Bottrop. Historiker René Hoffmann löst mit seiner Sicht auf die Unruhen 1919 eine Kontroverse aus. Eingeladen hat die Historische Kommission für Westfalen.

Mit Indizien zu arbeiten gleicht in der Geschichtswissenschaft immer einer Schlitterpartie. Auch wenn es sich um historische Kriminalfälle handelt. Die revolutionären Ereignisse nach Ende des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1918/19 und vor allem der Sturm auf das Bottroper Rathaus haben viele Opfer gefordert. Die Einordnung und vor allem manche historische Details sind auch 100 Jahre später noch nicht eindeutig nachzuvollziehen, einfach, weil zu viele „objektive Beweise“ fehlen.

Zwischenrufe und kritische Nachfragen

Dies bekam auch René Hoffmann zu spüren, der auf Einladung der Historischen Kommission für Westfalen am 71. Tag der Westfälischen Geschichte einen Extrakt seiner Arbeit zu diesem lokalen Thema vorstellte. Bereits die umfangreichere Darstellung seiner Arbeit vor einiger Zeit in der WAZ hatte - zum Teil auch weltanschaulich bedingt - Kontroversen ausgelöst. Im Kammerkonzertsaal gab es Zwischenrufe und sehr kritische Nachfragen.

Vor allem die über Einordnung des erzkonservativen „Freikorps Lichtschlag“ oder die Verleihung der Stadtrechte an Bottrop, die laut des Ratsmitglieds Nils-Holger Schmidt (Linke) bei Hoffmann als „schmutziger deal“ und eine Art Wiedergutmachung einer verpatzten Situation beim Rathaussturm bewertet würden, entbehrten historischer Belege. Hoffman sprach hingegen von „Indizien“, aus der man eine Tendenz gerade bei der Verleihung der Stadtrechte und diesen „schmutzigen deal“ ableiten könne.

Für einen historischen Vortrag war die Veranstaltung erstaunlich lebendig - und sicher wären diese Aspekte lokaler Ereignisse im Kontext der Gesamtgeschichte weitere Untersuchungen wert.

Reihe: „Aufbruch in die Demokratie“

Das übergeordnete Thema der Reihe „Aufbruch in die Demokratie“ 1918/19, das die Historischen Kommission im Landtag zusammen mit dem Haus der Geschichte NRW und dem Landesarchiv begann, gewann bei Bärbel Sunderbrink eine breitere Kontur. Am Beispiel des 1918 untergegangenen Fürstentums Lippe zeigte die Detmolder Stadtarchivarin die Entwicklung hin zum Frauenwahlrecht, die bereits in der Kaiserzeit und quer durch die sozialen Schichten hindurch begann.

Sie betonte, dass das damals neue Wahlrecht keineswegs eine „Belohnung für die Tätigkeit der Frauen im Krieg“ war und wie sehr die Parteien und Bildungsvereine die Frauen damals mobilisieren konnten. Nur hatte sich das eben lange nicht auf Rollenentwicklung oder Übernahme politischer Ämter ausgewirkt.

Tag der Westfälischen Geschichte am Sonntag

Das öffentliche Programm am Sonntag, 12. Mai, zum 71. Tag der Westfälischen Geschichte beginnt um 10.30 Uhr im Kammerkonzertsaal mit einem Vortrag von Stadtarchivarin Heike Biskup zur Vorgeschichte der Verleihung der Stadtrechte an Bottrop. Um 12 Uhr spricht Lutz Budrass zum Thema Ruhrpolen im 19. und 20. Jahrhundert; um 12.45 Uhr geht es bei Michael Farrenkopf um Prosper-Haniel. Kulturzentrum, Böckenhoffstraße 30, 46236 Bottrop.