Bottrop. Am letzten Tag der Kantine verabschieden sich die Kumpels mit Rosen von ihren Mädels und erinnern sich an den Lieferservice auf die siebte Sohle.
Möglicherweise hat die letzte Wurst am Montag etwas salziger geschmeckt als normal. Denn am letzten Öffnungstag der Kantine am Schacht 10 in Bottrop fließen einige Tränen – auf beiden Seiten des Tresens. Hunderte Bergleute nehmen Abschied vom „Herzstück“ des Pütts. In sozialen Netzwerken im Internet hatten sie sich verabredet und zum Abschied gab es unzählige Rosen, Pralinen und Erinnerungen.
Jasmin Burow muss sich zwischendurch immer wieder die Tränen aus den Augen wischen. Der Andrang am letzten Tag erinnert sie an die besten Zeiten des Pütts. „So sah das hier früher jeden Tag aus“, kommentiert sie die lange Schlange der Kumpels, die für eine Bockwurst anstehen. In den letzten zwei Jahren sei es dagegen immer ruhiger geworden. Zusammen mit ihrer Kollegin Monika Grinski hat sie bis zuletzt die Stellung in der Kantine gehalten. Und bei allem Abschiedsschmerz: Dass am letzten Tag so viele ehemalige Kumpel vorbeikommen, „das ist schon heftig.“
Auf der Tiefkühltruhe stapen sich die Rosen
Auf der Tiefkühltruhe stapeln sich die Rosen. Denn auch das war verabredet: Wer kommt, sollte eine Rose mitbringen für die Mädels. Und so leuchte es hauptsächlich rot, aber auch gelb und weiß auf der Tiefkühltruhe, an die hoffentlich am letzten Tag niemand mehr ran muss. Was das angeht, sieht es gut aus: Den Kumpels geht es heute nämlich um die letzte Bockwurst – gern auch als Wasserschwein bezeichnet. Gut 165 sind nach kurzer Zeit über die Theke gewandert. Viele Besucher stehen draußen vor der Tür, quatschen und freuen sich über das Wiedersehen. Es hat Züge eines Klassentreffens – oder eines Flashmobs – und ein letzte Mal wird die Kantine zu dem Treffpunkt, die sie über all die Jahre war.
Zwar hat die Crew extra mehr Würste geordert, weil sie ja wusste, dass da was im Busch ist. Doch am Ende wird auch dieser Vorrat knapp. Der Senf geht schon vorher aus, stattdessen müssen die letzten in der Schlange mit Ketchup vorlieb nehmen – oder die Wurst pur essen.
Bockwurst und Frikadelle waren die Verkaufsschlager auf dem Bottroper Bergwerk
Bockwurst und Frikadelle, dass waren die Verkaufsschlager in der kleinen Kantine. Vor oder nach der Schicht gelüstete es den Bergleuten nach etwas Herzhaftem. Doch auch mit Naschereien und Tabakwaren – vor allem dem obligatorische Schnupftabak – konnte die Kantine dienen. Und wenn nötig, kriegten die Kunden auch mal einen Spruch gedrückt. Denn eine große Klappe, die musste frau hier in der Kantine haben, in der Männerdomäne Bergbau, erinnert sich Jasmin Burow. „Mäuschen“ hätten es nie lange ausgehalten. „Die waren hier schnell wieder weg. Aber das war schön hier mit den Männern, da war niemand schnell beleidigt.“
So erinnert sich auch Christian Zejmann an die besondere Herzlichkeit in der Kantine. „Die waren immer lieb zu uns, frech-lieb.“ Das so viele Bergleute hier sind, um eine letzte Bockwurst zu essen, überrascht ihn nicht. „Das ist halt der Zusammenhalt der Bergleute“, sagt er. Und tatsächlich sind auch viele gekommen, die den Pütt schon vor Jahren verlassen haben.
Die Bergwerks-Kantine war vor und nach der Schicht der Treffpunkt für die Kumpel
So wie Wolfgang Drabiniok, der vor 13 Jahren schon in Ruhestand gegangen ist, sich jetzt aber die letzte Wurst schmecken lässt. Zusammen mit Ex-Kollegen sitzt er am Tisch, es werden Erinnerungen ausgetauscht. Denn die Kantine, sie sei schon das Herzstück des Pütts gewesen, sagt Drabiniok. Anlaufstelle vor der Schicht, Treffpunkt nach Feierabend und wenn nötig, wurde über Bockwurst oder Frikadelle auch die ein oder andere Meinungsverschiedenheit von unter Tage begraben.
Für Albert Hiltrop war die Kantine noch in anderer Weise von Bedeutung. Als Führungskraft hat er immer mal wieder Kollegen gesucht, die die unangenehmen Schichten am Wochenende oder an Feiertagen übernehmen. „Da war die Kantine meine Anlaufstelle, hier habe ich eigentlich immer jemanden dafür gefunden.“
Der „Futterbeutel“ wurde im Zweifel auch bis auf die siebte Sohle geliefert
Und auch wenn’s mal wieder länger dauerte, half die Kantine, die Kumpels bei Laune zu halten. Wenn nötig sogar mit Lieferservice auf die siebte Sohle: „Es gab immer mal wieder Situationen, in denen man länger unter Tage bleiben musste. Da habe ich dann hier angerufen und einen Futterbeutel bestellt.“ Die nächste Schicht brachte dann eben Bockwurst und Brötchen mit hinunter und die Stimmung besserte sich.
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Bei Jasmin Burow und ihren Kolleginnen überwiegt bei aller Freude über die vielen Kumpel, die an sie gedacht haben, der Abschiedsschmerz. „Es ist sehr emotional. Es ist, als verabschiede man sich von Familienmitgliedern.“
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