Bottrop. Selbsttests im Klassenzimmer, viele infizierte Kinder, teilweise Distanzunterricht: Drei Bottroper Lehrer berichten aus ihrem belastenden Alltag.
In vielen Grundschulklassen nimmt kaum die Hälfte am Präsenzunterricht Teil, weil so viele Kinder sich in Kontaktquarantäne befinden oder selbst infiziert sind. In den vergangenen sieben Tagen haben sich mehr als 200 Grundschüler in Bottrop angesteckt. Für die Lehrinnern und Lehrer ist die aktuelle Corona-Situation sehr belastend. Drei Lehrkräfte berichten aus ihrem Alltag voller Frustration, Ohnmacht und Wut.
Bottroper Grundschullehrer: Seelsorger, Psychologe, Jurist und IT-Fachkraft
„Wir testen selbst, betreuen die positiv getesteten Kinder bis zur Abholung der Eltern, helfen den Kolleginnen und Kollegen beim Durchführen der Testungen und kümmern uns bei Bedarf um die vielen Anrufe und teilweise persönlichen Anfragen von Eltern, die sich hauptsächlich um die Fragen drehen: wann ihr Kind mit welcher Maßnahme wieder die Schule besuchen kann.
Unsere Aufgaben fühlen sich dabei an wie eine Kombination aus medizinischem Fachpersonal, Seelsorgern, Psychologen, Juristen (zur Deutung der vielen Schulmails und sonstigen Anweisungen zum Umgang mit der momentanen Situation), IT-Fachkräften und Datenschutzbeauftragten (zum Umgang mit digitalen Hilfsmitteln im Lernen auf Distanz). Dabei kommt unsere Hauptaufgabe, die persönlichen Wissensvermittlung an Kinder, viel zu kurz!
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Teilweise fehlen an unserer Schule bis zu 70 Prozent der Kinder einer Klasse. Die Beschulung von Schulkindern geschieht an vielen Stellen durchgängig parallel in Distanz und Präsenz. Gerade die Arbeit an einer Schule, die neben dem gemeinsamen Lernen auch viele Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund beschult, erfordert momentan von allen eines extremes Maß and Geduld und Bereitschaft, auch Eltern und Kindern, die der deutschen Sprache nur sehr ungenügend mächtig sind, die aktuellen Bestimmungen (die uns schon teilweise überaus kompliziert erscheinen) zu erklären und verständlich zu machen. Dabei stoßen momentan alle im Schulwesen tätigen Personen an ihre persönlichen Grenzen.
Zusätzliche Belastung: Anhaltender Lehrermangel an Grundschulen
Durch den seit Jahren anhaltenden (teilweise akuten) Lehrermangel sind Lehrkräfte es mittlerweile fast gewöhnt, diverse Mehraufgaben in der Schule zu übernehmen. Das Maß, in dem momentan zusätzliche Aufgaben an Lehrerinnen und Lehrer übertragen werden, für die diese nicht ausgebildet oder adäquat vorbereitet wurden, ist kaum noch in Worte zu fassen.
Zudem kann sich die Situation in der Schule oder Klasse momentan täglich ändern, wenn ein Test-Pool positiv ausfällt und alle, einige oder vereinzelt Schülerinnen und Schüler plötzlich nicht mehr in Präsenz- sondern im Distanzunterricht mit Material versorgt werden müssen. Oft sind wir ebenfalls Eltern von (grundschul-)pflichtigen Kindern.
Wir müssen also zusätzlich jederzeit bereit sein, nicht nur bei unseren Unterrichteten, sondern auch bei den eigenen Kindern, auf eine veränderte Situation zu reagieren und Betreuung und Beschulung zu Hause gewährleisten zu können. Dabei kann ich aus eigener Erfahrung sagen, wie herausfordernd die Beschulung eines Kindes zu Hause selbst als ausgebildeter Lehrer ist. Die Verantwortung, die auf Eltern zukommt, die nicht für diesen Beruf ausgebildet wurden ist enorm und meiner Meinung nach kaum adäquat zu vollbringen.
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Bei all dem ist und bleibt es wirklich zu hoffen und zu wünschen, dass (neben jedem anderen Menschen auf diesem Planeten) jede Kollegin und jeder Kollege im Schuldienst die vergangenen Jahre und die kommende Zeit mit all ihren Anforderungen gesund übersteht, ohne irgendwann vor der sowie schon schwierigen Situation an Schulen zu verzweifeln oder zu kapitulieren.“ Philipp Martin, Grundschule Welheim
Bottroper Grundschullehrerin: „Wie kann man uns so im Regen stehen lassen?“
„Seit zwei Jahren sind wir in dieser Situation und ich habe wie viele gedacht, dass sich das Corona-Management in der Zeit verbessert. Die Situation in nicht neu, aber sie hat sich verschärft und ich bin immer wieder überrascht, wie man uns so im Regen stehen lassen kann und weiterhin kurzsichtige Entscheidungen getroffen werden.
Wir erfahren alles aus der Presse, oft wissen die Eltern früher als wir von Änderungen, das macht mich sprachlos. Ich brauche Planbarkeit und kann nicht nur „auf Sicht fahren“. Ich empfinde Ohnmächtigkeit, Frustration und auch Wut. Wie kann man das als gelungenes Schul-Management bezeichnen?
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Ja, die Pandemie ist eine Situation, die nicht unendlich geplant werden kann. Aber wie kann man zum Beispiel im November, als die Inzidenzen schon hoch waren, die Maskenpflicht in der Schule abschaffen? Für die Kinder ist es schön, wenn sie keine Maske tragen müssen, aber wir haben gemerkt, dass sich nicht so viele anstecken, wenn wir einen positiven Fall hatten. Warum macht man sowas, wenn man weiß, dass die Maske vor Infektionen schützt? Sinnhaftigkeit ist schulpolitisch wenig vorhanden.
„Was gerade passiert, ist eine große Gesundheitsgefährdung“
Die Intention dahinter, PCR-Einzeltests durchzuführen, war gut. Aber wir sind schon mit einem schlechten Gefühl in die Weihnachtsferien gegangen, weil die Omikron-Welle bekannt war und prognostiziert wurde, dass die Zahlen im Januar und Februar steigen und die Kapazitäten der Labore beschränkt sind.
Nun müssen wir in den Klassenzimmern testen, instruieren die Kinder, dass sie das richtig machen. Wenn ein Kind positiv ist und von den Eltern abgeholt wird, passiert es, dass es dann im Testzentrum einen negativen Test hat und am nächsten Tag wieder im Unterricht ist, weil die Sensitivität der Tests unterschiedlich ist.
Die Schule ist ein Ort, an dem Kinder sich sicher fühlen sollen, aber was da gerade passiert, ist eine große Gesundheitsgefährdung. Die Hälfte der Kinder ist durchseucht – alle in diesem Jahr. Da entsteht ein großes Gefühl der Ohnmächtigkeit: Wir können nicht mehr, wir können das nicht leisten und nicht gutheißen.
„Wir lassen das Virus in die Klassenzimmer rein“
Mein Alltag besteht aus permanenter Unsicherheit, vor allem an den Tagen der Pool-Tests. Da sitzt man bis spät abends mit dem Handy in der Hand und wartet auf das Ergebnis. Wir kennen keinen Feierabend mehr, das ist ein permanentes Gedankenkarussell. Das macht was mit einem, man ist nur noch mit Schule beschäftigt, sorgt sich um die Kinder, Kollegen, die Schulleitung. Und eine eigene Ansteckung ist auch nicht unwahrscheinlich.
Es wäre hilfreich, wenn wir mehr pädagogisches Personal hätten, das die Kinder begleitet, wenn sie positiv sind und auf ihre Eltern warten. Als Klassenlehrerin kann ich da nicht mitgehen. Hilfreich wäre auch, wenn wir bei den Testungen in der Schule unterstützt werden, ich hätte es befürwortet, wenn Teststellen an den Grundschulen eröffnet würden. Oder wenn zumindest Testzentren oder Apotheken früher geöffnet hätten. Und ich wünsche mir, dass es mehr Austausch mit den Schulen vor Ort gibt: Was wird wirklich gebraucht?
Die Schulen zu schließen, ist nicht das, was wir wollen. Aber dass unsere Arbeits- und Gesundheitssicherheit wieder zählt. Und dass wir wieder unserer eigentlichen pädagogischen Aufgabe nachgehen können. Wir lassen das Virus in die Klassenzimmer rein. Das tut mir so leid für die Kinder, die sich so lange tapfer geschlagen haben.“ Anonym, Klassenlehrerin 1. Jahrgangsstufe
Belastende Gespräche und Grundsatzdiskussionen mit den Eltern
„Wir als Lehrer führen oft ewig lange Telefonate mit den Eltern, zum Teil auch Grundsatzdiskussionen und belastende Gespräche. Das ist wie beim Kellner, der die Suppe serviert, die nicht schmeckt und der Kellner bekommt den Ärger ab. Wir kriegen den Brass der Eltern ab, weil vieles nicht ordentlich kommuniziert wird.
Sehr aufwendig ist das Führen der Sitzpläne und aller Listen: Wer ist positiv, wer ist genesen und muss nicht getestet werden, wer ist wie lange in Quarantäne. Das ist ein riesiger Organisationsaufwand. Außerdem checken wir ständig die Neuigkeiten und geben das an die Eltern: Wir sind als Schule oft der einzige verlässliche Ansprechpartner, es sammelt sich alles bei uns.
Dazu kommen sprachliche Schwierigkeiten mit den Eltern. Bei uns gibt es Elternteile, die der deutschen Sprache kaum mächtig sind, dann müssen wir uns um das Übersetzen kümmern. Wir versuchen, alles auf allen Kanälen zu kommunizieren.
Testungen für die Kinder belastend, manche haben Angst
Hinzu kommt aktuell der parallele Unterricht: Ein Teil der Kinder ist in der Klasse, viele sind in Quarantäne und müssen auch unterrichtet werden. Teilweise schalten wir sie per Zoom dazu, teilweise bringen wir Materialien zu ihnen nach Hause oder bitten Nachbarskinder darum. Wir versuchen, es auszugleichen, wenn die Kinder keinen Zugriff auf digitale Medien haben außer Mamas und Papas Handy. Da prallen teils Welten aufeinander: Die Grundschule ist wie eine Gesamtschule sehr heterogen mit allen Schichten.
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Für uns und auch die Kinder sind die Testungen sehr belastend. Sie sorgen für Verunsicherungen. Viele Kinder haben mitbekommen, dass Verwandte Corona bekommen und dass das nicht immer glimpflich verläuft. Manche haben Angst, es auch zu bekommen.
Die Kinder freuen sich immer unfassbar auf die Schule, rennen in jeder Pause raus als wären Sommerferien, um mit ihren Freunden zu spielen. Sie merken auch, dass man rücksichtsvoller miteinander umgehen muss. Zum Beispiel beim Vertragen, wenn sie sich eigentlich die Hand geben würden, aber einer nur den Ellenbogen hinhält.
Kein Präsenzunterricht auf Teufel komm raus
Für die Eltern sind wir immer der erste Ansprechpartner, was auch gut ist, aber sehr viel Zeit und Arbeit kostet. Sie haben viele Fragen, manche sind verunsichert und wollen die Kinder lieber zu Hause beschulen. Es gibt etliche Szenarien, bei denen man Einzelfallentscheidungen treffen muss.
Die Eltern müssen immer abrufbereit sein, zum Beispiel ihr Kind abholen, wenn es einen positiven Test hat. Zwischen den Eltern prallen auch Meinungen aufeinander: Ist beispielsweise Schwimmunterricht ohne Maske noch legitim?
Es ist in der Corona-Zeit nicht alles schlecht gelaufen, es sind auch gute Entscheidungen getroffen worden. Aber warum zum Beispiel der Distanzunterricht gar nicht gewollt ist, verstehe ich nicht. Natürlich ist Präsenz wichtig, aber nicht auf Teufel komm raus, wenn die halbe Klasse im Distanzunterricht ist.“ Anonym, Lehrer 3. und 4. Klasse