Bottrop. Wirtschaftskrimi auf dem Eigen: Bottrop ködert Industriellen mit geringen Kosten durch Umgehung von Gesetzen bei der Zechenansiedlung.

Getrickst wurde immer schon und auf allen Seiten. Diese lapidare Feststellung könnte auch am Beginn der Geschichte der Zeche Rheinbaben und deren Siedlung stehen. Denn ohne ohne den „Deal“, den der damalige Bottroper Amtmann Gustav Ohm dem Mülheimer Industriellen August Thyssen 1897 vorgeschlagen hatte, hätte es die Zeche auf dem Eigen und damit wohl den Ortsteil, wie er sich heute darstellt, möglicherweise nie gegeben. Denn Ohm wollte unbedingt die Zeche und die hohen zu erwartenden Steuereinnahmen nach Bottrop holen und schlug Thyssen im Gegenzug vor, dafür auf Kosten für Siedlungs- und Infrastrukturmaßnahmen zu verzichten.

Beide Seiten wollten so die Vorschriften eines Ansiedlungsgesetzes umgehen, dass eine Kostenbeteiligung für Wohnungsbau aber auch bei Schulen, Kirchen oder Straßen seitens der Industrie vorsah. Thyssen sprach demzufolge auch nicht von neuen Siedlungen (Kolonien), sondern nur von einzelnen Bauten, die man errichten wollte. Der schwarze Peter für alle wichtigen Infrastrukturprojekte lag demzufolge bei der Gemeinde.

Die Backsteinhäuser an der Aegidistraße sind die ersten Werkswohnungen, die von der Zeche Rheinbaben errichtet wurden.
Die Backsteinhäuser an der Aegidistraße sind die ersten Werkswohnungen, die von der Zeche Rheinbaben errichtet wurden. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

In seinem neuen Buch „Die alten Bottroper (Berg-Arbeitersiedlungen“, das wir in dieser Serie vorstellen, beschreibt Autor Wilfried Krix diese Vorgänge, die er als frühen Bottroper Wirtschaftskrimi bezeichnet, anhand von Quellen und Literatur recht anschaulich. Jedenfalls legte Thyssen dem Amtmann am 6. Mai 1897 nahe, so auf die kirchlichen und politischen Vertreter Bottrops einzuwirken, dass die wegen der Koloniebauten möglichst „keine Schwierigkeiten machen“.

Und dann: „Beseelt und trunken von der Aussicht auf Steuereinnahmen durch einen neuen Bergbaubetrieb, verzichtete der Bottroper Gemeinderat in seiner Sitzung am 15. Mai auf alle zukünftigen Ansprüche, die ihnen durch das Ansiedlungsgesetz (...) zustanden. Zudem hatten sie keine Bedenken, die Nachbargemeinde Gladbeck, die an den Gesetzesauflagen festhielt, durch ihr Vorgehen auszustechen.“ Dort war Thyssen nämlich schon etwas weiter und hatte in Rentfort zwei Schächte gebohrt. Zwei weitere folgten dann auf Bottroper Gebiet.

Die Anlage der Rheinbabensiedlung, der sog. „Kapp-Kolonie“ an der Gladbecker Straße lässt sich aus der Luft gut erkennen.
Die Anlage der Rheinbabensiedlung, der sog. „Kapp-Kolonie“ an der Gladbecker Straße lässt sich aus der Luft gut erkennen. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Aus zwei Gewerkschaften wurde kurz darauf die Gesellschaft „Vereinigte Gladbeck“. Unmittelbar vor der Jahrhundertwende entstanden die ersten 15 Häuser der Kolonie an der Aegidistraße. 1900 folgten dort 30 weitere Backsteinhäuser und danach die ersten 30 Bauten an der Gladbecker Straße, später im Volksmund „Kapp-Kolonie“ genannt. Mit der Übernahme des Thyssen’schen Steinkohlebesitzes durch den Staat Preußen 1902 kam erneuter Schwung in Zechen und Siedlungen. Die Gladbecker Schächte hießen nun „Möllerschächte“, die Bottroper „Rheinbaben“, benannt nach den preußischen Ministern für Handel und Finanzen, Theodor von Möller und Georg von Rheinbaben. Auch die lokalen Zuständigkeiten in der Siedlungsfrage wurden durch neue Gesetze beschnitten und auf die Kreisebene verlagert.

Rheinbabensiedlung: Die Häuser an der Velsenstraße mit ihren üppigen Vorgärten entstanden für die höheren Zechendienstgrade.
Rheinbabensiedlung: Die Häuser an der Velsenstraße mit ihren üppigen Vorgärten entstanden für die höheren Zechendienstgrade. © Michael Korte

Das brachte schließlich neuen Schwung in den Siedlungsbau. An der Aegigstraße und an der Gladbecker Straße ging es weiter. Im Bereich Banniza-, Schanz- und Sydowstraße und Umgebung entstand ein locker der Gartenstadtidee folgender Siedlungsteil, der in der Nähe an die Kolonie der Zeche Prosper III grenzte. Für die höheren Angestellten (die so genannten Beamten) errichtete man baumbestandene Siedlungen wie die Rheinbabenstraße oder repräsentative Häuser mit üppigen Vorgärten, dafür aber weniger Gartenland im Vergleich zu den Arbeiterbauten, die bis heute die Velsenstraße säumen. Bottrops Einwohnerzahl verdoppelte sich damals innerhalb von 12 Jahren. Ausgelöst durch die Zeche Rheinbaben entstanden mehrere Hundert Häuser auf dem Eigen.

Hinter der Turmspitze der Liebfrauenkirche als Landmarke lassen sich die alten Zechenhäuser mit den langgestreckten Gärten an der Gladbecker Straße gut erkennen.
Hinter der Turmspitze der Liebfrauenkirche als Landmarke lassen sich die alten Zechenhäuser mit den langgestreckten Gärten an der Gladbecker Straße gut erkennen. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Die Landstraße nach Gladbeck mauserte sich zur Geschäftsstraße mit dem Eigener Markt. Die Entwicklung des Ortsteils lässt sich an der Liebfrauenkirche ablesen. Zwischen 1905 und 1907 entstanden Chor, Querhaus und ein Teil des Langhauses. Das verlängerte die Gemeinde wegen des Andrangs der Gläubigen um das Doppelte und bis 1914 folgte der Turm: Der Eigener Dom, der heute unter Denkmalschutz steht war fertig. Die Protestanten hatte zwar schon 1914 ein Pfarrhaus, die Gnadenkirche kam erst in den 1950er dazu. Beide Kirchen erhielten übrigens Zuschüsse vom Bergbau, wie auch die Gemeinde für Polizistenwohnungen, Schulen und Straßen.

Das Buch

Das Buch „Die alten Bottroper (Berg)-Arbeitersiedlungen“ von Wilfried Krix soll in der Reihe „Geschichtsstunde“ des Stadtarchivs erscheinen. Wegen der Corona-Pandemie steht noch kein genaues Datum fest.