Bottrop. Vom Teilen teurer Technik bis zum schadstoffarmen Lieferservice - Wissenschaftler machen Bottrop zur Blaupause für andere Städte.

Die Stadt wird zur Blaupause für den Wandel zu einem krisenfesteren und anpassungsfähigeren Wirtschaftsstandort. Das Institut für Arbeit und Technik an der Westfälischen Hochschule arbeitet nun zwei Jahre lang daran, in Bottrop erprobte innovative Elemente der Wirtschaftsförderung auf andere Städte zu übertragen. Dabei geht es zum Beispiel darum, als kleine Amazon-Alternative eine Kombination aus stationärem Handel und lokalem Internethandel aufzubauen, im Handwerk teure digitale Technologien zu teilen, oder Kunden anstatt mit Lkw und Kleinlastern auf der letzten Meile mit umweltfreundlichen Lastenrädern zu beliefern.

Die Wissenschaftlerinnen lenken das Interesse aber auch auf die neue Bottroper Wirtschaftsallianz. In diesem Gesprächskreis beraten Unternehmer und Wirtschaftsakteure über Zukunftspläne und tauschen sich mit den Wirtschaftsförderern der Stadt, Ratsvertretern, und auch untereinander aus. Denn den Wissenschaftlerinnen war bei dem zunächst auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekt „Bottrop 2018 plus“ von Beginn an klar: Lokale Wirtschaftsförderung kann nicht länger allein der Stadt als Dienstleisterin überlassen werden.

Bottroper Wirtschaftsallianz trifft sich nun zweimal pro Jahr

Die Bottroper Wirtschaftsallianz trifft sich zweimal pro Jahr. Hier kamen ihre Mitglieder vor dem Malakoffturm zusammen, um im benachbarten Grusellabyrinth zu tagen.
Die Bottroper Wirtschaftsallianz trifft sich zweimal pro Jahr. Hier kamen ihre Mitglieder vor dem Malakoffturm zusammen, um im benachbarten Grusellabyrinth zu tagen. © Stadt Bottrop

Auch die Wirtschaftsakteure am Ort müssen aktiv daran mitwirken, damit der Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig bleibt. „Ziel war daher ein Instrument zu finden, mit dem der Dialog zwischen den Akteuren aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik besser gestaltet werden kann“, erklärt Maria Rabadjieva, Wissenschaftlerin am Institut für Arbeit und Technik. „Man braucht solch eine Plattform, um schnell miteinander in Kontakt zu kommen und gemeinsam Lösungen zu finden“, sagt sie. Ursprünglich wollten die Forscher solche Allianzen speziell für Einzelhändler oder speziell für Handwerker bilden, stießen damit aber auf Skepsis. „In Bottrop ist ein branchenübergreifendes Netzwerk stärker gewünscht“, hält Maria Rabadjieva fest. Seither arbeitet die Bottroper Wirtschaftsallianz an einem Zukunftsplan für die Bottroper Wirtschaft und trifft sich zweimal im Jahr zum Meinungsaustausch.

Speziellere Allianzen bildeten sich dagegen in Reallaboren, in denen Teilnehmer aus Handel oder Handwerk auf Augenhöhe gemeinsam lernen oder ausprobieren konnten. Allerdings waren nicht alle Reallabore gleichermaßen erfolgreich, macht der Bottroper Wirtschaftsförderer Fabian Knappik klar. So kam eine von den Mitgliedern der Wirtschaftsallianz zunächst für besonders wichtig gehaltene Workshop-Reihe über nachhaltiges Wirtschaften im Firmenalltag mangels Anmeldungen gar nicht erst zustande. Auch solche negativen Praxiserfahrungen seien im Rahmen eines Forschungsprojektes aber hilfreich, meint der Wirtschaftsförderer. Ohnehin zeige die Erfahrung, dass die Firmeninhaber und Betriebsleiter vor allem dann an den Laboren Interesse zeigten, wenn sie sich für ihre Firmen konkrete Vorteile versprachen.

Handwerker testen Technologien in der Hochschule Ruhr West

Im FabLab der Hochschule Ruhr West programmiert Lena Hagenauer an einem für alle offenen Abend einen Roboter - und Handwerker testeten hier 3 D-Scanner.
Im FabLab der Hochschule Ruhr West programmiert Lena Hagenauer an einem für alle offenen Abend einen Roboter - und Handwerker testeten hier 3 D-Scanner. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Erfolgreicher war das Reallabor der Hochschule Ruhr-West, in dem Handwerkern oder Designern in Workshops digitale Produktionstechnologien in der Praxis vorgestellt wurden und in dem sie auch selbst mit Drei-D-Scannern arbeiten konnten. Im Mittelpunkt dieses Experimentes stand das Teilen der digitalen Technologie. Das 3D-Scanner-Set hatte die Hochschule zuvor angeschafft. „Die Information war sehr gut, nicht alle sehen jedoch konkrete Anknüpfungspunkte für ihre Betriebe“, meint Knappik. Die Zusammenarbeit der Hochschule mit den Handwerksbetrieben soll jedoch bis 2021 fortgesetzt werden.

Aktiv brachten sich Unternehmen auch ein, um hybride Formen des Handels zu erproben. „Der Ansatz, dass der Kampf von stationären Handel gegen Online-Handel nicht weiterbringt, hat dabei überzeugt“, erklärt der Wirtschaftsförderer. So starteten die Unternehmer eine Umfrage, um das Ausmaß der Digitalisierung im Einzelhandel zu ermitteln und den Bedarf der Händler in der Innenstadt abzuklopfen. Anschließend vermittelte eine Workshopreihe das nötige Wissen, wie man einen Online-Shop als Ergänzung des stationären Angebotes aufbaut.

Schadstoffarme E-Cargo-Bikes bringen Waren aus Bottrop zum Kunden nach Hause

Auch ein Ergebnis der Wirtschaftsallianz: Das Forschungsprojekt  Logistic und Innovation Services für urbane Regionen, kurz Louise.
Auch ein Ergebnis der Wirtschaftsallianz: Das Forschungsprojekt Logistic und Innovation Services für urbane Regionen, kurz Louise. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Die Idee der Wirtschaftsallianz für lokalen Internethandel auf Basis eine örtlichen Hol- und Bringdienstes fand schließlich so großes Interesse, dass daraus ein eigenes Forschungsprojekt erwuchs. Das Prinzip macht die Stadt anhand eines einfachen Beispiels deutlich: Ein Anwohner möchte seine Schuhe reparieren lassen und wendet sich per App an den Schuster. Ein örtlicher Spediteur holt die Schuhe bei ihm zu Hause ab und bringt sie mit einem schadstoffarmen E-Cargo-Bike zu dem Schuster. Sobald die Schuhe fertig sind, bringt der Spediteur sie wieder zum Kunden nach Hause. Der Vorteil liegt für die Stadt auf der Hand: Sie kann so die örtliche Wirtschaft stärken und zugleich die Schadstoffbelastung verringern.

Als Blaupause für die Blaupause des angestrebten Wirtschaftswandels dient einmal mehr das Klimaschutzprojekt Innovation City. Denn um ihre Klimaziele zu erreichen, hat die Stadt unter dem Dach des Modellvorhabens ihre Bürger als Partner gewonnen. Die Anwohner werden aktiv, indem sie ihre Fenster, Heizungen oder ganze Häuser sanieren. Im Gegenzug erhalten sie dafür Fördergelder. „Bei uns geht es um die Beteiligung der Wirtschaftsakteure“, sagt Wissenschaftlerin Maria Rabadjieva. Wie die Anwohner sollen auch die Unternehmer daran mitwirken können, die Stadt in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht voranzubringen.

Institut will Leitfaden für krisenfestere lokale Wirtschaft entwickeln

Für die nächsten beiden Jahre will das Institut für Arbeit und Technik die Erfahrungen, die Bottroper auf dem Weg zu einer krisenfesteren Wirtschaftsstruktur machten, in andere Städte bringen. „Da kann man nicht einfach Copy-and-paste machen, aber anhand der eigenen Erfahrungen anderer Städte einen Leitfaden entwickeln“, hofft die Forscherin.