Bottrop-Kirchhellen/Hünxe/Dinslaken. Rund um Hünxe und Kirchhellen haben sich die Tierrisse gehäuft, vier Ponys sind gestorben. Die Wolfsdebatte um einen Abschuss entbrennt erneut.
Er hieß Ecki, lebte zusammen mit Fritzi seit 15 Jahren in einer „Altherrengemeinschaft“, zuletzt aus Angst vor dem Wolf nicht mehr auf der Weide, sondern im Garten des Besitzers. In der Nacht zu Mittwoch ist das Shetlandpony gerissen, 20 Kilo seines Fleisches gefressen worden. Dass es ein Wolf war, ist noch nicht bestätigt, liegt aber sehr nahe, schließlich gibt es keine anderen Raubtiere in der Region.
Es war der vierte Ponyriss in vier Wochen und wenn so ein kleines Pferd stirbt, oft das einzige der Familie, dann erregt das die Gemüter noch mehr als bei einem getöteten Schaf. Zuletzt waren Ende September vier Schafe in Dinslaken an der Grenze zu Kirchhellen gerissen worden.
Diskussion um den Abschuss der Wölfin Gloria entbrennt neu
Seit Oktober 2018 hat das Umweltministerium das Gebiet am unteren Niederrhein als Wolfsgebiet Schermbeck ausgewiesen, seitdem klar war, dass Wölfin Gloria sich hier dauerhaft niedergelassen hat. Mindestens zwei Welpen zog sie bislang groß, deren Vater gehört auch zum Rudel.
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Nun will das Umweltministerium die Lage im Wolfsgebiet Schermbeck, zu dem auch Kirchhellen, Dinslaken und Hünxe gehören, neu bewerten. Nachdem im Mai das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Klage des Hünxer Schäfers Kurt Opriel abgewiesen hat und entschied, dass Gloria nicht abgeschossen werden darf, entbrennt angesichts der toten Tiere erneut eine Diskussion. Die Fronten zwischen Wolfsgegnern und Wolfsfreunden sind verhärtet. Das sind die Argumente, die für und gegen den Wolf in unserer Region sprechen.
Warum der Wolf gut fürs Ökosystem ist
„Wo der Wolf jagt, wächst der Wald“, besagt ein russisches Sprichwort. Denn Wölfe regulieren den Wildbestand im Wald. Sie jagen alte, sehr junge oder schwache Rehe und Hirsche. Dass deren Population eingedämmt wird, hat zu Folge, dass sie weniger Triebe fressen, der Wald besser wachsen kann.
Ein Beispiel aus dem Yellowstone-Nationalpark im Westen der USA zeigt das eindrücklich: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Wolf dort ausgerottet, das Ökosystem geriet aus den Fugen, Elche und Rothirsche vermehrten sich zu stark. Seitdem der Wolf wieder angesiedelt wurde, hat sich die biologische Vielfalt in der Region deutlich erhöht, belegen Studien.
Wolfrisse: Das Leid der Schäfer und Pony-Halter
Im Sommer war es ruhig geblieben rund um Gloria, monatelang hatte es keine Nutztierrisse gegeben. Nun aber häufen sich die Fälle. Das hatte nicht nur der Nabu schon im Sommer vorausgesagt: Wenn die Welpen von Gloria – gesichtet worden ist vom Wurf aus diesem Jahr bislang nur ein Weibchen – größer und nicht mehr gesäugt werden, beginnt ihr Fleischhunger und der Jagdtrieb des Muttertiers wächst.
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Nach mehreren Schafen und den vier Ponys in diesem Herbst sind zahlreiche Tierhalter geschädigt worden. Das Problem: Für Ponys und Rinder gibt es keine Empfehlung, wie zu zäunen ist, geschweige denn eine Erstattung der Kosten. Eine solche Förderung fordert sowohl Rolf Fricke vom Bottroper Naturschutzbund (Nabu) als auch Eckhard Vornbrock vom Gahlener Bürgerforum, wobei letzterer sagt: „Wie soll denn ein Zaun aussehen, der dieses Rudel abhält? Der müsste ja wie im Zoo sein, alles andere ist Makulatur und Dummschwätzerei.“
Was der Nabu den Tierhaltern empfiehlt
Rolf Fricke versteht, dass sich gerade nach den Pony-Rissen die Gemüter erhitzen, der „emotionale Faktor“ sei höher. Das Problem aus seiner Sicht ist: „Ponys sind an Hunde gewohnt, sie nehmen Hunde und damit auch Wölfe nicht als Gefahr wahr.“ Das Pony bliebe also vermutlich reglos stehen, wenn der Wolf kommt, sei somit eine leichte Beute. „Der Wolf ist kein intelligenter Jäger, sondern ein opportunistischer. Er nimmt den gedeckten Tisch wahr.“
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So lange es keine Förderungen für einen besseren Wolfsschutz für Pferde- und Pony-Halter gibt – das Umweltministerium arbeitet an einer neuen Richtlinie –, sollten die Tierhalter ihre Ponys in den Stall sperren. „Ein gutes Motorrad lässt ja auch keiner nachts draußen stehen.“ Seine Tiere draußen nicht zu schützen, hält Fricke für „grob fahrlässig“; das wirke zudem wie eine Konditionierung, weil der Wolf lerne, dass Ponys leicht zu reißen sind.
Warum das Gahlener Bürgerforum den Abschuss des Wolfs fordert
„Wir haben nichts gegen den Wolf an sich“, sagt Eckhard Vornbrock. „Aber eine Kulturlandschaft und der Wolf können nicht harmonieren.“ Es gebe unauffällige Wölfe – und es gebe Gloria, die bewiesen habe, über Zäune zu springen. Oft sei den Betroffenen ausreichender Wolfsschutz vom Lanuv (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz) abgesprochen worden, weil die Zäune keinen Untergrabeschutz hatten. „Aber Gloria hat nie untergraben“, sagt Vornbrock.
Knapp 2000 Wölfe leben nach Schätzungen des Deutschen Bauernverbandes in Deutschland, damit hat die Bundesrepublik eine der höchsten Wolfsdichten Europas. Doch während in anderen Ländern die Population reguliert wird, bedarf es hierzulande zur Entnahme eines Wolfs der Genehmigung der zuständigen Naturschutzbehörde, weil ihre Tötung als schützenswerte Tiere verboten ist.
Bei der Einzelfallbewertung geht es um die Frage, ob das Tier verhaltensauffällig ist. Beim Gerichtsprozess im Mai hatte Matthias Kaiser vom Lanuv gesagt: „Gloria ist nicht verhaltensauffällig. Sie reißt Nutztiere, weil sie sie als Beute ansieht und hungrig ist. Verhaltensauffällig wäre sie erst dann, wenn sie ihre Scheu vor Menschen ablegen würde.“ Weil das aber nicht gegeben war und das Verwaltungsgericht keinen erheblichen wirtschaftlichen Schaden für Schäfer Opriel gesehen hatte, wurde dessen Klage auf Entnahme damals abgelehnt.
Umweltministerium: Gefährdung von Menschen besteht nicht
Nachdem im Oktober bei Schäfer Opriel ein Schaf in der Nähe der Schulbushaltestelle gerissen wurde, waren Sorgen aufgekommen, die Kinder seien gefährdet. Dem widerspricht das Ministerium: „Eine Gefährdung von Menschen durch Wölfe hat es seit der Rückkehr der ersten Wölfe nach Deutschland vor über 20 Jahren bisher nicht gegeben,“ sagt Christian Fronczak, Sprecher des Umweltministeriums NRW. „Dennoch meiden Wölfe die vom Menschen geschaffenen Strukturen wie Straßen, Brücken oder Gebäuden nicht, das ist auch im Wolfsgebiet Schermbeck der Fall.“
Streit um Jagdrecht in Niedersachsen
In Niedersachsen wird aktuell über die Frage diskutiert, ob der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen werden soll. Das würde Jägern mehr Rechtssicherheit verschaffen, Natur- und Tierschutzverbände sind allerdings dagegen.
Weil Wölfe weiterhin einer ganzjährigen Schonzeit unterlägen, müsste auch nach einer Novellierung des Jagdgesetzes zum Abschuss weiterhin eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden.
Die einzigen dokumentierten Angriffe in Europa von Wölfen auf Menschen ereigneten sich in Spanien in den 1950er und 1970er Jahren. Dabei wurden laut Dokumentations- und Beratungsstelle zum Thema Wolf vier Kinder getötet und vier verletzt.
Wie es nun weitergeht: Umweltministerium gibt neues Gutachten in Auftrag
Das Umweltministerium hat ein neues Rechtsgutachten zur Situation im Wolfsgebiet Schermbeck in Auftrag gegeben. Umweltministerin Ursula Heinen-Esser hat bereits nach dem ersten Riss der Serie in Hünxe im Oktober die Frage nach einem Abschuss der Wölfin Gloria (GW954f) erneut aufgeworfen.
„Die aktuelle räumliche und zeitliche Häufung von Übergriffen erfüllen uns mit großer Sorge“, erklärt Umweltministeriums-Sprecher Christian Fronczak. Die jüngsten Vorfälle gäben nun noch einmal Anlass, genauer zu prüfen. Bereits in den nächsten Tagen soll das neue Gutachten vorliegen.