Bottrop-Kirchhellen. Auf Hof Overgünne in Kirchhellen herrscht gerade Gänsehochzeit. 500 Tiere haben dort ein angenehmes Lebens – bis St. Martin und Weihnachten naht.
Martinsgans und Weihnachtsgans - das war früher sogar eine konfessionelle Streitfrage. Damals, als Protestanten auf Teufel komm raus keine Heiligenfeste begingen, Katholiken dafür St. Martin, Nikolaus und Co. nicht nur mit Pomp sondern auch mit gutem Mahl feierten. Geblieben ist heute überwiegend das Mahl und damit die Hochzeit der Gänse. Die währt recht kurz, vom 11. November bis zu den Weihnachtstagen. Lediglich bei Silvesterkarpfen, Osterlamm (oder -hase) und Pfingstochse ist die Verspeisesaison kürzer.
Dafür bekäme St. Martin (317-397) heute auch Gänsehaut, wüsste er, was in seinem Namen so alles auf den Teller kommt. Das sind nicht nur die Industriemastgänse aus der Heimat (heute Ungarn) des einstigen römischen Soldaten, der mit 17 bereits seinen Mantel mit dem Bettler geteilt hat. Da ist auch die - so leckere, weil extrem zarte - Gänsestopfleber seiner späteren Wahlheimat Frankreich, wo er zum Bischof avancierte.
Stopfen ist in Deutschland verboten - das alles regelt das Tierschutzgesetz
„Das Stopfen ist hierzulande verboten, es ist extrem qualvoll für die Tiere“, weiß Thomas Overgünne. Er kennt die Irrungen und Wirrungen, denen die Tiere ausgeliefert sind, die nicht das Glück haben auf seinem Hof an der Hackfurtstraße oder vergleichbaren regionalen Landwirtschaftsbetrieben aufzuwachsen. Zwar lautet ihr Los immer Tod. Und zwar nicht im hohen Alter, sondern gewissermaßen im besten Jahr - nämlich dem ersten. „Das weiß schon unser Jüngster, der Johannes, mit seinen zwei Jahren, der nicht nur die Gänse sondern auch das andere Geflügel hingebungsvoll füttert“, erzählt der Landwirt, dessen Hof schon mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel hat.
Und Johannes kennt, wie die ganze Familie, die Gänse schon als Küken, wenn 500 an der Zahl im zarten Alter (und noch zarterem Flaum) kurz nach dem Schlüpfen vom Hof Tapphorn in Lohne nach Kirchhellen umziehen. Alles andere scheint tatsächlich wie das Idyll, dass man aus dem Bilderbuch kennt. Denn Overgünnes Federvieh hat vor allem eins: Auslauf. Dazu gehöre der tägliche Gang auf die Weide mit Ausflug zum Teich, so der Landwirt. Daran können sich eine Gänse schon wenige Tage nach der Ankunft gewöhnen. Und sobald die Federn vom gelblichen Flaum zu Blütenweiß gewechselt haben sind die Gänse auch unempfindlich, selbst gegenüber dem Kälteeinbruch, den es oft zu den Eisheiligen im Mai noch gibt.
„Selbst gegen ein Eisbad haben die nichts einzuwenden, wir entfernen im Winter manchmal die Eisschicht, damit die Gänse, die wollen morgens eintauchen können“, so Overgünne ein wenig bewundernd. Und die klassische Gänseliesel? „Unsere Gänse kennen ihren Weg, manchmal rennen sie geradezu über den Hof und abends wieder zurück in den Stall, denn wo das Futter wartet, gibt es auch Schutz vor dem Fuchs.“ Aber nicht nur die Bewegung an frischer Luft, sondern auch das Futter sorgt am Ende für kräftiges und vor allem schmackhaftes Fleisch. Neben Gras steht Getreide aus hiesigem Anbau, Möhren, Mais oder Dinkelbrote vom Vortag, vom Bäcker Kläsener, der Overgünnes Dinkel verbackt, auf dem Speiseplan. Äpfel kommen nicht nur in die geschlachtete Gans (je nach Rezept). „Sondern auch als Futter von unserer Streuobstwiese“, sagt Thomas Overgünne.
Die meisten Gänse werden im Schnelldurchlauf gemästet
Rund 85 Prozent der in Deutschland verkauften Gänse stammen aus industriell betriebenen Schnellmast- und Intensivbetrieben, zumeist aus dem Ausland. Dort findet die Aufzucht mit Kraftfutter im Schnelldurchgang statt, bis das Schlachtgewicht erreicht ist und die Tiere als Tiefkühlware im Supermarkt oder Discounter landen.Das Bundeslandwirtschaftsministerium rät, beim Kauf auf die Herkunft (Deutschland) sowie auf Label der ökologischen Landwirtschaft oder bei konventioneller Erzeugung auf „Freilandhaltung“, „Bäuerliche Freilandhaltung“ oder „Bäuerliche Freilandhaltung – unbegrenzter Auslauf“ zu achten. Am besten aber: zum regionalen Erzeuger gehen und dort die Gans aussuchen.
Auf dem Weg der Gans folgt der heikelste Teil - die Schlachtung. Dass auch Overgünnes Gänse den Weg alles Irdischen gehen - nur eben etwas früher - gehört seit Jahrtausenden zum Wesen der Nutztierhaltung. Sicher, es gibt heute Kinder, die gar nicht wissen, dass das, was sie möglicherweise auf ihrem Teller haben, ein Tier ist. „Wir als Landwirte wissen das von klein auf, wir erleben das Wachsen und das Schlachten, zum Beispiel in der Landfleischerei meines Bruders Christoph auf dem alten Klaphecks-Hof und bei regionalen Kleinbetrieben, mit denen wir zusammen arbeiten“, sagt Thomas Overgünne.
Und er weiß: „Kein Landwirt quält ein Tier beim Schlachten oder rupft eine Gans noch lebend!“ Das wissen auch die Kunden, die genau deshalb kommen. Auch bei einem Kilopreis von aktuell 15,50 Euro. Die Gastronomie beliefert der Hof nicht. Die Gänse wandern nur auf private Esstische. Overgünnes selbst setzen am Weihnachtsfest übrigens ganz lecker auf - Rind.