dicke Rechnung von der Stadt einzustellen.

Abrechnung für neue Straße kommt nach vier Jahren

Judith Steinwasser ist nicht die einzige auf dem Eigen, deren Familie die Verwaltung jetzt solche Schreiben zusendet. Ihren Nachbarinnen geht es ebenso. Denn die Stadt hat nach inzwischen vier Jahren die Kosten für die Modernisierung der Straße „Im Scheierbruch“ errechnet und fordert demnächst die deshalb fälligen Anwohnerbeiträge ein. Die Straße war von der Alsenstraße bis zur Tannenstraße erneuert worden. Dafür müssen trotz der Reform in Sachen Straßenbaubeiträge auch die Grundstückseigentümer entlang der Straße noch bezahlen. Denn die Übernahme der Anwohnerkosten durch das Land greift erst bei Projekten, die nach 2018 beschlossen wurden. Mit dem Scheierbruch-Umbau war aber schon 2017 begonnen worden.

Die Stadt hatte die Eigentümer auch schon vor gut fünf Jahren schriftlich vorgewarnt, dass sie deshalb Straßenbaubeiträge erheben müsse und Kosten auf die Anlieger zukommen. „Vorbehaltlich einer näheren beitragsrechtlichen Prüfung“, hieß es damals. Denn Verwaltungsmitarbeiter mussten ja erst errechnen, wie hoch die Kosten für jeden einzelnen Anlieger ausfallen werden. Stadtsprecher Ulrich Schulze weist außerdem darauf hin, dass die Stadt vor Straßenrenovierungen zu Bürgerversammlungen einlade. „Das bedeutet auch, dass alle wissen, dass dies auf sie zukommen wird“, erklärt er. Anwohner sollten sich daher dann Geld zurücklegen, zum Beispiel indem sie die ungefähr zu erwartenden Kosten in ihre Rücklagen zur Erhaltung des Hauses mit einkalkulieren, rät er.

Anwohnerin wirft Stadt Bottrop Rücksichtslosigkeit vor

Judith Steinwasser und eine Reihe von Nachbarinnen halten das Vorgehen der Verwaltung allerdings für ziemlich rücksichtlos. Die Stadt kündige ihre Rechnungen zum ungünstigsten Zeitpunkt an, finden sie. „Drei Jahre lang haben sich alle durch und mit Corona abgemüht, sowohl finanziell als auch psychisch. Wir alle wurden an unser Limit gebracht, oder aber sogar darüber hinaus“, meint die Bottroperin. Auf die Corona-Lockdowns folge nun die Inflation und Energiekrise.

Die Wohnsiedlung im Scheierbruch im Stadtteil Batenbrock-Nord: Die Straße „Im Scheierbruch“ ist ab der Alsenstraße nach Kanalarbeiten erneuert worden.
Die Wohnsiedlung im Scheierbruch im Stadtteil Batenbrock-Nord: Die Straße „Im Scheierbruch“ ist ab der Alsenstraße nach Kanalarbeiten erneuert worden. © www.blossey.eu | Hans Blossey

„Alle entsprechenden Eigentümer werden eine dicke Gasrechung beziehungsweise Nachzahlung erhalten oder sind mittlerweile finanziell sowieso schon an ihrer absoluten Grenze, um die hohen monatlichen Abschläge zahlen zu können und die immens gestiegenen Preise für Lebensmittel und Sprit irgendwie tragen zu können“, schildert sie auch in ihrem Schreiben an den Oberbürgermeister die Situation vieler Bürgerinnen und Bürger. Und als wäre die Belastung der Familien dadurch nicht schon groß genug, komme nun noch die Ankündigung ins Haus, dass sie auch von der Stadt für den Straßenausbau zur Kasse gebeten werden.

Anhörung von einem Tag auf den anderen

Noch ist die Rechnung aber gar nicht da. Erst einmal habe ihnen die Verwaltung in deren Schreiben die Teilnahme an einem Anhörungsverfahren angeboten, um offene Fragen zur Errechnung der Beiträge klären zu können, berichten Bürgerinnen – nur hatten Anwohnerinnen wie Gisela Kwasnitza dazu kaum eine echte Chance. „Die Frist zur Anhörung endete am 11. November. Das Schreiben lag aber erst am 10. November in meinem Briefkasten. Das hat mich schon ziemlich auf die Palme gebracht“, sagt die Bottroperin. Das Datum im Briefkopf laute auf den 25. Oktober, der Poststempel trage den 4. November als Datum. Gisela Kwasnitza wird den Eindruck nicht los, dass die Postwege der Stadt nicht sehr zuverlässig seien.

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Ohnehin wundern sich die Eigener Nachbarinnen, dass die Stadt fast vier Jahre gebraucht habe, um die jeweilige Höhe der Bürgerbeiträge auszurechnen. Stadtsprecher Schulze aber erklärt: „Dass die Abrechnung nicht zeitgleich mit dem Abschluss der Baumaßnahme kommt, ist völlig normal“. Wann der Bescheid an die Anwohner gehe, hänge auch davon ab, wie schnell andere Stellen ihre Kosten abrechnen. „Geht es um Reklamationen der Stadt oder um Nachforderungen der Baufirma, verzögert dies die Endabrechnung. Wurden Fördermittel beantragt und müssen diese mit dem Fördergeber verrechnet werden, dauert dies auch schon einmal länger. Sind Dritte an den Kosten beteiligt, wie Versorgungsunternehmen, muss auch mit denen erst abgerechnet werden“, nennt Ulrich Schulze Beispiele.

Arbeitende Bottroper Bürger gar nicht entlastet

Die Stadt habe auch gar keine andere Wahl, als die Anwohnerbeiträge für Straßenbaumaßnahmen vor 2018 zu verlangen. „Grundsätzlich setzt die Stadt ohnehin nur geltendes Recht um“, erläutert der Stadtsprecher. Zum Trost der Grundstückseigentümer weist Ulrich Schulze darauf hin, dass mit der Modernisierung der Straße womöglich ja auch der Wert ihrer Immobilie steige. „Die Beschreibung der Lage und der Straße sind ja auch Bestandteile in den Wertgutachten“, erklärt der Stadtsprecher. Doch so einfach ist das ja nicht immer. Judith Steinwasser und ihre Familie etwa haben ihr Haus und Grundstück erst 2019 gekauft; also als die Straße „Im Scheierbruch“ schon modernisiert war und nach Lesart der Stadt somit auch ihre Wertsteigerung bereits erfahren hatte.

Judith Steinwasser hofft daher, dass die fälligen Straßenbaubeiträge der Vorbesitzer ihres Grundstückes übernehmen müsse. Ein Passus im Kaufvertrag sehe das jedenfalls so vor. „Ich weiß aber nicht, ob er sich daran hält“, meint die Bottroperin. Ihre Kritik an der Stadt aber ist grundsätzlicher. „Bisher wurden die arbeitenden Bottroper Bürger angesichts der momentanen Situation leider wenig bis gar nicht entlastet“. Stattdessen kündige die Stadt im November in der Vorweihnachtszeit einen Beitragsbescheid an. „Den eh schon finanziell ,geschundenen’ Bürgern wird noch einmal tief in die Tasche gegriffen und sie werden zusätzlich geschröpft.“