Erfurt/Bochum. . Dürfen muslimische Angestellte in christlichen Krankenhäusern Kopftuch tragen? Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden – und widerspricht einer Bochumerin. Die Frau hatte als Teenager in der Augusta-Klinik angefangen. Doch nach der Geburt ihrer Kinder erkannten ihre alten Kollegen sie kaumm wieder.

Diese Entscheidung ist ein Grundsatzurteil: Kirchliche Einrichtungen dürfen muslimischen Mitarbeiterinnen verbieten, im Dienst ein Kopftuch zu tragen.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt wertete das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen höher als das individuelle Recht auf Religionsfreiheit. Die Rekonstruktion eines wegweisenden Falles.

Die Vorgeschichte

Es war eine 36-jährige Bochumerin, die den Prozess ins Rollen brachte. Die Frau stammt aus einer türkischen Familie, mit 18 begann sie eine Ausbildung in der Evangelischen Augusta-Klinik und arbeitete dann zweieinhalb Jahre als Krankenschwester in jenem Krankenhaus nahe dem Bochumer Stadtpark. In der Klinik haben sie die frühere Kollegin in guter Erinnerung. „Sehr sympathisch“ sei sie gewesen und „sehr frei“, so Augusta-Geschäftsführer Ulrich Froese.

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Dann wurde die Frau schwanger. Nach der Geburt von zwei Kindern und dem Ablauf ihrer Elternzeit forderte sie 2009 ihre Wiedereinstellung. In der Zwischenzeit, so scheint es, hatte sie sich verändert. Plötzlich erschien die Frau mit einem Kopftuch bei der Pflegedienstleitung und bestand darauf, das Tuch auch während der Arbeit zu tragen, sagt Froese. Das lehnte die Klinik ab: „Sie kann hier arbeiten, aber ohne Kopftuch!“ Das sah die Bochumerin nicht ein – sie klagte.

Offenbar gibt es ein Muster: Im Frühjahr 2014 kündigte das St. Johannes-Krankenhaus in Dortmund einer Marokkanerin, weil sie nach ihrer Elternzeit auf eine Kopfbedeckung bestand. Und als die türkische Mitarbeiterin eines Kölner Krankenhauses 2008 zurückkam, wollte sie auf ein Tuch ebenfalls nicht verzichten. Auch ihr wurde gekündigt.

Das Urteil

Der Frau geht es in der Kopftuchfrage nicht nur um Symbolik. „Es sollte die weiblichen Reize bedecken“, sagt sie vor dem Fünften Senat. Ihr Anwalt, der Kölner Abdullah Emili, erklärt den Sinneswandel seiner Mandantin so: „Sie ist praktisch durch den Job religiöser geworden“, habe sich viel mit dem Leiden der Patienten und dem Tod beschäftigt. Im Gerichtssaal erklärt die 36-Jährige, sie würde zur Not sogar die Haube einer Nonne aufsetzen. Auf Form und Farbe komme es indes nicht an, sagt Augusta-Anwalt Sascha Leese. Das Kopftuch bleibe ein Symbol des Islam. Die Klinik beruft sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, wonach Kirchen ihre Angelegenheiten selbst ordnen dürfen.

Das Gericht entscheidet: „Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben“ sei mit der Arbeit „in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche (...) nicht vereinbar.“ In Einzelfällen könne eine Entscheidung indes anders ausfallen, etwa wenn Mitarbeiterinnen in einem Labor eingesetzt seien und wenig Kontakt zu Patienten hätten.

Den konkreten Bochumer Fall verweisen die Richter zurück an die Vorinstanz. Damit steht ein endgültiges Urteil in punkto Augusta-Klinik weiter aus. Das Bochumer Arbeitsgericht hatte 2010 der Muslima recht gegeben. 2012 hob das Oberlandesgericht Hamm den ersten Entscheid auf und schlug sich auf die Seite der Klinik. Die Erfurter urteilen nun, es sei unklar, ob es sich bei der Klinik wirklich um eine Einrichtung der evangelischen Kirche handelt. Die Klinik bezeichne sich als evangelische Einrichtung – getragen werde sie aber von einer gemeinnützigen Gesellschaft. Es müsse geklärt werden, ob die Kirche einen ausreichenden Einfluss auf die Arbeit im Krankenhaus habe.

Die Reaktionen

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Klinikchef Ulrich Froese gibt sich gelöst. „Ich begrüße das Urteil. Unser Krankenhaus ist und bleibt ein ideologiefreier Raum.“ Weniger euphorisch ist die Vorsitzende des Arbeitsausschusses im Bundestag. „Dass ausgerechnet ein christlich ausgerichtetes Krankenhaus ohne jedes Fingerspitzengefühl ein solches Verbot durchsetzt, kann ich nicht nachvollziehen“, so Kerstin Griese (SPD).

Der Bochumer Imam Ahmad Aweimer, Dialogbeauftragter des Zentralrates der Muslime in Deutschland, wird noch deutlicher: „Das Urteil zeigt, dass Muslime in dieser Gesellschaft nicht dazugehören. Es geht nicht nur um Arbeitsrecht: Für die Frau ist das eine menschliche Tragödie.“ Er werde die Augusta-Klinik nicht mehr besuchen.