Bottrop. Im November 1987 wird eine junge Bottroperin mit 38 Messerstichen getötet. Der Täter legt eine falsche Spur. Wie er trotzdem überführt wurde.
Sie liebten sich, holten gemeinsam Titel im Tanzsport. Nach außen ein Vorzeigepaar. Bis der 22-jährige Bottroper die Liebe zweier junger Menschen grausam beendete und seine 18 Jahre alte Freundin im November 1987 mit 38 Messerstichen tötete. Danach legte Norbert G. eine falsche Spur, führte die Polizei in die Irre.
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Norbert G. und Claudia Gu. stammen beide aus Bottrop. Die 18-Jährige absolviert 1987 eine Ausbildung in einem Bottroper Reisebüro. Ihre Eltern, aber auch Freunde, beschreiben sie als sympathische, fröhliche und aufgeweckte junge Frau. Ein Foto, mit dem die Polizei anfangs nach der vermissten Claudia Gu. gesucht hatte, zeigt eine lachende Frau mit dem für die 1980er Jahre so typischen Lockenkopf.
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Auf einer Tanzparty hatte sie etwas über ein Jahr vor ihrem gewaltsamen Tod Norbert G. kennengelernt. Er soll ihr erster Freund gewesen sein. Sie verstehen sich offenbar gut, machen gemeinsam Urlaub in Italien, reden über die Zukunft.
Junges Paar holt Meistertitel im Tanzsport
Norbert G. wird anfangs als freundlicher, hilfsbereiter junger Mann beschrieben. Aber es gibt auch andere Stimmen. Sie sprechen von seinen Aggressionen. Zu diesen Stimmen gehören ausgerechnet die seiner Eltern und Geschwister. Nach ihren Worten ist Norbert G., der 22-Jährige, jähzornig und impulsiv.
Claudia Gu. und ihr Freund Norbert G. verbringen einen großen Teil ihrer Freizeit miteinander. Beide engagieren sich im Tanzsport. Sie harmonieren in ihrem Sport, gewinnen auch verschiedene Meistertitel. Im November 1987 wollen beide ausspannen, fahren in Richtung Stuttgart. Auf der A 61 in Boppard, Höhe Koblenz, halten sie an. Aber das verschweigt Norbert G. später der Polizei.
Freund legt vor der Polizei falsche Fährte
Stattdessen meldet der Bottroper der Polizei, dass seine Freundin und er in der Nähe von Alzey Opfer eines Überfalls geworden seien. Sie hätten an der A 61 auf dem Rastplatz Hundsheim bei Hauxberg angehalten. Dort seien zwei Männer auf sie zugekommen. Sie hätten ihn zusammengeschlagen. Er habe das Bewusstsein verloren und als er aufgewacht sei, da sei seine Freundin verschwunden gewesen. Offenbar entführt.
Aber schon nach kurzer Zeit gerät Norbert G. in Verdacht. Die Kripo hat erhebliche Zweifel an der Entführung. Es ist ja keine wohlhabende, keine reiche Frau, diese 18-Jährige. Wer soll sie entführen? Oder gibt es wirklich zwei Sex-Täter, die zusammen die Entführung einer jungen Frau geplant haben, um eigene Sexwünsche zu erfüllen?
Wieder mal hilft Kommissar Zufall
Noch wagt es kein Ermittler, den Verdacht gegen Norbert G. offen auszusprechen. Kommissar Zufall kommt den Fahndern zu Hilfe. Soldaten der Bundeswehr veranstalten am 11. November 1987 in einem Waldgebiet bei Boppard am Rhein eine Übung. Plötzlich stoßen sie auf eine Leiche. Kripo und Staatsanwaltschaft untersuchen den Leichenfund. Schnell kommen sie darauf, dass es sich offenbar um die verschwundene Claudia Gu. handeln muss. Sie wurde mit 38 Messerstichen getötet.
Jetzt rückt Claudias Freund Norbert G. in den Mittelpunkt der Ermittlungen. Die Rechtsmedizin in Mainz liefert schnell den ersten handfesten Beweis gegen ihn. Er hatte ja behauptet, dass seine Freundin und er am 7. November um 18 Uhr überfallen worden seien. Die Obduktion hat aber ergeben, dass Claudia Gu. schon vorher tot war. Nur einen Tag, nachdem ihre Leiche gefunden wurde, nehmen die Ermittler den Bottroper fest. Der hält aber an seiner Erzählung fest, sie seien Opfer brutaler Entführer geworden.
Geständnis: Ja, ich habe sie getötet
Am Sonntag, 15. November 1987, ist es soweit, Norbert G. gesteht die Tat. Ja, er habe Claudia Gu. getötet. Immer wieder habe er mit einem Küchenmesser auf seine Freundin eingestochen. Warum er das Messer dabei hatte, fragt die Kripo ihn. Das liege immer im Auto, antwortet er. Warum er seine Freundin umgebracht hat, warum so grausam mit 38 Messerstichen, das wollen die Vernehmungsbeamten jetzt von ihm wissen. Er bleibt vage. Während der Autofahrt seien sie in Streit geraten, sagt er. Er sei dann gegen 17 Uhr von der A61 abgefahren und habe den Wagen in einen Feldweg gelenkt, um dort weiterzureden. Claudia sei aber so aufgebracht gewesen, dass sie fortgelaufen sei. Er habe dann das Messer ergriffen und sei ihr nachgelaufen. Schnell habe er sie eingeholt und zugestochen. Viel mehr erzählt Norbert G. nicht.
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Am 11. Oktober 1987 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes. Näheres zum Motiv hat sie nicht herausgefunden. Am 3. April 1989 beginnt vor dem Koblenzer Schwurgericht die Hauptverhandlung gegen Norbert G., den mittlerweile 23 Jahre alten Bottroper.
Am ersten Prozesstag wiederholt er sein Geständnis. Aber es bleibt weiter unklar, aus welchem Grund ein eigentlich üblicher Streit zwischen einem Paar in 38 Messerstichen endet. Beleidigungen und Schimpfworte seien auf der Fahrt im Streit gefallen, erzählt er. Mittlerweile war er schon von der Autobahn abgefahren, um „in Ruhe zu diskutieren“. Da sei Claudia plötzlich raus aus dem Auto. Er hinterher – nicht ohne zuvor Handschuhe anzuziehen und das Messer zu ergreifen. „Ich weiß noch, wie sie da vor mir stand. Ich habe auf sie eingestochen. Nach dem ersten Stich habe ich gesehen, was passiert ist. Ich habe dann einfach draufgestochen.“ Danach habe er ein Sexualdelikt vortäuschen wollen, sagt er.
Der Streit der Gutachter um die Schuldfähigkeit
Gutachter Balthasar Gareis billigt dem Angeklagten verminderte Schuldfähigkeit zu, die eine niedrigere Strafe bedeuten würde. Die Tat sei das Ergebnis eines „angestauten hochgradigen Affektes“. Gareis spricht von einer „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“.Dem widerspricht Hans-Jürgen Horn, Leiter der Gerichtspsychiatrie an der Uni Hamburg. Mit einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung sei das Verhalten des Angeklagten nicht in Einklang zu bringen. Horn zählt auf: Vor der Tat sieht er das Herausholen des Messers aus einer Plastiktüte, das Überziehen der Handschuhe und die Verfolgung seines Opfers als klar rationales Verhalten.
Das Vortäuschen einer Sexualtat und die Geschichte einer Entführung passten ebenfalls nicht zur tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, zu einem Kontrollverlust. Horn: „In einer psychischen Ausnahmesituation befand er sich sicher. Aber die rasche Rückkehr zur Realität ist ein Punkt, der gegen eine schwere Bewusstseinsstörung spricht.“
Staatsanwalt fordert lebenslange Haft
Staatsanwalt Stattmüller fordert am 17. April 1989 in seinem Plädoyer eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Heimtückisch habe der Angeklagte seiner Freundin zuerst in den Rücken gestochen. Er habe ausgenutzt, dass sie zu keinem Zeitpunkt mit einem tödlichen Angriff rechnen konnte. Deshalb sei sie auch nicht in der Lage gewesen, sich zu wehren. Verteidiger Blatt bezieht sich auf das Gutachten des Balthasar Gareis. Deshalb sei sein Mandant lediglich wegen Totschlags im Affekt zu verurteilen, die verminderte Schuldfähigkeit müsse in einem niedrigen Strafmaß berücksichtigt werden.
Urteil: Zwölf Jahre Haft wegen Totschlags
Das Schwurgericht verurteilt Norbert G. lediglich wegen eines Totschlags, verhängt zwölf Jahre Haft. Für ein Mordurteil, das zwangsläufig die lebenslange Strafe gebracht hätte, sah das Gericht rechtlich keine Möglichkeit. Voraussetzung wäre die Feststellung der Heimtücke. Die Urteilsbegründung spiegelt ein wenig das Unverständnis der Strafkammer für das Verhalten des Angeklagten wider. Norbert G. habe „auf grausame Weise und mit höchster Brutalität“ getötet, erinnert der Vorsitzende Richter Rudolf Nattermann an die 38 Messerstiche. Voll schuldfähig sei der Angeklagte gewesen.
Norbert G. nimmt das alles hin, nach außen gefasst. Mit gesenktem Kopf hört er der Urteilsbegründung zu. Sein wahres Motiv, so vermuten viele im Saal, hat er bis zum Schluss für sich behalten.
Podcast „Der Gerichtsreporter“
Am Montag, 20. September, erscheint um 16 Uhr eine neue Folge vom Podcast „Der Gerichtsreporter“. Titel: Das grausame Ende einer Liebe junger Menschen.. Im Podcast erzählt Gerichtsreporter Stefan Wette, was den damals 22-Jährigen Bottroper zu dieser Tat bewegt hat und wie er die Polizei anschließend auf eine falsche Spur führte.
Alle zwei Wochen gibt es montags eine neue Podcast-Folge. Alle Folgen auf: www.waz.de/gerichtsreporter.
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