Bochum/Essen. Brisanter Fund auf dem Wertstoffhof der USB-Zentraldeponie in Bochum, nachdem eine Entsorgungsfirma die Praxis eines 39-jährigen Neurologen leergeräumt hat: Ein aufmerksamer WAZ-Leser hat etliche Patientenakten einer Essener Psychiatrie-Praxis in einem Altpapiercontainer entdeckt.
Diagnosen, Labor-, Klinik- und Therapieberichte, Medikationen, Arzt-Patienten-Gespräche: Die Akten einer Essener Neurologie-Praxis spiegeln die Leidensgeschichten der psychisch kranken Patienten über Jahre exakt wider. Mehrere hundert dieser Dokumente will in dieser Woche ein WAZ-Leser aus Langendreer entdeckt haben: in einem Altpapiercontainer auf dem Wertstoffhof in Kornharpen.
Der IT-Experte will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Zu bedrohlich wirkte die Begegnung, die er am Mittwoch auf der USB-Deponie an der Havkenscheider Straße hatte. Der 56-Jährige entsorgte am späten Nachmittag sein Altpapier, als ein junger Mann neben ihm eine prall gefüllte Kiste mit hellgrünen Karteimappen auskippte.
Es war offensichtlich nicht seine erste Fuhre. „Im Container lagen schon hunderte Mappen. Einige lagen auch daneben.“ Argwöhnisch betrachtete der WAZ-Leser die Pappen. Sofort erkannte er: Das sind Patientenakten, allesamt aus der Praxis einer Neurologin und Psychiaterin in Essen-Huttrop, datiert zwischen 2007 und 2011.
„Die müssen geschreddert werden. Datenschutz!“, wies der Leser den jungen Mann zurecht. Antwort: „Willst du was auf die Fresse?“ Der 56-Jährige nahm fünf der auf dem Boden liegenden Akten mit („als Beweis“). Sein Versuch, daheim die Ärztin telefonisch zu erreichen, scheiterte: „Diese Nummer ist nicht vergeben.“
Datenschutz sieht Schreddern vor
Und das schon seit geraumer Zeit. Wie die WAZ erfuhr, ist die Essener Medizinerin vor zwei Jahren in den Ruhestand gegangen. Dr. Thomas M. übernahm damals die Praxis an der Steeler Straße. Vor wenigen Monaten wechselte der Neurologe in eine Gemeinschaftspraxis in Kupferdreh. Erst jetzt sei er dazu gekommen, seine alte Praxis leerzuräumen, schildert der 39-Jährige.
Dazu habe er eine Entsorgungsfirma beauftragt, die am Mittwoch tatsächlich zahlreiche alte Unterlagen auf dem Wertstoffhof in Kornharpen entsorgt habe. „Dass sich noch Patientenakten meiner Vorgängerin in der Praxis befanden, war mir nicht bekannt“, beteuert M. auf Anfrage. Wenn überhaupt, könnten es aber nur vereinzelte Mappen gewesen sein. Eine Aussage, der der WAZ-Leser energisch widerspricht. „Ich bleibe dabei: Es waren mehrere hundert Akten. Man hat in dem Containern nur noch hellgrün gesehen!“
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So oder so: Keine der brisanten Mappen hätte im Altpapier landen dürfen. „Das Bundesdaten-schutzgesetz und die Berufsordnung der Ärzte sehen zwingend vor, dass patientenbezogene Unterlagen nach Ende der zehnjährigen Aufbewahrungsfrist oder bei einer Praxisauflösung datensicher zu vernichten sind. Das passiert in der Regel durchs Schreddern“, erklärt Nils Schröder, Sprecher des Landesbeauftragten für Datenschutz. „Eine Entsorgung von Patientenakten in einem Altpapier-Container könnte eine Berufspflichtverletzung darstellen. Das geht gar nicht“, ergänzt Volker Heiliger, Sprecher der Ärztekammer Westfalen-Lippe.
Bis auf die Akten, die der WAZ-Leser gesichert hat, sind die Beweismittel wohl vernichtet. Wie der USB mitteilt, wurde das Altpapier mit den Patientenakten am Donnerstag zur Dualen Entsorgungsgesellschaft (DEB) geschafft. Zur Wiederverwertung.