Bottrop. Besonders harte Leistungskürzungen trafen aber nur wenige Arbeitslose, heißt es in Bottrop nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem besonders harte Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger verfassungswidrig sind, „ist ab sofort für uns bindend“, sagt Thorsten Bräuninger, Geschäftsführer des Jobcenters Arbeit für Bottrop. Leistungskürzungen um 60 Prozent und mehr, die bisher bei wiederholten Pflichtverletzungen vorgenommen werden konnten, sind damit vom Tisch. Verhängt wurden diese in Bottrop allerdings im vergangenen Jahr auch nur in recht wenigen Fällen. Bräuninger geht von einer ein- bis zweistelligen Zahl aus.

Meldeversäumnisse machen 85 Prozent aus

Der Jobcenter-Chef blickt auf die Zahlen von Juli 2018 bis Juni 2019. In diesen zwölf Monaten „mussten wir in 1738 Sachverhalten Sanktionen aussprechen“. Dabei ging es in 1481 Fällen (85 Prozent) um Meldeversäumnisse, die von dem jetzigen Urteil gar nicht mit erfasst worden seien. Ein Meldeversäumnis besteht, wenn ein Arbeitsloser ohne Entschuldigung nicht zu einem Beratungstermin erscheint. Der Hartz-IV-Satz kann dann um zehn Prozent gekürzt werden. „Diese Sachen dominieren bei den Sanktionen“, ordnet Bräuninger ein.

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In den restlichen 257 Fällen (15 Prozent) haben Hartz-IV-Empfänger zum Beispiel eine zumutbare Arbeit oder Weiterbildung nicht aufgenommen bzw. vorzeitig abgebrochen, „ohne dass das mit einem wichtigen Grund zu rechtfertigen gewesen wäre“, so Bräuninger. Denn nach diesem würden die Berater sich stets erkundigen. In solchen Fällen kann das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent gekürzt werden, bei Wiederholung dann – bisher – um 60 Prozent und mehr. Letzteres, das nur „einen absolut geringen Anteil“ ausgemacht habe (die genaue Zahl wird jetzt ermittelt), sei nach dem Urteil nun eben nicht mehr möglich.

Das Prinzip Fördern und Fordern

Auf den Monat gesehen, so Bräuninger, seien es laut der jüngsten Statistik rund 144 von Sanktionen betroffene Menschen von insgesamt 8300 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (über 15 Jahren) – also 1,7 Prozent. „Das ist ein eher unterdurchschnittlicher Wert“, bemerkt Bräuninger.

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Grundsätzlich, darauf weist der Jobcenter-Leiter hin, habe das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil bestätigt, dass das praktizierte Fördern und Fordern zulässig ist: „Wenn ungerechtfertigt nicht mitgewirkt wird, darf die Leistung gemindert werden.“ Doch das Gericht habe gezeigt, wo die Grenzen und Leitplanken sind und worauf zukünftig geachtet werden muss. So bemängelten die Richter auch, dass die jeweilige Kürzung immer für drei Monate gilt – unabhängig vom Verhalten des Betroffenen.

Sanktionen auf beiden Seiten des Schreibtischs unbeliebt

Sanktionsverfahren, betont Bräuninger, seien auf beiden Seiten des Schreibtisches nicht beliebt. „Unsere Berater beraten auch lieber, als so ein Verfahren einzuleiten“, betont der Behördenchef. Dennoch: Wenn von den Menschen zu Recht Mitwirkung eingefordert werde, um in Arbeit zu kommen; wenn jemand objektiv in der Lage sei, sich von Sozialleistungen entfernen zu können, und das dann nicht tue – „dann finde ich es Konsens und nachvollziehbar, dass die Möglichkeit gegeben werden muss, Sanktionen einzuleiten.“

Und: „Ich bin froh, dass wir mit dem Urteil und dann der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber einen rechtssicheren und verfassungskonformen Rahmen haben, bis wohin wir gehen können.“

Regelsatz wird leicht erhöht

Der Hartz-IV-Regelsatz für einen alleinlebenden Erwachsenen liegt derzeit bei 424 Euro im Monat. Ab Januar 2020 steigt der so genannte Regelbedarf auf 432 Euro. Volljährige Partner erhalten jetzt 382 Euro und ab nächstem Jahr 398 Euro. Dazu kommen Miete, Heizung, gesetzliche Krankenversicherung.

Die aktuell gültigen, noch schärferen Sanktionen für Arbeitslose unter 25 Jahren spielen in dem jetzigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Rolle.