Bottrop. Für die Zeche „Vereinigte Welheim“ setzt die Industrie in Bottrop erstmals die Idee vom grünen Wohnen um. Kein Geschacher um Infrastrukturabgabe.
Sie gilt bis heute als Bottrops Prunkstück unter den alten Arbeitersiedlungen: die Gartenstadt Welheim. Wie bei fast allen Kolonien der Stadt steht am Anfang wieder eine Zeche, die „Vereinigte Welheim“. Und dieses Mal wollte die Muttergesellschaft Mathias Stinnes eine einheitliche, bestens ausgestattete Siedlung „unter Ausschöpfung der Erfahrungen und den neuzeitlichen Anschauungen des Städtebaus“ errichten, wie Heimatforscher Wilfried Krix in seinem neuen Buch „Die alten Bottroper (Berg)-Arbeitersiedlungen“ detailliert beschreibt. Mit dieser Serie stellt die WAZ in Auszügen den Band vor, dem akribische Archiv- und Quellenarbeit zugrunde liegt.
Halbherzige Ansätze, Querelen zwischen Behörden und Industrie vor allem bei der Finanzierungsbeteiligung der notwendigen kommunalen wie kirchlichen Infrastrukturen, gab es bei früheren Kolonien fest jedes Mal. Dies alles spielt bei der Gartenstadt Welheim kaum noch eine Rolle. Das zeigt vielleicht auch schon der rasche Baubeginn im September 1913, nachdem der Bauantrag erst Ende Juli eingereicht worden ist. Zunächst sollen 57 Häuser mit 216 Wohnungen entstehen, zum Beispiel an der Gerhard-Küchen-, Hugo-Stinnes- oder Lindenstraße.
Idee stammt ursprünglich aus England
Neben der etwa zeitgleich entstandenen kleineren Krupp’schen Feuerwerker-Siedlung ganz in der Nähe ist Welheim die einzige Bottroper Anlage, die von Anfang an auf dem „Gartenstadtgedanken“ basiert. Die zunächst 500 geplanten Wohnungen sollen von einem Grüngürtel umgeben sein, vorhandene Wald- und Wiesenbestände geschont werden, die Bergleute „angenehme Wohnverhältnisse“ vorfinden. Obwohl in Welheim am Ende fast 40 verschiedene Haustypen zu finden sind, setzen die Planer bei den Straßen und verschiedenen kleinen Plätzen auf eine einheitliche Anmutung. So entsteht in zehn Jahren eine Art Mustersiedlung, die die ursprünglich aus England stammenden Ideen malerischer Gestaltung, Frischluft und Funktionalität aufnimmt. Die im benachbarten Essen entstehende Margarethenhöhe für Krupp-Mitarbeiter lässt grüßen.
Der knapp ein Jahr nach Baubeginn ausbrechende Erste Weltkrieg bringt Verzögerungen durch verordnete Baustopps in die nächsten Bauabschnitte. Die sollen schließlich 750 Wohneinheiten für Arbeiter plus eine, wie damals üblich etwas abgetrennte, so genannte „Beamtenkolonie“ mit 12 Häusern umfassen. Es entstehen Flötte- und Aspelstraße, Im Sundern, Streuwiese, Gungfeld, aber auch der Stinnes- und Ulmenplatz mit grünem, fast dörflichen Charakter.
Die Anliegerkosten für Beleuchtung, Wasserversorgung, Schulen und Kirchen werden, wie Wilfried Krix erforschte, im Gegensatz zu früheren Kolonien anstandslos pro Wohneinheit entrichtet. Zwei Polizeiwohnungen „mit je vier Zimmern, Küche, Boden und Keller nebst drei davon getrennten Arrestzellen“ werden von der Bergwerksgesellschaft wie gefordert kostenlos zur Verfügung gestellt. Heute kurios anmutende Details. Etwa 1923 ist die historische Kernsiedlung fertig gebaut.
Eine der größten und qualitätvollsten Arbeitersiedlungen im nördlichen Ruhrgebiet
Bis heute zählt die „Gartenstadt Welheim“ zu den größten und qualitätvollsten Siedlungen ihrer Art im nördlichen Ruhrgebiet. Im Zuge der Internationalen Bauausstellung (IBA Emscherpark) 1989-1999 wird die Kolonie für über 70 Millionen Euro grundlegend saniert. Eine Denkmalbereichssatzung ist seit 1993 wirksam. Die weißen Wandflächen, manchmal durch dunkle Holzelemente aufgelockert, und die roten Dächer geben der Gartenstadt ihr unverwechselbares Flair.
Das Buch
Das Buch „Die alten Bottroper (Berg)-Arbeitersiedlungen“ von Wilfried Krix soll in der Reihe „Geschichtsstunde“ des Stadtarchivs erscheinen. Wegen der Corona-Pandemie steht noch kein genauer Drucktermin fest.