Bottrop. Eine Doppelausstellung von Stadtarchiv und Riga-Komitee erinnert an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.

Neun Bottroper Jüdinnen und Juden wurden am 24. Januar 1942 von den Nationalsozialisten zunächst nach Gelsenkirchen gebracht und dann von dort über Dortmund mit einem Sammeltransport nach Riga verschleppt. Sie zählen zu den insgesamt etwa 25.000 Kinder, Frauen und Männer aus Deutschland, Österreich und Tschechien, die nach Lettland deportiert wurden. An einen „grauenvollen Vernichtungsort“, wie Judith Neuwald-Tasbach, die Vorsitzende der Synagogengemeinde Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck ihn nennt. Eine Doppelausstellung im Bottroper Kulturzentrum zeigt, was das bedeutete – und warum die Erinnerung daran wachzuhalten ist.

Bottrop zeigt die neue Wanderausstellung des Riga-Komitees

Als erster Ort in Nordrhein-Westfalen zeigt Bottrop die neue Wanderausstellung „Riga – Deportationen, Tatorte, Erinnerungskultur“ des Riga-Komitees. Diese wird kombiniert mit der Schau des Stadtarchives über die Deportation der Bottroper Juden nach Riga. Letztere war 2020 erstmals zu sehen, musste aber coronabedingt nach zu kurzer Zeit wieder geschlossen werden. Mit der Schau zeichnet der Historiker Matthias Ester, so weit es geht, die Schicksale der Bottroper Familien Dortort, Krauthammer oder Skurnik nach.

Die Jüdinnen und Juden waren in Riga „unter schlimmsten Bedingungen untergebracht“, sagte Oberbürgermeister Bernd Tischler bei der Ausstellungseröffnung. Und: „Tausende von ihnen wurden im Wald von Bikernieki erschossen.“ Welches Schicksal den neun Jüdinnen und Juden aus Bottrop am Ende widerfuhr, wisse man in den meisten Fällen nicht sicher. Julius Dortort wurde 1945 im KZ Dachau ermordet, die übrigen gelten als verschollen „und wurden alle für tot erklärt“.

Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde berichtet von ihrer Familie

Dieser Ausdruck – „für tot erklärt“ – fasste Judith Neuwald-Tasbach an, „er führt mich in meine Kindheit zurück“. Ihre Familie sei ein Anlaufpunkt für Überlebende der Shoah gewesen, und wenn dort nach anderen gefragt wurde, erhielten diese oft die Antwort: ist für tot erklärt worden. „Das war für mich als Kind unbegreiflich: Wie kann man jemanden für tot erklären?“

Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen-Bottrop-Gladbeck, berichtete bei der Ausstellungseröffnung in Bottrop von ihrer Familie.
Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen-Bottrop-Gladbeck, berichtete bei der Ausstellungseröffnung in Bottrop von ihrer Familie. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde erzählte vor den Schautafeln der Ausstellung auch, dass ihre Familie in einer wunderbaren Rundhalle, einer Messehalle am Wildenbruchplatz in Gelsenkirchen, vor der Shoah ihre Bettwaren habe präsentieren dürfen. Am 27. Januar 1942 seien sie wieder dort gewesen – als die Jüdinnen und Juden (auch aus Bottrop) in der Halle gesammelt wurden. „Es wurde ihnen gesagt, sie würden umgesiedelt in die Ostgebiete.“ Sie kamen in Züge, unbeheizt, „sie haben keine Toilette gehabt, sie haben kein Essen bekommen. Vor lauter Durst haben sie das Kondenswasser von den Scheiben geleckt.“ Irgendwann kamen sie in Riga an – und für die meisten war es die letzte Station in ihrem Leben.

Die Vernichtung, sagt Neuwald-Tasbach mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus, war industrialisiert und perfektioniert worden.

Die Ausstellung des Stadtarchivs über die Deportation der Bottroper Jüdinnen und Juden nach Riga zeigt die Entwicklung auf.
Die Ausstellung des Stadtarchivs über die Deportation der Bottroper Jüdinnen und Juden nach Riga zeigt die Entwicklung auf. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Erinnerung als Mahnung: „Das Weggucken muss aufhören“

Das Erinnern als Voraussetzung dafür, solch schlimme Verbrechen wie die der Nazizeit nie wieder geschehen zu lassen, betonten sowohl der Oberbürgermeister als auch Judith Neuwald-Tasbach. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde mahnte, ohne ins Detail zu gehen: „Wir können jetzt schon sehen, dass es Tendenzen gibt, dass es sich falsch entwickelt.“ Sie rief dazu auf, aufmerksam zu sein, für Werte einzustehen – „auch das Weggucken muss aufhören“.

Stadtarchivarin Heike Biskup hat schon erste Rückmeldungen von Schulen erhalten, die sich mit Klassen die Doppelausstellung zeigen lassen wollen. Ihr ist wichtig, gerade den jungen Leuten deutlich zu machen: „Es war in Bottrop, wo Jüdinnen und Juden gelebt haben, von wo aus sie deportiert wurden.“

Bis zum 30. März

Die Doppelausstellung „Deportation der Bottroper Juden nach Riga 1942“ (Stadtarchiv) und „Riga – Deportationen, Tatorte, Erinnerungskultur“ (Riga-Komitee) ist noch bis zum 30. März im Kulturzentrum, Blumenstraße 12-14, zu sehen.

Öffnungszeiten: montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr, samstags bis 14 Uhr. Info: 02041 70 37 55.

Bottrop ist seit 2019 Mitglied des Riga-Komitees. Dort sind Herkunftsstädte der nach Riga deportierten Jüdinnen und Juden zusammengeschlossen. An der Gedenkstätte im Wald von Bikernieki erinnert ein Stein an die Bottroper Opfer der Naziherrschaft.