Bottrop. Wenn Liebfrauen, St. Joseph und Herz Jesu aufgegeben werden, würde Bottrop gesichtsloser. Diese Bauten prägen das Stadtbild. Eine Betrachtung.
Den Blick zieht es unweigerlich in die Höhe, der Hall, den die Schritte oder das Knarren der alte Holzbänke verursachen, löst fast automatisch ein Gefühl von Achtung oder Ehrfurcht aus. Manche nennen das vielleicht auch Andacht. Denn noch immer sind Liebfrauen, Herz Jesu oder St. Joseph Orte des Gottesdienstes, die jede Woche mehrere Hundert Gläubige besuchen.
Aber auch das Konzertpublikum - fast 3000 Besucher kamen kürzlich zu den Veranstaltungen des Festivals „Orgel Plus“ - schätzt die Akustik, das Miteinander von Raum, Architektur und Klang. Wo sonst gibt es Orte auf dem Eigen, in Batenbrock oder in der Südstadt, in denen sich so viele Menschen in schöner - und seit vielen Jahren auch denkmalgeschützter Umgebung versammeln können? Einen größeren Konzertraum, ein Theater, einen städtischen Festsaal gibt es nicht. Mehrzweckräume wie Aulen, Sporthallen oder Gemeindesäle können höchstens als Notlösung angesehen werden.
Türme: Landmarken einer Stadt
Denn: Wo hält man sich gerne auf? Welcher Ort hat allein durch Höhe, Volumen und Ausgestaltung die Aura des ganz Anderen? Welches sind die Bauten, die durch so etwas „Nutzloses“ wie Türme oder riesige Kupferdächer beim Blick in und auf die Stadt Orientierung geben, den alten Ortsteilen ihre Mitte? Ein paar Halden oder ein einsames Industriedenkmal sind es eher nicht. Die alten Burgen oder ehemaligen Rittersitze, die an die frühe Geschichte Bottrops erinnerten, sind bereits verschwunden. Das geschah in einer Zeit, als man in den Industrieregionen wenig sensibel mit der eigenen Vergangenheit umging.
Jetzt stehen, bis auf ganz wenige Ausnahmen, die großen Kirchen auf dem Prüfstand - und wurden wohl nicht als zu leicht, sondern offensichtlich als zu schwer befunden. Eine Last, der man sich entledigen möchte. Ob praktische Leichtbauweise die Überlebenschancen aus Sicht des Verantwortlichen vergrößerten? Zuweilen scheint es so, aber man weiß es nicht.
Mit Herz Jesu und St. Joseph (sowie St. Matthias in Ebel) stehen drei der fünf Bottroper Kirchen zur Disposition, die der bekannte Architekt Josef Franke zwischen 1912 und 1936 entwarf. Die Eigener Liebfrauenkirche entwarf der bekannte Architekt Hilger Hertel aus Münster, der u.a. auch für den neugotischen Billerbecker Ludgerus-Dom und die Wallfahrtsbasilika in Kevelaer verantwortlich zeichnete.
Bekannte Architekten
Auf dem Eigen entstand zwischen 1908 und 1916 eine „reinrassige“ neugotische Basilika mit Bottrops höchstem Kirchturm. In St. Joseph spielte Josef Franke fantasievoll mit Elementen der Spätgotik und schuf einen bei aller Weite dennoch intim anmutenden Kirchenraum.
Der Hingucker: das vielgestaltige zeltartige Gewölbe, in dem Franke frei die Formensprache des 15. und 16. Jahrhunderts variiert. Die Renovierung vor einigen Jahren rückte nicht zuletzt durch die zarte Mehrfarbgebung das verspielte der Architektur verstärkt in den Blick.
Herz Jesu - lange Zeit die größte der Bottroper Pfarren - spiegelt auch ein Stück Bergbaugeschichte wider. Wenige Jahre nach Vollendung einer großen neugotischen Kirche setzten Bergschäden dem Bau so stark zu, das ein Neubau an gleicher Stelle notwendig wurde. Da eine Niederlegung des alten Turms zu gefährlich schien, ummantelte Josef Franke den gotischen Turm nur mit der heute sichtbaren expressionistischen Backsteinarchitektur, so dass sich als Kuriosum ein Turm im Turm erhielt.
Kein Kuriosum hingegen: die städtebauliche Relevanz dieses weit über den Bottroper Süden hinaus sichtbaren Bauwerks. Zu seiner Funktion als Gotteshaus kam vor 30 Jahren eine weitere. Herz Jesu wurde zum Ausgangspunkt für das Festival „Orgel Plus“ ist - dessen Schirmherr übrigens stets der Bischof von Essen ist.
Wertvolle Instrumente
Die alte großflächige Ausmalung ging nach dem Krieg verloren. Sichtbares Zentrum der weiten - fast schon konzertsaalhaften - Halle ist die gegenüber dem Altar liegende 1988 erbaute Rensch Orgel - bis zur Errichtung der Essener Domorgel übrigens die größte des Bistums.
Mit der später renovierten und erweiterten spätromantischen Seifert-Orgel in Liebfrauen befinden sich in diesen beiden von der Schließung bedrohten Kirchen somit die wichtigsten Konzertinstrumente der Stadt.
>>> WAZ BISHER IN LIEBFRAUEN GESCHAH
Kurz vor Weihnachten gründete sich auf dem Eigen die Initiative „Rettet Liebfrauen“. Mitglieder der Gemeinde und der Historischen Gesellschaft riefen seither nicht nut zu einer Unterschriftenaktion zum Erhalt der Kirche auf - bislang gab es 2000 Unterstützer - sondern suchen auch das Gespräch mit Pfarrleitung und Bistum.
Am Montag (29. Januar) kommt die siebenköpfige Initiative „Rettet Liebfrauen“ erneut zusammen und berät über weitere Maßnahmen.
Vor allem möchte man die bereits vor 15 Jahren gegründete Stiftung für Kirchenmusik und Bauerhalt stärker ins öffentliche Bewusstsein bringen.