Bochum. Jassim E. (39) wurde im Körper eines deutsch-ägyptischen Mädchens geboren: Jasmin, genannt „Jassi“, hatte braune Kulleraugen und lange Locken. Bis in die Jugendjahre wusste er nicht richtig, was mit ihm los ist. Jetzt ist Jassim aus Bochum offiziell ein Mann und findet damit endlich zu sich selbst.

Jassim E. (39) wurde im Körper eines deutsch-ägyptischen Mädchens geboren. Jasmin, genannt „Jassi“, hatte braune Kulleraugen und lange Locken. Sie wuchs mit zwei Brüdern auf und einem Vater, der viel Raum einnahm. „Ich stand mit meiner Problematik am Rand“, sagt Jassim E. heute. Die Mutter wunderte sich über das kleine Mädchen, das Puppen links liegen ließ und unbedingt Fußball spielen wollte. „Die Kindergärtnerin sagte damals schon zu mir, mein Kind lehne das eigene Geschlecht ab“, erinnert sich Gabriele E. Sie selbst habe der Situation ratlos gegenüber gestanden: „Zu dieser Zeit war Transsexualität ja noch total unbekannt“, sagt sie.

Als es in der Pubertät los ging mit der Liebe, wurde das Problem unausweichlicher. „Du merkst ja nur, dass etwas nicht stimmt mit dir und darüber wirst du grottentraurig“, sagt Jassim E. Mit fünfzehn Jahren offenbarte sich Jassi dem großen Bruder als lesbisch, doch ahnte zugleich, dass das nicht zutrifft. Vor der Oberstufe wechselte er vom Lessing-Gymnasium auf die Heinrich-Böll-Gesamtschule. Dort erlebte er nicht nur „echte Menschlichkeit“, sondern auch seine erste große Liebe zu einem Mädchen, das später einen anderen Mann heiratete.

Zerissenheit spitzt sich zu

Auch folgende Liebesbeziehungen waren Partnerschaften mit nicht lesbischen Frauen. „Sie haben dann oft gesagt, sie hätten sich in den Menschen verliebt“, schildert Jassim E. Gegen Ende der Schulzeit spitzte sich die Zerrissenheit des jungen Mannes zu. „Es ist als ob die Wurzel in deinem Leben nicht stimmt“, erläutert er. Der Abiturient, der von Jugend an männlich wirkte, kämpfte mit Depressionen und Schamgefühlen.

„Es geht um Identität“

Gutachter Wolfgang Senf, Facharzt für Psychomatische Medizin und Psychotherapie, im Kurzinterview.

1 Laut NRW-Schulgesetz gilt schon seit 2000, dass die Sexualerziehung der Akzeptanz aller Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Identität dienen soll. Was ist Ihre Meinung dazu?

Es sollte selbstverständlich sein, in der Schule auf diese Vielfalt hinzuweisen. Allerdings ist festzuhalten, dass Transsexualität nichts mit Sexualität zu tun hat, sondern es geht dabei um Identität. Auch das könnte besprochen werden. Informationen genügen allerdings nicht, es muss auf qualifizierte Beratungsangebote hingewiesen werden.

2 Ist Transidentität medizinisch erklärbar?

Es gibt bisher keine Erklärung dafür, nur hypothetische Theorien. Typisch ist, dass sich die Transidentität der Menschen innerlich entwickelt bis zu der ultimativen Notwendigkeit, den Wechsel zu vollziehen. Entweder sie tun es dann, sie ziehen sich völlig zurück oder sie bringen sich sogar um.

3 Läuft eine Transidentität immer auf geschlechtsangleichende Operationen hinaus?

Eine transidente Entwicklung führt nicht zwangsläufig in eine Operation. Zuerst unterstützt eine psychotherapeutische Behandlung die Menschen in einem Alltagstest, in dem sie lernen, sich in der weiblichen bzw. männlichen Rolle zu bewegen. Das ist das Wichtigste. Es folgen eine Hormonbehandlung, die Vornamens- und die Personenstandsänderung. Es ist wichtig, dass diese enorme Leistung transidenter Menschen in der Gesellschaft wertgeschätzt und respektiert wird. Die Akzeptanz in der Gesellschaft ist in den letzten zwanzig Jahren deutlich gestiegen.

Bei einem Therapieaufenthalt in der Klinik Schwedenstein im sächsischen Pulsnitz kamen die Karten auf den Tisch: Jassim E. ist transident, er ist ein Mann. „Ich bin von Damentoiletten runtergeschmissen worden und hatte Angst vor Interaktionen mit Menschen “, beschreibt Jassim E. die Tortur. Das Medizinstudium an der Ruhr-Universität brach er ab, weil Kommilitonen ihn verspotteten. Er hatte damals nicht die Kraft, darüber zu stehen. In der Verwaltung eines Pflegedienstleisters startete er später als Quereinsteiger.

„So fühlt sich also Leben an“

Erst 2011, nachdem seine Eltern sich getrennt hatten und der Vater zurück nach Ägypten ging, begann Jassim E. eine Psychotherapie für transidente Menschen und die Hormonbehandlung. Der Bart wuchs, die Stimme wurde tiefer. Gerne kokettiert er heute aus Spaß ein wenig mit dem dunklen Klang.

Fachliche Hilfe für transidente Menschen in Essen

Transidente Menschen können sich an die Ambulanz für transidente Menschen in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Essen wenden.

Informationen gibt es im Internet unter: www.rk-essen.lvr.de.

Im Februar 2014 änderte das Amtsgericht Dortmund auf Grundlage von zwei Gutachten seine Personalien in „Jassim Gabriel Bernhard E.“ Alle Dokumente sollen umgeschrieben werden: von der Geburtsurkunde über das Abiturzeugnis bis hin zu Arbeitszeugnissen. Inwieweit er sich geschlechtsangleichenden Operationen unterziehen möchte, lässt Jassim E. offen. Er ist bereits ein Mann: „Es ist wie eine zweite Geburt. Du denkst: So fühlt sich also Leben an.“