Bochum. „Hier ist Tradition“, sagt Norbert Wingenbach beim Blick auf den Centrumplatz. Er muss es wissen: Der frühere Feuerwehrmann ist 60 Jahre alt – und ebenso lange wohnt er stets nur einen Steinwurf entfernt vom Zentrum Wattenscheid-Heides.
Was Wingenbach damit genauer sagen will, macht er deutlich beim Betreten des Platzes. Im alten Zechentor (1), zwischen den früheren Verwaltungsgebäuden, bleibt er stehen und schaut auf die Gemäuer, die bis vor rund 50 Jahren vielen Menschen nicht nur aus dem Umfeld Wingenbachs in Lohn und Brot brachten. „Auch mein Vater hat hier auf der Zeche gearbeitet. Wie eigentlich alle, die hier früher mal gewohnt haben.“
Geboren wurde Wingenbach noch in der Hammer Straße, bei den Großeltern. Später zog es die Familie in die Zechensiedlung Bismarckstraße, heute lebt Wingenbach an der Bochumer Straße mit seiner Ehefrau. Die Kinder sind aus dem Haus, obschon der Heide treu geblieben. Des Vaters Begeisterung fürs Ruhrgebiet, für die Stadt, für die Mentalität der Menschen hier und speziell auch für den Centrumplatz scheint abzufärben. „Gerade an der Bochumer Straße gibt es kaum Wohnungen oder Häuser mit Gärten. Von daher ist der Platz für viele Anwohner eine Art grüne Oase in der Großstadt“, schildert Wingenbach.
Eine Tradition
Was auch in der Tradition begründet sein könnte, war der Centrumplatz doch immer ein Lichtblick im tristen grau in grau der dicht besiedelten Straßen darum. Und hätte die Hellwegstadt sogar fast zum Kurort gemacht: 1893 stießen Kumpel auf vier Solequellen, die pro Stunde 30.000 Liter lieferten. Das 27 Grad warme Wasser enthielt vier Prozent Kochsalz und eignete sich bestens für Bäder, so dass auf dem heutigen Großhandelsgelände 1894 ein Thermalbad öffnete. Die Quelle versiegte, 1907 musste das Solbad wieder schließen.
Aufräumarbeiten nach dem Pfingststurm
Beim Gang zur Dickebankstraße (2) bleiben die Folgen des Pfingststurms sichtbar: Die „grüne Lunge“ Centrumplatz hat zu viel Luft bekommen. Überall liegen abgeknickte oder gefallene Bäume, Spuren der Verwüstung. Der Ex-Feuerwehrmann schätzt, dass die Aufräumarbeiten noch mindestens drei Monate dauern werden. „Was die Jungs derzeit leisten, ist schon stark. Aber es braucht eben seine Zeit.“
Daten und Fakten
Statistik. Lediglich 200 Meter Länge misst der Centrumplatz abseits der Bochumer Straße in Wattenscheid-Heide, wo auch nur drei Häuser stehen: Nummer 1, Nummer 2 und Nummer 3.
Personen. Entsprechend dünn „besiedelt“ ist der Centrumplatz: Nur 14 Menschen sind hier gemeldet, davon sind 11 minderjährig, darunter fünf Mädchen.
Gewerbe. Acht verschiedene Gewerbe sind am Centrumplatz angemeldet, dazu zählen ein An- und Verkaufsbetrieb von Kraftfahrzeugen, eine Mietwerkstatt, ein Fahrzeugaufbereitung sowie ein Betrieb für Güterkraftverkehr.
Öffentlicher Nahverkehr. Die Haltestelle Centrumplatz wird von der Straßenbahnlinie 302 auf deren Weg nach Laer-Mitte bzw. Buer-Rathaus angefahren. Auch der Nachtexpress NE 1 hält hier.
Trotzdem toben Kinder zwischen den Hölzern, der brandneue Spielplatz und der Bolzplatz sind verschont geblieben. Eltern sitzen auf den Bänken und beäugen das, was dort vor sich geht. Es wird klar, was Wingenbach meint, wenn er vom Treffpunkt Centrumplatz spricht. Aufs Stichwort hält neben ihm ein Motorrad, Klaus Echternach nimmt den Helm ab. Er war lange Zeit Löschzugführer der Freiwilligen Feuerwehr Heide, beide spielten schon als Kinder auf dem Centrumplatz, die nicht selten ihre Väter vom „Lohntütenball“ aus den fast 20 Kneipen, die es einst zwischen Autobahn und Wattenscheid-Mitte gab, abholen mussten.
„Kollege, wat treibse?“ Auch Echternach kann im Grunde nichts Schlechtes über seinen Sprengel sagen. Vor allem, da ist er sich mit Wingenbach einig, sei der Strukturwandel gelungen. Ins alte Zechenhaus ist das Evangelische Kinder- und Jugendhaus gezogen, damit sei wieder richtig Leben vor Ort. „Aus früher Gutem ist Gutes geworden“, betont Wingenbach. Einzig: Die „alten“ Heider sterben aus, durch den Zuzug seien sich immer mehr Anwohner fremd. „Was mir fast egal ist, denn meine Tür steht allen immer offen. Das ist meine Philosophie.“
Nachmittags auf dem Bolzplatz
Auf Höhe der Sparkasse (3) werden Erinnerungen wach an die Grundschulzeit. Und damit daran, dass auch früher schon getrennt voneinander gelebt und gelernt werden musste. „Die Katholiken gingen zur Josefschule und haben für DJK Heide Fußball gespielt, die evangelischen Kinder besuchten die Freiligrath-Schule und haben für Wattenscheid-Ost gekickt. Am Nachmittag haben wir natürlich zusammen gebolzt.“ Weder die Vereine, noch die Schulen existieren heute noch. Zweimal habe Wingenbach die Möglichkeit gehabt, beruflich nach Norddeutschland zu ziehen. Jeweils lehnte er ab. Keine Frage, warum: „Hier sind meine Freunde, hier ist mein Umfeld, hier bin ich Zuhause.“
Zeche gab dem Platz den Namen
Der Centrumplatz hat seinen Namen von der ehemaligen Zeche Centrum. 1859 war die Schachtanlage abgeteuft worden, 1863 wurde die erste Kohle gefördert. Es folgten 1873 ein zweiter, 1893 ein dritter und 1898 Schacht IV.
1924 sind die Grubenfelder von Zeche Centrum und Zeche Fröhliche Morgensonne zusammengelegt („consolidiert“) worden. Beide Zechen hatten die Entwicklung Wattenscheids vom Ackerstädtchen zur Industriestadt entscheidend geprägt. Schon vor über einen halben Jahrhundert wurde auf Zeche Centrum die Förderung eingestellt; die Stilllegung wurde am 31. März 1963 vollzogen und beendete ein über 100-jähriges Stück Bergbau- und Wirtschaftsgeschichte in der damals noch selbstständigen Stadt Wattenscheid. Schacht 2 und die Schächte der „Morgensonne“ wurden verfüllt, die Anlagen abgebrochen. Das Grubenfeld wurde an die Friedrich Krupp AG verpachtet. Schacht 1/7 blieb als Wetter- und Wasserhaltungsanlage offen und wurde der nördlich anschließenden Zeche Hannover-Hannibal angegliedert, um die Restvorräte abzubauen. Die endgültigen Stilllegung erfolgte schließlich 1973 mit der Aufgabe von Hannover/Hannibal, dem letzten fördernden Bergwerk in Bochum.