Kirchhellen. Von 1811 bis 1821 war Kirchhellen richtig groß. 1821 stutzten die Preußen das Dorf wieder zurecht. Dafür bekam es einen großen Bürgermeister.
1821 war aus zwei Gründen ein historisches Jahr für Kirchhellen. Zum einen stutzten die Preußen dass Dorf um die Bauernschaften Ellinghorst, Rentfort, Scholven und Zweckel, die die Franzosen 1811 an Kirchhellen angegliedert hatten. Und: In diesem Jahr trat ein Bürgermeister sein Amt an, der das Dorf in den folgenden Jahrzehnten nachhaltig veränderte: Wilhelm Tourneau.
Wilhelm Tourneau entstammte einer französischen protestantischen Emigrantenfamilie und wurde in Duisburg geboren. Bis 1816 war Tourneau Sekretär beim Freiherrn von Wenge, Herr auf Schloss Beck und seit 1811 erster „Maire“ (Bürgermeister) von Kirchhellen. Der Sekretär folgte dem Freiherrn auf den Sessel des Bürgermeisters, später wurde Tourneau zudem noch Bürgermeister von Bottrop und Osterfeld - und blieb das für 30 Jahre.
2183 Einwohner, 1007 Kühe
Als Tourneau sein Amt in Kirchhellen antrat, zählte seine „Herde“ 2183 Einwohner, 1007 Kühe, 1172 Schafe und 237 Schweine, schreibt der Heimatforscher Hans Büning in seinen Werk „Kirchhellen 1815/1900“ aus der Schriftenreihe des Heimatvereins, in dem er vor allem berichtet, wie sich die Kirchhellener damit abfanden, seit 1815 zu Preußen zu gehören. Und er beschreibt, wie Kirchhellen damals ausgesehen hat: matschig. Sehr matschig.
„Für uns heute ist es kaum vorstellbar, dass sich in ganz Kirchhellen nicht eine einzige befestigte Straße befand“, schreibt Büning. „Die Straßen und Wege des Dorfes waren nichts anderes als Feldwege, die nach jedem Regenfall in grundlosem Morast versanken. Es gab auch noch keine Kanalisation, so dass alle Abwässer, zum Teil auch die Fäkalien, auf die Straßen flossen.“
„Äußerst schmutzig“
Das wollte Tourneau ändern Das „äußerst schmutzige Dorfe Kirchhellen“ sollte ein Straßenpflaster bekommen. Doch lange warb er vergeblich um Mitstreiter. Der Durchbruch kam 1834, als Tourneau an einer Nebenstraße ein Exempel statuieren konnte. Er gewann drei Kirchhellener dafür, Kieselsteine in der Heide zu sammeln und konnte sie zur Pflasterung der heutigen Straße „Am alten Kirchplatz“ bewegen. Der Bürgermeister notierte befriedigt in seinem Journal: „Die ganze Anlage kostete 66 Thaler 18 Silbergroschen.“
Damit war ein Anfang gemacht. Aber dass sich das Dorf daran ein Beispiel nehme, hatte Tourneau vergeblich gehofft. Büning: „Über zehn Jahre kämpft Bürgermeister Tourneau einen harten Kampf um die Mitwirkung der Bürger. Geldspenden und unentgeltliche Anfuhr von Pflastersteinen machen es dann möglich, dass die Durchgangsstraßen durch das Dorf mit einem Pflaster versehen werden konnte.“ Das Dorf war im Wortsinn trocken gelegt – wenigstens an den wichtigsten Straßen.
„Wirklich freundlich geworden“
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Befriedigt notiert der Bürgermeister: „Nunmehr ist der Ort, ,,in dem sonst bei Regenwetter jeder einzukehren sich scheute, wirklich freundlich geworden, besonders da auch Mist und Kothaufen haben weichen müssen. Zur Gesundheit muss die jetzige Reinlichkeit nothwendig beitragen.“ Ähnliche Erfolge konnte Tourneau übrigens auch in Osterfeld feiern.
So erfolgreich Tourneaus Amtszeit 30 Jahre lang auch war, so schmählich war das Ende. „Tourneau ist ahnungslos Opfer einer Intrige geworden“, sagt Heike Biskup, die Leiterin des Stadtarchives. Offensichtlich hatte er mit seiner Unbestechlichkeit wichtige Leute in Bottrop und Osterfeld vergrätzt, weil er sich weigerte, ihre Söhne von der preußischen Wehrpflicht freizustellen.
Eiskalt abserviert
Der Chronist des heutigen Oberhausener Ortsteils Osterfeld berichtet: „Er ließ auch die Söhne der reicheren Einwohner und die der Gemeinderäte nicht als unentbehrlich gelten, obwohl er dazu aufgefordert wurde. Natürlich machte sich Tourneau hierdurch eine Menge Feinde.“ Die Quittung dafür bekam er im August 1851, bei einer eigentlich routinemäßig anstehenden Wahl.
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Nach 30 Jahren hervorragender Amtsführung wurde Tourneau eiskalt abserviert. „Mit sechs zu zwei Stimmen wurde sein eigener Amtsgehilfe Morgenstern statt seiner zum Bürgermeister von Bottrop und Osterfeld gewählt. Kirchhellen blieb dem tüchtigen Bürgermeister, welches er noch bis Ende 1853 verwaltete. Finanziell war Tourneau jedoch am Ende. Mit der kargen Pension konnte er seine kranke Frau und neun Kinder nicht ernähren. Als Tourneau 1853 kraftlos und resigniert das Amt in Kirchhellen niederlegte, musste seine älteste Tochter die Regierung um Unterstützung für ihren Vater bitten.“ 1860 starb Tourneau in Oberhausen-Sterkrade.