Patienten in Bottrop sind verunsichert, weil sie ständig neue Präparate verschrieben bekommen. Apotheker fürchten eine Verschärfung der Situation
Florian Mies muss lachen. Es ist kein belustigtes Lachen, es ist eins, das klar macht, wie gravierend die Situation derzeit ist. Es ist die Antwort des Apothekers auf die Frage, ob es in Bottrop noch immer einen Engpass bei Medikamenten gibt. „Es sind 260 Engpässe, um genau zu sein.“
So viele Medikamente und Impfstoffe seien derzeit nicht zu haben, teilt der Vorsitzender der Bezirksgruppe Bottrop im Apothekerverband Westfalen-Lippe mit. Weil die meisten Medikamente weltweit nur noch von wenigen großen Herstellern produziert werden, kommt es seit geraumer Zeit zu Engpässen, wenn bei der Herstellung mal etwas nicht so läuft, wie es sein soll, oder Medikamente in anderen Ländern teurer verkauft werden können.
Wenn Florian Mies in sein digitales Medikamenten-System schaut, sieht er viel rote Kreuze. „Nicht lieferbar“, bedeutet das. „Selbst Rabattmittel der Krankenkassen sind inzwischen betroffen“, sagt der Inhaber der Apotheke am Westring. Rabattmittel sind die Medikamente, über die Krankenkassen Rabattverträge mit Pharmaherstellern abschließen.
Engpässe gebe es in allen Bereichen: „Herzmittel, Schmerzmittel, Psychopharmaka, Impfstoffe.“ Besonders bei den letztgenannten käme es inzwischen zu abstrusen Wartezeiten. „Anfang des Jahres ist ein neuer Impfstoff gegen Gürtelrose auf den Markt gekommen. Im Frühjahr haben sich dann viele Menschen impfen lassen. Normalerweise ist eine Folgeimpfung nach etwa zwei bis drei Monaten fällig“, erklärt der Apotheker. Jetzt aber müssten Kunden noch rund ein halbes Jahr warten, bis der Impfstoff wieder zur Verfügung stehe. „Erst zu Weihnachten“, bekommt er zu hören. „Können Sie sich dann unter den Tannenbaum legen“, sagt Florian Mies mit sarkastischem Unterton.
Und wer beispielsweise allergisch auf Wespenstiche reagiert, sollte besonders jetzt im Sommer immer ein entsprechendes Medikament zu Hause haben und sich nicht darauf verlassen, dass es in der Apotheke um die Ecke zu bekommen ist.
Kunden sind verunsichert
Viele der Kunden von Florian Mies sind verunsichert, teilweise erbost darüber, dass ihre Medikamente nicht lieferbar sind oder aber ständig vom Arzt umgestellt werden müssten, erzählt der Apotheker. „Wir müssen dann schauen, was lieferbar ist. Dann ist die Pille mal grün und drei Monate später rot und heißt ganz anders. Das führt zu Verwirrungen“, schildert Mies. Einige Kunden würden dann aus Versehen die doppelte Menge nehmen, weil sie glauben, es handele sich um verschiedene Präparate, andere verzichteten aus Sorge etwas Falsches zu nehmen ganz auf die Tabletten. „Beides kann ja nicht Sinn der Sache sein“, sagt der Apotheker verärgert. Die Verärgerung der Patienten bekämen vor allem die Bottroper Apotheker zu spüren. Nicht die, die an Stellschrauben drehen und Dinge verändern könnten. „Wie die Krankenkassen oder die Politik“, sagt er. In den Apotheken würde lediglich der Mangel verwaltet.
Ähnliches erlebt auch Birgit Lauer, Apothekensprecherin und Inhaberin der Glückauf Apotheke in Kirchhellen. „Ich bin jetzt schon zwei Jahrzehnte als Apothekerin tätig, aber ein solches Ausmaß an Medikamentenknappheit habe ich noch nicht erlebt“, sagt die 47-Jährige. Die Situation würde sich immer mehr zuspitzen und ein Ende sei nicht in Sicht. Selbst bei den Ausweichstoffen, die in den vergangenen Monaten als Ersatz für den eigentlichen Grundstoff dienten, werde eine Bestellung inzwischen immer schwieriger. Den Menschen, die regelmäßig Medikamente nehmen müssen, rät Lauer: „Früh genug um neue Tabletten kümmern! Und möglichst zeitnah nach dem Arztbesuch zur Apotheke gehen.“ Momentan müsse man deutlich mehr Zeit einkalkulieren.
Für den fünffachen Preis
Dass sich die Situation bald entspannen könnte, glaubt sie nicht. Auch Florian Mies befürchtet eher eine Verschärfung. „Wenn Versand-Apotheken mit Großhandelszulassung die derzeit zu bekommenden Medikamente im großen Stil aufkaufen, um sie dann in beispielsweise England für den fünffachen Preis zu verkaufen, wird es für die normalen Apotheken vor Ort noch schwieriger.“
>>> „Viel zusätzliche Arbeit im Hintergrund“
Der Mangel an Medikamenten und damit einhergehend, die Umstellung der Präparate, sorgt nicht nur für Ärger bei Patienten. Er bedeutet auch ein erhöhtes Arbeitspensum. Birgit Lauer erklärt: „Wenn das Medikament, das der Arzt aufschreibt, nicht lieferbar ist, dann bedeutet das auch im Hintergrund sehr viel zusätzliche Arbeit.“ Zuerst müsse geschaut werden, welche Ersatzpräparate überhaupt zu bekommen seien. „Dann halten wir natürlich Rücksprache mit den Ärzten, denn schließlich müssen sie entscheiden, welches Präparat für den Patienten am geeignetsten ist.“
Dann müsse das Rezept wieder zum Arzt und danach wieder zurück in die Apotheke geschickt werden und schließlich alles auch noch ordentlich dokumentiert werden. „Früher hatten wir etwa einen Fall pro Woche, bei dem ein Austausch-Präparat gefunden werden musste. Inzwischen sind es im Schnitt fünf pro Tag“, betont die Apothekerin.