Bottrop. Beim literarischen Kabarett im Hof Jünger begeistert der Tucholsky-Abend das Publikum. Dorit Meyer-Gastell schlüpft in die Rolle der Lebedame.

„Gib mal `n Kuss auf Lottchen“, dieser Satz begleitet den Mittwochabend im Hof Jünger beim literarischen Kabarett „Frau ist Frau… Lottchen: ein Tucholsky Abend“. Die Hamburger Schauspielerin Dorit Meyer-Gastell schlüpfte für einen Abend ausdrucksstark in die Rolle der verschwendungssüchtigen „Lebedame“ in den Goldenen Zwanzigern.

„Das Lottchen“ war eine der vielen Frauen in Tucholskys Werk, eine sinnenfrohe Berlinerin, die Tucholsky unter dem Pseudonym Peter Panter in vielen Geschichten, Monologen und Dialogen zum anscheinend literarischen Leben erweckte. 1962 outete sich die Journalistin Lisa Matthias als Geliebte und literarische Figur: „Ich war Tucholskys Lottchen“.

Tucholsky-Abend im Hof Jünger: Die große Rolle der Frauen

Das echte „Lottchen“ beschrieb sich selbst in ihrem Buch als Frau, „die vielen Verlockungen nachgab, man liebt sich so durch“. Tucholsky war für sie der „Daddy“, der ihre Schulden bezahlte: „Ich hab viel zu wenig Geld und viel zu viel Herz.“ Neben bekennenden Auszügen aus dem Buch von Lisa Matthias brillierte die Schauspielerin mit Tucholsky Texten, die der Schriftsteller oft Frauen beim Spiel der Geschlechter untereinander in den Mund gelegt hat, Männer seien „eine komische Erfindung“, sie seien „erotische Statisten“, „Beamte der Liebe“ und „Böcke“.

Ihren Dichter nennt sie einen „braven Bourgeoise, faul, fett und gefräßig“. Die Komödiantin berlinerte, babbelte hessisch, trat mal als Chansonette im schwarzen Frack mit Zylinder oder mondän im „kleinen Schwarzen“ mit langer Perlenkette und Zigarettenspitze oder im Glitzerfummel beim Charleston auf. Sie „hat nichts anzuziehen“, aber ihre Garderobe ist voll mit Kleider, die alle mit bestimmten Männern verbunden sind: „Wenn eine Frau allein ist, ist sie alleiner als Männer.“

Frauen spielten anscheinend eine große Rolle in Tucholskys Leben: „Soll man nur immer eine Glocke läuten?“ Seine beiden Ehen zerbrachen, seine erste Ehefrau soll gesagt haben: „Als ich über die Damen steigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden.“

Kurt Tucholsky: Bedeutender Publizist und Gesellschaftskritiker

Musikalisch begleitet wurde die Schauspielerin vom Jurij Kandelja am Bajan (Knopfakkordeon), dessen virtuoses Spiel die Besucher oft zu spontanem Beifall hinriss. Langer, verdienter Applaus belohnte die Darsteller, die zwar über die geringe Zuschauerzahl enttäuscht waren, „die Leute sind noch zurückhaltend“; aber froh sind, nach der langen Zeit wieder spielen zu können. Der Mittwochabend war bereits der dritte Versuch zum Auftritt im Hof Jünger.

Der 1890 in Berlin geborene Kurt Tucholsky gehört zweifellos zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik als Gesellschaftskritiker, Satiriker, Roman- und Kabarettautor und Lyriker und schrieb häufig unter Pseudonymen wie Kaspar Hauser, Peter Panter oder Theobald Tiger. Der Sozialist und Pazifist mit der provokativen Aussage „Soldaten sind Mörder“ warnte eindringlich vor den Nationalsozialisten. Tucholsky setzte bereits 1935 im Exil in Schweden seinem Leben ein Ende: „Gegen einen Ozean pfeift man nicht an.“