Bottrop. Eine Ausstellung im Kulturzentrum erinnert an die ersten Deportationen durch Nazis nach Osteuropa. Auch Bottroper Familien gehörten dazu.
Riga ist nicht weit weg - und das liegt nicht an der EU. Es ist die Geschichte, die Lettland und seine Hauptstadt seit dem Mittelalter mit Deutschland verbindet. Und die gerade eröffnete Doppelausstellung „Bikernieki - Wald der Toten“ im Kulturzentrum lenkt den Blick auf die jüngere deutsche Geschichte mit Riga, die zugleich für deren schlimmstes Kapitel steht.
Die Wanderausstellung des „Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ im Erdgeschoss lenkt das Augenmerk auf die Verschleppung der mehr als 25.000 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem damaligen Deutschen Reichsgebiet in die baltische Stadt ab 1941. Mit diesen Transporten begann die großangelegte systematische Vernichtung der deutschen jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten, die später in Lagern wie Auschwitz die Ausmaße dessen annahmen, was heute als Holocaust oder Schoah bezeichnet wird.
In einem zweiten, lokalhistorisch so wichtigen Teil zieht Historiker Matthias Ester die Verbindung nach Bottrop. Auch mit Hilfe des Stadtarchivs, das diese Doppelausstellung initiierte, folgt er den Spuren der Bottroper Familien Dortort, Krauthammer oder Skurnik, die Anfang der 40er Jahre nach Riga deportiert wurden. Zu sehen ist ein Panorama in drei Teilen, das die Geschichte der Bottroper Juden vor der Naziherrschaft, die zunehmende Entrechtung bis zur Vernichtung zwischen 1933 und 1945 aber auch die Zeit nach Kriegsende darstellt.
Bewusste Banalität der Sprache
And diese Zeit erinnert sich auch Judith Neuwald-Tasbach. Die Vorsitzende der Synagogengemeinde Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck hat die coronabedingt formlos kleine Eröffnung durch Oberbürgermeister Bernd Tischler zum Anlass genommen, zum Beispiel auf Formulierungen hinzuweisen, den sie als Kind auch nach dem Krieg noch hörte. „Da hieß es ,unbekannt vorzogen’ oder ,für tot erklärt’, ich hatte oft den Gedanken, die erste Frau meines Vaters oder Verwandte, die nach Riga verschleppt worden waren, könnten bald einmal wieder vor der Tür stehen.“ Und genau dieses bewusst banale Amtsdeutsch, aber auch die erzwungenen Namenszusätze wie „Isreal“ oder „Sara“ findet sich auch auf Bottroper Karteikarten, die sogar nach dem Krieg verwendet wurden - zum Beispiel auf der von Paul Krauthammer.
So zeigt der Bottroper Teil der Ausstellung die lokale Einordnung der überregionalen Katastrophe der Gewaltherrschaft in diesen Kriegsjahren. Und wenn Judith Neuwald-Tasbach aus ihrer persönlichen Erfahrung als Nachfahrin von Nazi-Opfern sagt, „Momente, in denen mir die Vergangenheit so nahe kommt, sind besonders schwer“, lässt sich das vielleicht auf die Geschichte betrachtet so formulieren: Wenn es deutlich wird, wie die damaligen Verbrechen in der unmittelbaren Nachbarschaft der Eltern oder Großeltern geschahen, die Orte früheren Unrechts in der eigenen Stadt noch vorhanden sind, kann man sich auch heute dieser Geschichte nicht so einfach entziehen.
Stadt gehört dem deutschen Riga-Komitee an
Bottrop ist am 27. Januar 2019, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, als 60. deutsche Stadt dem Riga-Komitee beigetreten. Seither erinnert an der Gedenkstätte im Wald von Bikernieki auch ein Stein für die Bottroper Opfer der Naziherrschaft. Und in der Ausstellung erinnert die Beitrittsurkunde daran, dass sich die Stadt auch diesem Teil ihrer Geschichte verantwortungsvoll stellt.
Dauer und Führungen
Die Ausstellung „Bikernieki - Wald der Toten“ im Kulturzentrum ist bis zum 19. Dezember im Kulturzentrum, Blumenstraße 12-14, 46236 Bottrop, zu sehen.
Geöffnet Montag bis Samstag zu den üblichen Zeiten. Führungen sind nach Absprache mit dem Stadtarchiv möglich. Info unter 02041/70 37 55.