Kirchhellen. . In der Dorfmitte Kirchhellens ist die alte Johanneskirche einem Feuer zum Opfer gefallen. Aus ihrem Turm wurden die Grundmauern der neuen Kirche.
Rainer Weiß schlägt das Postkarten-Album auf. Schnell blättert er, auf der Suche nach einer bestimmten Karte, durch die Seiten. Die Augen des Heimatforschers huschen über die zahlreichen Motive. Da ist sie, die alte Kirche „St. Johannes der Täufer“ – oder das, was von ihr übrig geblieben ist.
In Weiß’ Sammlung gibt es eine Postkarte, die die Ruine der Kirche zeigt. Doch nicht nur das: Gut sortiert erzählen die Ansichtskarten die ganze Geschichte des Gotteshauses. Von seiner Glanzzeit über den Abriss bis hin zur neuen Kirche.
Brand hätte schnell übergreifen können
Am 12. Juni 1917 herrschte plötzlich Panik im Dorf. Um kurz nach elf ist ein Feuer im hölzernen Gewölbe über dem Hochaltar ausgebrochen. Die Ursache ist bis heute unklar. „Allerdings ist wohl nicht der Erste Weltkrieg daran schuld gewesen, dass die Kirche ausbrannte“, erklärt Rainer Weiß, vom Verein für Orts- und Heimatkunde. Bomben hagelten zu der Zeit nämlich nicht auf das Dorf nieder.
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Das Feuer breitete sich schnell in der Kirche aus. Viel hatte die Freiwillige Feuerwehr den Flammen nicht entgegen zu setzen. „Die Drehleiter zum Löschen kam aus Essen. Das hat natürlich gedauert. Aber immerhin konnten die Einsatzkräfte verhindern, dass das Feuer auf andere Gebäude übergreift“, sagt Weiß.
Mit nur wenigen Metern Abstand reihten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Fachwerkhäuser um die alte Kirche. Schnell hätte der Brand über dem Altar eine weitaus größere Katastrophe auslösen können. Für die Johanneskirche kam jede Rettung zu spät. Der Innenraum wurde völlig zerstört und nur die Sakristei blieb verschont.
So stand sie da nun. Bis auf die Grundmauern niedergebrannt und ohne ihr Wahrzeichen, das spitze Dach des Turms. Ein trauriger Zustand, der für immer auf einer Postkarte festgehalten wurde. Was sie jedoch nicht zeigt, sind die zahlreichen Gläubigen, die plötzlich keinen Gottesdienst mehr feiern konnten. Ein sonntäglicher Fußmarsch zur Kirche in Grafenwald wäre zu weit gewesen. Gut anderthalb Stunden hätte es gedauert.
Eine größere Kirche musste her
Beim Wochenendausflug wurden Karten verschickt
Auf vielen Postkarten gibt es meist ein Potpourri an Motiven. Kirchen stehen neben Kneipen, das Rathaus neben einem Modegeschäft. Oft steckten die Auftraggeber hinter der Mischung.
Sie machten für die eigenen Gaststätten Werbung, aus denen die Karten beim Wochenendausflug verschickt wurden. Für die nötige Prise Lokalkolorit auf der Karte sorgten die anderen Gebäude.
Es musste ein anderer Ort her. Kurzerhand versammelte sich die Gemeinde zum gemeinsamen Beten im Saal der Gaststätte Schulte-Wieschen. „Dort wurden auch die Heiligen-Figuren aufgebaut, die das Feuer in der Kirche unbeschadet überstanden hatten“, erklärt Rainer Weiß. Kirchenbänke und ein improvisierter Altar komplettierten das Bild in der Gaststätte. Das war allerdings keine dauerhafte Lösung.
Während sich Schulte-Wieschen also über regen Zulauf freute, wurde bereits ein geeigneter Platz für die neue Kirche gesucht. Sie sollte größer werden als die alte. „Die Menschen wurden älter, hatten mehr Kinder und außerdem zogen viele des Bergbaus wegen hier her. Man brauchte mehr Platz.“
Ein größeres Gotteshaus hätte wegen der engen Bebauung drumherum nicht mehr auf den alten Kirchplatz gepasst. Durch einen Grundstückstausch mit dem Landwirt Josef Schulte konnte ein geeignetes Stück Land gefunden werden.
>>> Grundstein für die neue Kirche 1924 gelegt
Der Spatenstich für die neue Johanneskirche, die bis heute genutzt wird, erfolgte im Dezember 1922. Also fünf Jahre nach dem verheerenden Brand. „Baustoffe waren knapp und ihr Transport schwierig“, sagt Rainer Weiß. Deshalb recycelten die Erbauer der neuen Kirche, die Rohstoffe der alten.
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Der Turm der Ruine wurde eingerissen, um mit dessen Steinen die Grundmauern am neuen Standort hochzuziehen. Die Bauarbeiten gingen anfangs nur schleppend voran. Doch dann legten die Erbauer einen Sprint hin. Im Mai 1924 konnte der Grundstein gelegt werden, im Oktober desselben Jahres wurde das Richtfest und ab Oktober 1925 konnte darin Gottesdienst gefeiert werden.
Die Gläubigen saßen also schon lange im neuen Gotteshaus, als die abgebrannte Ruine endgültig dem Abrisskommando zum Opfer fiel. Seit 1932 ist sie aus dem Dorfbild verschwunden.
>>> Ehrendenkmal auf dem Kirchplatz
Der Dorfplatz, an dem die alte Kirche „St. Johannes der Täufer“ einst stand, blieb nicht lange leer. Nach dem endgültigen Abriss wurde dort ein Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges errichtet. Gemeint ist jedoch nicht die steinerne Wand von heute. Diese wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt.
Das erste Ehrenmal bestand aus jeweils vier sich gegenüberstehenden Steinsäulen. Diese überragte außerdem ein Kreuz. Erinnern sollte es an die gefallenen Kirchhellener des Ersten Weltkrieges. „Es waren meist Leute, die eingezogen wurden. Hier vor Ort gab es keine Kriegshandlungen“, sagt Rainer Weiß.
Bomben zerstörten viel von Kirchhellen
Im Zweiten Weltkrieg sah das anders aus. „Ganze Familien wurden ausgelöscht. Es gab auch in der Zivilbevölkerung viele Tote.“ Der Grund für das Bombardement lag nicht in Kirchhellen selbst, sondern in Gelsenkirchen-Scholven. Ziel der Luftangriffe war das Hydrierwerk, in dem aus Kohle Treibstoff gemacht wurde.

„Kirchhellen lag in der Einflugschneise der Bomber“, sagt Weiß und fügt hinzu, „vielleicht wurden einige Bomben unter Flakbeschuss zu früh abgeworfen.“ Sie hinterließen eine Spur der Zerstörung. Auch der Hof Jünger, in dem Rainer Weiß nun mit seinen Postkarten sitzt, wurde schwer getroffen.
Grund genug nach dem Krieg das alte kleine Ehrenmal gegen ein neues zu tauschen. 1956 wurde der Antrag dafür gestellt und die Säulen tauschten ihren Platz mit der Mauer. „Das jetzige Ehrenmal ist nicht symmetrisch. Die linke Seite steht für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Die rechte, deutlich längere, für die des Zweiten.“