Bottrop. Der Oberbürgermeister muss zurzeit viele Bälle in der Luft halten. Über einige davon sprach er bei seinem Besuch in der WAZ-Lokalredaktion.
Bernd Tischler wirkt gelassen und zuversichtlich. Bei seinem Besuch in der WAZ-Lokalredaktion gibt er aber auch zu, „ziemlich abgekämpft“ zu sein. Der Oberbürgermeister muss zurzeit viele Bälle in der Luft halten. Über einige davon sprach er mit den Redakteuren Dirk Aschendorf, Matthias Düngelhoff, Michael Friese, Nina Stratmann und Kai Süselbeck.
Sie kommen gerade aus dem NRW-Wirtschaftsministerium. Worum ging’s?
Das Land steht unter dem Druck, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu treffen. Das Ministerium sucht ein Packende, mit dem es auf breiter Front in den städtischen und ländlichen Quartieren erneuerbare Energie effizient und mit digitaler Technik einsetzen kann. Hier helfen die Erfahrungen, die wir mit Innovation City in Bottrop gemacht haben. Wir werden also gefragt. Die Landesregierung braucht Informationen, um eine sinnvolle Struktur für die kommenden Erlasse hinzubekommen.
2021 kommt die Bilanz der Innovation City
Man hat den Eindruck, dass die einst hochgesteckten Erwartungen jetzt, wo 2020 das Ende des Modellversuchs Innovation City in Sicht kommt, wieder gedämpft werden. Wie steht es also um die angekündigte Halbierung des CO 2-Ausstoßes?
Anfangs haben wir bei Innovation City mit großen Projekten auch schnell große Ziele erreicht. Jetzt geht es ums Kleinere, was vielleicht Ihren Eindruck entstehen ließ. Wir lassen das Projekt wissenschaftlich und unabhängig begleiten. Die Bilanz wird Anfang 2021 gezogen. Ich bin aber weiterhin sehr optimistisch, dass wir die gesteckten Ziele erreichen werden.
Ein Jahr ist es her, dass der Bergbau in dieser Stadt für beendet erklärt wurde. Was hat das mit Bottrop gemacht?
Es war im Vorfeld nicht ganz klar, wie sich das Ende des Bergbaus auswirken würde. Bleibt das ohne Brüche? Was bedeutet das für die soziale Struktur in dieser Stadt und für die Arbeitslosenquote? Die befürchteten Probleme sind letztlich nicht eingetreten. Und dies ist so etwas Besonderes, dass heute Leute in die Stadt kommen und wissen wollen, wie wir das gemacht haben. Eine Stadt braucht eine Erfolgsstory. Diese ist eine. Sie basiert unter anderem auf den Auswirkungen von Innovation City und der Hochschule Ruhr West.
Nachnutzung der Bergbauflächen
Die Schächte 9 und 10 in Grafenwald und Kirchhellen werden gerade verfüllt. Wie sieht es mit dem Zeitplan für die Bergbau-Nachnutzung aus?
Da ist uns ein wichtiger Schritt nach vorn gelungen. Wir haben uns mit der Bezirksregierung Arnsberg darüber verständigt, das wir mit unserer Bauleitplanung nicht den Abschlussbetriebsplan abwarten müssen, sondern parallel planen können.
Welche Flächen werden nach jetziger Planung als erste frei?
Prosper V am Alten Postweg wird komplett zurück gebaut. Da müssen wir noch überlegen: Wollen wir den Parkplatz und die Brücke behalten? Für eine Nachnutzung werden Prosper IV am Vossundern und Prosper-Haniel an der Fernewaldstraße als erste Flächen zur Verfügung stehen.
Hochschule: Noch eine Erfolgsgeschichte
Die Hochschule Ruhr West ist so erfolgreich, dass sie aus allen Nähten platzt. Wo sehen Sie in der Stadt Raum für eine Erweiterung der HRW?
Wir sehen zwei Entwicklungen. Die eine ist eine Auslagerung von Instituten ins Gründerzentrum Prosper III. Die zweite ist, dass die Hochschule auch Büros, Lehr- und Hörsäle braucht. Da bietet sich das Gesundheitsamt an (Anmerk. der Red.: Es wird geprüft, ob die Gesundheitsamtsmitarbeiter in den geplanten Rathausanbau ziehen). Daneben steht noch ein Gebäude, das schon dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW gehört.
Viele Bürger, vor allem Anwohner im großen Umkreis, halten die Kokerei mit ihren Umweltbelastungen inzwischen für untragbar. Dem stehen rund 400 Kokerei-Arbeitsplätze gegenüber. Ein Spannungsfeld?
Meine Auffassung ist da ganz klar: Ich bin dafür, dass industrielle Arbeitsplätze in Bottrop erhalten bleiben. Aber die Kokerei hat die gesetzlichen Auflagen und Zielwerte einzuhalten! Zuletzt hat sich gezeigt, dass ihre getroffenen Maßnahmen nicht wirken. Ich möchte, dass alle Maßnahmen ordnungsbehördlich überwacht werden. Im April liegen neue Messergebnisse vor, auch aus unseren Grünkohl-Messungen. Dann wird sich zeigen, ob wir mit härteren Bandagen vorgehen müssen.
Debatte um den Klimaschutz
In diesem Jahr wurde in Bottrop die Friday-for-Future-Bewegung aktiv, und am Ende ruft der Rat den Klimanotstand aus. Aktionismus statt wohlüberlegter Aktionen?
Ich war auf verschiedenen Demos und habe den jungen Leuten gesagt, dass wir besser werden können und wollen, aber dass der Weg lang ist. Man mag den Beschluss zum Klimanotstand als Aktionismus bezeichnen, aber ich wollte unbedingt vermeiden, was in anderen Städten passiert ist. Da haben sich politische Parteien dermaßen an der Frage zerstritten, dass für die Bürger ein furchtbares Signal entstanden ist. Ich fand es besser, Einstimmigkeit beim Klimanotstand herzustellen und darauf einen konkreten Klimaaktionsplan aufzusetzen, der unter anderem Förderungen für Photovoltaik-Anlagen oder Mobilitätsverbesserungen für Fußgänger, fürs Radfahren und den ÖPNV vorsieht.
Es entsteht der Eindruck, jeder nutzt den Begriff Klimanotstand so, wie es ihm passt und vor allem auch, um Projekte zu verhindern. Was bedeutet Klimanotstand für sie?
Ich sehe das ähnlich und deshalb benutze ich das Wort auch nicht. Wir haben jetzt einen Klimaaktionsplan vorgestellt, in dem wir Maßnahmen, die wir bisher angestoßen haben, zusammengefasst haben und den wir immer weiter fortschreiben wollen. Wir wollen weg vom Notstand hin zum aktiven Handeln.
Die Zukunft der Innenstadt
Ist der Eindruck richtig, dass das Auto langsam aus der Innenstadt verdrängt werden soll? Das dürfte nicht nur Zustimmung erzeugen, weder bei den Bürgern, noch beim Handel.
Das System der Parkhäuser rund um den Stadtkern soll nicht aufgekündigt werden. Wir haben in Bottrop moderate Parkgebühren, und ab 17 Uhr und samstags ist das Parken frei. Außerdem - viele wissen das gar nicht - sind nur zehn Prozent der vorhandenen Parkflächen bewirtschaftet. Aber wir leben beim Autoverkehr in einem Spannungsverhältnis. Diesbezüglich stehen in den nächsten zwei Jahren viele Entscheidungen an. Ich möchte gern, dass der Handel dazu seine Stimme erhebt und würde gern den ehemaligen Arbeitskreis „Aktive Innenstadt“ mit Teilnehmern aus der Verwaltung, dem Handel und den Kammern wiederbeleben.
Es wurde das Projekt Louise (Logistik und innovative Services für urbane Regionen am Beispiel der Emscher-Lippe Region) gestartet. Dazu gehörte der Versuch, dass den Kunden ihre Einkäufe aus der Stadt nach Hause geliefert werden. Ist das noch akut?
Da sind wir in der Forschungs- und Erprobungsphase. Die Idee ist, dass man in Bottrop einkauft und die Waren mit dem Lastenrad nach Hause gebracht bekommt. Die Konkurrenz durch die großen Online-Händler ist trotzdem groß. Man muss schon den Schritt machen und die Menschen dazu bekommen, in Bottrop in den Geschäften einzukaufen und sich dann beliefern zu lassen.
Was kann die Stadt denn überhaupt tun, um die Innenstadt attraktiver zu machen?
Die Stadt kann eine Menge machen bei den weichen Faktoren. Auch die neue Weihnachtsbeleuchtung ist so etwas, wo man etwas auf die Beine stellen kann. Mit über 30 Sponsoren, die sich beteiligt haben war das ein durchaus überraschender Erfolg. Wir können außerdem schnell reagieren, wenn es Probleme gibt und Unternehmen auf uns zukommen. Aber was wir als Stadt in letzter Instanz nicht tun können, ist leerstehende Geschäfte übernehmen.
Lob für Kontrollen der Ordnungsbehörden
Ein Stichwort in dem Zusammenhang ist immer Aufenthaltsqualität. Ich finden eigentlich, dass die Bottroper Innenstadt eine gute Aufenthaltsqualität bietet. In den letzten Jahren ist es kontinuierlich besser geworden, so meine subjektive Empfindung. Und jetzt stehen wir vor dem Baubeginn am Trapez, wo wir aus einer Betonwüste etwas anderes machen wollen, einen Platz mit viel Grün.
Zuletzt haben Polizei und Ordnungsdienst am ZOB große Kontrollen durchgeführt, was halten Sie davon?
Ich finde das absolut richtig. Es gab ja in der Vergangenheit auch schon verschiedene Schritte, aber das war jetzt höchste Zeit und ich will die Polizeipräsidentin auch ermutigen, solche Sachen zu wiederholen. Außerdem fühle ich mich durch die Diskussion um die Aufstockung des Ordnungsdienstes ermutigt, darauf hinzuwirken, dessen Einsatz in der Innenstadt zu verstärken und ihn personell aufzustocken.
Das Alpincenter hat nach eigenem Bekunden die Halde, auf der es steht, stabilisiert und will nun deutlich ausbauen. Der Bürgerinitiative Boy / Johannestal und noch ein paar anderen ist das ein Dorn im Auge.
Zum Alpincenter gab es von Anbeginn eine Diskussion. Die jetzige Planung ist gut durchdacht und geeignet, die Probleme im Johannestal zu lösen. Aber die Bürgerinitiative wird wohl immer etwas finden.
Platz für Theater
Ist Ihrer Ansicht nach mit der kommenden Erweiterung des Kulturzentrums dort die Planung abgeschlossen und hat sich die Stadt von der Idee eines Bürgersaal / Theaters dort verabschiedet?
Zunächst werden wir dort zu den räumlichen Erweiterungen auch einen schönen und grünen Innenhof für Kulturveranstaltungen bekommen. Man muss sich fragen: Braucht die Stadt wirklich einen neuen Saal, vor allem, wenn bald wieder Kirchen frei werden. Zum Teil schöne und gut gelegene Bauten.
Im letzten Kulturausschuss wurde von möglicher finanzieller Unterstützung für die Mehrkosten bei der Museumserweiterung seites der Förderer angedeutet. Gibt es konkrete Zusagen?
Es gibt auf jeden Fall mehr als nur unkonkrete Signale. Mehr können wir sicher Anfang Januar dazu sagen.
Die Eröffnung des Museumsanbaus bedeutet auch der Abschied von Museumsdirektor Heinz Liesbrock, der dann in den Ruhestand geht. Gibt eine Findungskommission für die Nachfolge?
Ab dem nächsten Jahr soll sich der neue Kulturdezernent damit federführend befassen. Wir werden auf jeden Fall früh genug mit der Suche nach einem geeigneten Nachfolger oder einer Nachfolgerin beginnen.