Bottrop. Die lange Corona-Krise schlägt aufs Gemüt. Nachfrage nach Hilfe steigt. Dr. Astrid Rudel hat Tipps, wie man gut durch die Weihnachtszeit kommt.

Die Corona-Pandemie betrifft die Gesundheit des gesamten Menschen – auch die seelische. Was das heißt und was ein jeder für sein Wohl gerade auch zu Weihnachten tun kann, darüber hat Dr. Astrid Rudel, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Gerontopsychiatrie am St. Antonius Krankenhaus Kirchhellen , WAZ-Redakteurin Nina Stratmann Auskunft gegeben.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Psyche aus?

Dr. Astrid Rudel Wenn wir weniger soziale Kontakte haben, Hobbys nicht mehr wie gewohnt wahrnehmen können und sich die normale Alltagsroutine verändert, ist es nicht erstaunlich, dass sich das auf das Gemüt auswirkt. Wenn dann noch Home-Office oder gar eine Quarantäne anstehen, wird es oft schwer. Der Mensch ist ja ein soziales Wesen. Hinzu kommen bei Vielen gesundheitliche und existenzielle Ängste, manchmal auch Wut über Einschränkungen.

Gemäß einer Untersuchung der Charité Berlin aus der „ersten Welle“ litten in Deutschland 24,1 Prozent der Befragten unter psychischen Belastungen. Dabei waren Frauen und jüngere Menschen stärker betroffen.

Dr. Astrid Rudel, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Gerontopsychiatrie am St. Antonius Krankenhaus Kirchhellen.        
Dr. Astrid Rudel, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Gerontopsychiatrie am St. Antonius Krankenhaus Kirchhellen.         © Volker Wiciok

Was bedeutet das für psychisch vorbelastete Menschen?

Gerade Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen brauchen Tagesstruktur und verlässliche soziale Beziehungen. In einer Zeit, in der z.B. Selbsthilfegruppen sich nicht mehr real begegnen konnten oder Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen geschlossen waren, liegt es nahe, dass Verschlechterungen auftreten können und auch Rückfälle, z.B. bei Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen, zunehmen.

Spüren Sie eine Zunahme in der Klinik?

Zunächst einmal können wir – Stand jetzt - im Vergleich zu 2019 aufgrund der Infektionsschutzmaßnahmen nur circa 85 Prozent der vollstationären Behandlungsplätze zur Verfügung stellen – bei stärkerer Nachfrage und hohem Behandlungsbedarf in der Bevölkerung. Das stellt uns vor große Herausforderungen, um den Menschen gerecht zu werden.

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Aus verschiedenen Gründen – durch Aufschieben einer notwendigen Behandlung seitens der Betroffenen aus Sorge vor einer Infektion, durch verminderten Zugang zu anderweitigen psychosozialen Hilfen, durch Einsamkeit, Angst und Isolierung – steigt die Symptomschwere. Das bedeutet, dass die Patientinnen und Patienten, die wir in der Klinik behandeln, oft mit noch schwereren Symptomen als vor der Krise kommen. Aber auch die Nachfrage steigt stetig an, was wir uns durch die zusätzlichen psychosozialen Belastungen durch die Pandemie erklären.

Was raten Sie jetzt Menschen, die etwa schon unter Depressionen oder Suchterkrankung leiden?

Angenehme Aktivitäten zu fokussieren, wohltuende Kontakte mit anderen Menschen möglichst gut und sicher, z.B. telefonisch, zu pflegen, die Tagesstruktur aufrechterhalten. Mittlerweile konnten neue Wege gefunden werden, psychisch kranke Menschen zu unterstützen: Telefonberatung, Video-Sprechstunden und Online-Therapie-Programme seriöser Anbieter. Letztere können überbrückungsweise helfen.

Wichtig ist, das Betroffene möglichst ihre Therapien, wenn auch auf eine andere Art, fortsetzen, dabei im Kontakt mit Arzt, Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen bleiben, verordnete Medikation weiter einnehmen und besonders gut auf die eigenen Bedürfnisse achten. Wenn es zu schweren Krisen kommt, ist und bleibt das Krankenhaus wichtiger Ansprechpartner.

Licht und Bewegung helfen durch die dunkle Winterzeit.
Licht und Bewegung helfen durch die dunkle Winterzeit. © FUNKE Foto Services | Ulla Michels

Die lange Krise schlägt aber auch Menschen ohne Vorerkrankungen aufs Gemüt.

Wenn sich der Alltag so stark verändert, ist es besonders hilfreich, so weit möglich eine Tagesstruktur aufrecht zu erhalten, also gute Gewohnheiten wie die Essenszeiten, die persönliche Pflege und Selbstsorge fortzusetzen und darauf zu achten, nicht zu viel und nicht zu wenig zu ruhen. Ein Plan mit angenehmen Aktivitäten hilft dabei, sich bewusst Gutes zu tun: z.B. ein gutes Buch lesen, zu Hause eine gemütliche Atmosphäre schaffen, Sport, wenn möglich an der frischen Luft. Bewegung und viel Licht helfen dabei, über den Winter zu kommen.

Wie kommen wir gut durch die Weihnachtszeit?

Die Weihnachtszeit kennen wir als Zeit der Familie, der vertrauten gemeinsamen Rituale, als Zeit, in der wir Wärme, Nähe und das Zusammensein genießen. Durch die Coronapandemie wird auch diese Zeit anders verlaufen, wodurch tief verwurzelte Sicherheiten erschüttert werden können.

Doch es eröffnen sich neue Möglichkeiten: Sich auf den Kern des Festes zu besinnen, zur Ruhe kommen. Anderen Gutes zu tun, erfreut nicht nur das Gegenüber, sondern verleiht einem selbst Schwung. Wenn die große Familienweihnachtsfeier ausfällt, könnte man Nahestehenden auf andere Weise eine Freude machen und vielleicht Nachbarn mit Selbstgebackenem überraschen – Abstand halten ist auch dabei möglich. Telefonisch oder per Videochat kann man in Kontakt mit Freunden bleiben. Vielleicht bekommt man Lust, mal wieder einen Brief zu schreiben.

Manchmal hilft es, die Perspektive zu wechseln: bei allen Schwierigkeiten auch dankbar zu sein, für Gesundheit, Sicherheit, die Adventszeit. Wir in der Klinik freuen uns zum Beispiel darüber, dass manche Dinge, die Anfang des Jahres 2020 nicht machbar schienen, gelungen sind. Und wir sind dankbar für den Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung.

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