Dortmund.. Sie passen in keine geschlechtliche Norm: In Deutschland gibt es rund 100 .000 „intersexuelle“ Menschen. Sie sind weder Mann noch Frau, sondern leben irgendwo dazwischen. Das Thema ist mit einem großen Tabu belegt, unter dem Betroffene enorm leiden.
Wann ist ein Mann eine Frau? Wenn er nicht den Pullover am Kragen packt und über den Kopf zieht, sondern mit gekreuzten Armen vom Bund her hochlupft? Lucie Veith lacht, als sie die Szene aus dem „Tatort“ vom Sonntag sieht, einem Krimi, der das Thema Intersexualität, wie sie findet, gut aufgegriffen hat. Lucie Veith muss es wissen. Die 55-Jährige ist selbst intersexuell. Passt mit ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen nicht eindeutig in die Norm „männlich“ oder „weiblich“. Sie ist ein Zwitter.
Allerdings hat sie davon erst sehr spät erfahren. Als sie als junge Frau in ein Krankenhaus kam, „wurde ich wie ein Monster bestaunt, 25 Ärzte versammelten sich bei der Untersuchung um mich“, hat sie noch diesen schrecklichen Moment vor Augen. „Man sagte mir, ich hätte das falsche Geschlecht. Ich sei ein Mann.“ Mit Operationen und Medikamenten wurde an ihrem Körper gearbeitet – danach ließ man sie mit dem Urteil, „nicht richtig“ zu sein, allein.
"Zeig Dich nicht"
„Heute kann ich mich annehmen, weiß, dass ich ein besonderer Mensch bin“, sagt die Vorsitzende des Vereins Intersexueller Menschen. Doch so hart der Weg für sie bis zu diesem Eingeständnis war, so hart und manchmal auch nicht enden wollend ist er für viele andere Betroffene. Sie wachsen mit dem Tabu auf, mit dem Geheimnisbelegten: Zeig dich nicht – sonst gerätst du ins gesellschaftliche Abseits. Die Folge für viele intersexuelle Menschen ist große Vereinsamung, ein geringes Selbstwertgefühl und Verlust der eigenen Identität.
Seit wenigen Jahren versuchen Betroffene, das Tabu zu brechen. Denn immer noch werden Menschen ohne umfassende Aufklärung operiert, um sie zu einer Frau oder einem Mann zu machen. Werden intersexuelle Kinder kastriert, „um sie in eine gesellschaftliche Norm zu pressen“, kritisiert Lucie Veith. Sie klagt, dass Mediziner „Menschenversuche“ unternehmen, wenn sie gesunde Organe entfernen, um eine sexuelle Entwicklung zu unterbinden. Und Lucie Veith kritisiert den Staat, der das zulässt.
In Australien führt die Regierung jetzt einen Pass ein, in dem neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht auch ein „X“ angegeben werden kann für ein „weder-noch“. Lucie Veith begrüßt das. „Dann würde man unabhängig von der Norm sehen, dass es sich hier einfach um einen Menschen handelt.“
Hilfe für Betroffene: www.xy-frauen.de und www.intersexuelle-menschen.net.