Bottrop. Als die Büchereien in der Boy und auf dem Eigen geschlossen wurden, entwickelte die Bibliothek die Stadtteilarbeit. Dabei entstanden auch Bücher.

Zehn Jahre ist es her, dass die Stadtteilbibliotheken in der Boy und auf dem Eigen dichtgemacht wurden. Im Zuge des Stärkungspaktes wurden die Zweigstellen an der Gladbecker und der Horster Straße geschlossen. Stattdessen wurde die Stadtteilarbeit der Lebendigen Bibliothek entwickelt. Verantwortlich dafür sind Gabriele Kühlkamp und Dietlinde Kamp-Kalus. Sie konnten etwas aufbauen, was es so bisher nicht gab. Und so hat sich in den vergangenen zehn Jahren eine unglaubliche Bandbreite bei den Angeboten entwickelt.

Klassisches Vorlesen steht genauso auf dem Programm wie Lesungen für Erwachsene. Daneben werden aber auch Ausflüge oder Koch-Events für Kinder organisiert. Doch Ausgangs- oder Endpunkt sind immer das Buch oder die Medien aus der Bücherei. Beispiel gefällig? Das gemeinsame Kochen mit den Kindern: „Hier haben wir uns Rezepte gesucht, die Kinder mussten sie lesen, teils auch aufschreiben, weil sie sich die Rezepte von der Oma geholt haben und am Ende entstand eben auch ein Buch“, erinnert sich Dietlinde Kamp-Kalus.

Weil Lektüre fehlte, wurden die beiden Bottroperinnen selbst zu Autorinnen

Ähnlich war es auch beim gemeinsamen Besuch im Landtag. Zuvor habe man sich mit dem Thema Politik befasst, am Ende stand zumindest auch ein Fotobuch, um das gemeinsame Erlebnis festzuhalten. „Das Buch ist der Anknüpfungspunkt bei allen Projekten“, sagt Gabriele Kühlkamp.

Und da, wo es an den passenden Büchern fehlte, wurden die beiden Bücherei-Mitarbeiterinnen eben selbst zu Autorinnen. Auf diese Weise entstanden schon drei Bücher über Oskar, der Bottrop entdeckt. Das Problem war: Eltern und Lehrern fehlte eine kindgerechte Herangehensweise an den Bergbau. Und weil sich tatsächlich nichts Passendes fand, haben Gabriele Kühlkamp und Dietlinde Kamp-Kalus eben selbst geschrieben.

Überhaupt sei die Stadtteilarbeit auch ein großes Experimentierfeld für sie beide gewesen. Zuvor hätten sie ja die Stadtteilbibliotheken geleitet, nun also die Stadtteilarbeit, für die es kein wirkliches Vorbild gab. Im Gegenteil, wir waren da eine Art Vorreiter, erinnert sich Jörg Dieckmann, der Leiter der Lebendigen Bibliothek. „Für uns war es ja fast ein neuer Beruf“, sagt Gabriele Kühlkamp. An der TH in Köln haben sie sich dann weitergebildet, sind nun „Experten für das Lesen“.

Stadtteilarbeit für den Bottroper Süden und Südosten

8110 Veranstaltungen haben seither in den Stadtteilen stattgefunden. Dabei konzentriert sich die Stadtteilarbeit vor allem auf die Boy, den Eigen, Ebel, Welheim und die Welheimer Mark. Im Prinzip also die Bereiche, die zum Einzugsgebiet der ehemaligen Zweigstellen gehören. Vor allem in den Schulen und Kitas finden Veranstaltungen statt – hier dienen sie oft auch der Integration – aber auch in den Seniorenzentren der Stadtteile.

Auch Kinderbuchautorin Fritzi Bender war schon zu Gast bei der Stadtteilarbeit und hat in der Kita St. Franziskus gelesen. Dazu organisiert die Stadtteilarbeit auch zweimal im Jahr Lesungen für Erwachsene. Zu Gast sind dann auch durchaus namhafte Autorinnen und Autoren, etwa Gisa Pauly, Autorin einer Reihe von Sylt-Krimis. Zuletzt war so etwas nur sehr eingeschränkt möglich. Während der Corona-Einschränkungen wurden stattdessen Mitmachtüten gepackt. Gefüllt mit Lesestoff, Rätseln oder Experimenten waren die beiden Kindern auch stark nachgefragt. Nun aber soll noch vor den Ferien eine erste Veranstaltung in einer Schule stattfinden.

Rund 125.000 vor allem junge Teilnehmer hat die Bücherei auf diesem Wege erreicht

Fast 125.000 Teilnehmer hat die Stadtteilarbeit in den zehn Jahren mit ihren Projekten erreicht. Ein Großteil davon seien Kinder. Die beiden Verantwortlichen gehen davon aus, dass sie mit ihrer Art der aufsuchenden Arbeit in den Schulen, in den Kitas mehr Kinder erreicht haben, als sie sie mit den Büchereizweigstellen erreicht hätten. Etwas anders sehe es dagegen bei den Erwachsenen aus, so ihre Vermutung.

Wie sich nun die Stadtteilarbeit auf die Nutzerzahlen der Lebendigen Bibliothek auswirken, dass lasse sich nicht nachhalten, sagt Jörg Dieckmann. Allerdings treffe man immer wieder Kinder und Jugendlichen in der Bücherei, die man schon aus anderen Veranstaltungen kenne, sagt Dietlinde Kamp Kalus. Manche Kinder in den Stadtteilen im Osten nutzten später auch die Stadtbücherei in Gladbeck oder die Pfarrbücherei von St. Johannes in der Boy. Das sei aber vollkommen in Ordnung. Denn im Vordergrund der Stadtteilarbeit der Lebendigen Bibliothek stehe ein Punkt, sagen die beiden Initiatorinnen: „Wir wollen Lesefreude bringen“.

Unterstützung und Ruhestand

Die Stadtteilarbeit der Lebendigen Bibliothek wird auch von einer Vielzahl ehrenamtlicher Helfer unterstützt. Die lesen beispielsweise regelmäßig in Kitas und Schulen vor. Außerdem gibt es finanzielle Unterstützung, beispielsweise von der Stiftung Lesen aber auch vor Ort von der Egon-Bremer-Stiftung.

Nun steht allerdings ein personeller Wechsel an. Dietlinde Kamp-Kalus geht im Sommer in den Ruhestand. Doch bis nach dem Sommer die Stadtteilarbeit hoffentlich wieder richtig anlaufen kann, wird das Team wieder vollständig sein, so die Ankündigung.