Frankfurt/Main. . Der erfolgreiche Theater- und Kino-Regisseur Leander Haußmann schrieb eine Biografie des Scheiterns. Der Titel ist kurz und ironisch gemeint: “Buh“. Nun will Haußmann neu durchstarten. Ein Gespräch über Falten und neue Freiheiten.
Es ist der Ausruf, den ein Regisseur fürchtet: „Buh“. Leander Haußmann aber, Bochums fröhlichster Ex-Intendant, machte das böse Wort zum Leitmotiv seiner Autobiografie: „Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück“ lautet der ironische Untertitel. Mit Britta Heidemann sprach er über die heiteren Seiten des Scheiterns.
Herr Haußmann, Sie haben über Ihre schönsten Misserfolge geschrieben – dabei wirken Sie gar nicht so wie ein Verlierer…
Leander Haußmann: Die lustigen Geschichten sind immer die Geschichten des Scheiterns! Geschichten, bei denen man selber gut wegkommt, die brauche ich nicht. Diejenigen Menschen, die sich als Sieger empfinden, das sind ja eher die Psychopathen. Denen fehlt doch irgendwas. Im weiteren Sinne aber ist das auch ein Buch über Schmerz und Verlust und die Ängste, die ich mit dem Rest der Welt teile: dass man keine Arbeit mehr hat.
Außerdem sind Sie noch gar nicht in dem Alter, in dem man Autobiografien schreibt.
Haußmann: Naja, warum nicht? Ich bin jetzt 54, und 50, das ist ein interessantes Alter. Von 40 bis 50, das ist eine Scheißzeit. Man macht eine physiognomische Veränderung durch, aber denkt noch wie ein 24-Jähriger. Man wundert sich, warum man plötzlich nicht mehr angeguckt wird auf der Straße, warum einen die Blicke nicht mehr treffen.
Aber das ist doch eher ein Problem der Frauen!
Haußmann: Nein, gar nicht. Ich habe ja eine extreme Veränderung durchgemacht. Diese Jahre, die waren sehr unentschieden, auch rein äußerlich. Und dann guckt man mit 50 in den Spiegel und denkt, ja, das wird jetzt wohl für die nächsten 20 Jahre mein Gesicht sein. Und man sieht, die Falten kommen, gerade am Hals, der macht ja am meisten Sorgen! Aber mit Fünfzig fängt man noch mal an, neu durchzustarten. Auch Frauen sind dann wieder glücklicher.
Sie meinen, man hat die Grenze überschritten?
Haußmann: Weiß ich nicht. Mit 40 fängt man an, nachzudenken. Mit 50 hat man irgendwie ein Ergebnis.
Was ist Ihr Ergebnis?
Haußmann: Schmerz, die Verluste, auch die Misserfolge, die nicht erreichten Ziele – alles das kann man zusammenfassen unter dem Begriff Erfahrung. Und diese Erfahrung kann man jetzt ausbeuten. Siehe da, ich inszeniere jetzt Hamlet am Berliner Ensemble und habe wieder diesen Spaß, den ich hatte, als ich dreißig war. Und ich denke, was haben die alle mit dem Stück, warum soll das denn so schwer sein? Ich bin plötzlich jemand, der einen Schlüssel hat. Und man trifft auf Schauspieler, die einen lieben, selbst der Pförtner ist plötzlich freundlich (lacht).
Das tut schon gut, oder?
Haußmann: Klar, aber auf der anderen Seite muss man auch sagen: Das nehmen wir mal schön den anderen weg, die Einschätzung der eigenen Qualität. Das machen wir mal schön selbst! Ich frage niemanden mehr, ob ihm etwas gefällt. Ich habe keine Angst mehr. Dann besetzen sie mich eben nicht. Zur Not frage ich fünf Leute, ob sie nicht Lust haben, mit mir Straßentheater zu machen und ziehe in eine kleinere Wohnung. Auch das ist eine Entscheidung, die man mit Fünfzig trifft: Will man das alles festhalten, sich an die Dinge klammern? Oder will man offen sein, die Welt neu entdecken?
Wobei Sie doch Familie haben? Ist das mit der kleineren Wohnung dann wirklich so einfach?
Haußmann: Tja, Kinder, es ist so weit: Wir müssen jetzt leider nach Marzahn ziehen… (lacht) Aber die gute Nachricht ist: Papa ist ganz bei sich.
Sie schreiben im Buch auch viel von Ihrer Familie, den Schmerz über den Tod Ihres Vaters. Was war er für ein Mensch?
Haußmann: Die Vollständigkeit des Wissens über meinen Vater habe ich eigentlich erst durch seine Stasiakte bekommen. Da war schon ziemlich viel los. Von außen natürlich so negativ beschrieben, aber das kann man sich ja übersetzen. Das war schon ein geiler Typ. Hat ganz schön was angestellt. Im Urlaub in Ungarn hat er da vor Reisegruppen in Kirchen gegen den Kommunismus gepredigt – also wirklich gefährliche Sachen gemacht. Die Stasi hat sogar Liebesbriefe von seinen Affären aufgehoben, die er weggeworfen hatte…
Das war für Ihre Mutter auch nicht ganz so schön, oder?
Haußmann: Nee, aber die wusste das ja. Das waren so die 60er, 70er, die waren noch nicht so moralisch wie heute, nicht so korrekt. Da gab es noch Versuche.
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Ihre eigene Familie hat ja im letzten „Polizeiruf“ mitgespielt, für den Sie das Drehbuch schrieben und Regie führten. Ist das nicht furchtbar für einen Vater, das eigene Kind zum Heulen bringen zu müssen?
Haußmann: Ich will gar nicht unbedingt, dass meine Kinder zum Film kommen. Aber ich wusste, wenn ich das mache, was ich machen will, Geiselnahme, Amoklauf und so weiter, dann will ich nicht eine nervöse Mutter im Nacken sitzen haben. Meine Frau, Annika, spielt ja auch mit, so ging das. Und dann haben wir festgestellt, dass Edwina irrsinnig begabt ist – ohne etwas dafür zu können! Aber sie hat eine ganz natürliche Energie, so eine richtige Schauspielerenergie. Und für die Tränen: Da gibt man ihr einfach einen Lolli und nimmt ihn ihr wieder weg – und schon weint sie. Ohne aber ein Trauma davon zu tragen!
Ist so ein Ausflug ins Fernsehen etwas, das Ihnen Freude macht – oder dient das eher dem Broterwerb?
Haußmann: Alles, was abwegig ist, macht mir Freude. Wenn ein Zirkus zu mir kommt und fragt, ob ich inszenieren würde, würde ich das sofort machen. Ich arbeite auch schon an einigen Plänen für Serien, das ist mein ganz großer Traum. Ich fühle mich immer mehr zum Schreiben hingezogen. Ich stehe dann morgens um fünf Uhr auf: diese Stille, keine Nachrichten, es ist alles ganz klar. Und dann gehst du runter, trinkst einen Kaffee, und schreibst so lange, bis du Hunger hast.
Was für eine Art von Serie schwebt Ihnen so vor?
Haußmann: Ich bin da mit dem Bayerischen Rundfunk in Verhandlungen über eine Comedyserie, die in der Klassik spielt, unter den Dichtern und Denkern in Weimar. Im Zentrum steht so eine Art Schelm, wie aus dem Schelmenroman, der will sich in der Werther-Tradition umbringen. Aber es gelingt ihm nicht. Er bläst sich die Hand weg. Und dann trennt sich seine Freundin von ihm, weil er es nicht geschafft hat, sich umzubringen. Er entwickelt dann einen Hass auf Goethe, und deshalb heißt die Serie: „Goethe töten“.
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Und wie kommt man auf so etwas?
Haußmann: Ich dachte halt, was könnte das sein für eine Serie aus Deutschland, die authentisch ist, und nicht irgendein Abklatsch einer amerikanischen Arztserie. Die deutschen Schriftsteller kennt man eben in der Welt.
Sie zielen also aufs Weltpublikum.
Haußmann: Immer. In allem, was ich mache!
Auch in ihrem Buch gibt es eine Szene mit Pistole, als Bochumer Intendant wurden Sie in Ihrem Büro bedroht - ist das eine wahre Geschichte? Und wie ging Sie aus?
Haußmann: Eine Schauspielerin von uns hatte ihren Mann betrogen mit einem Studenten. Da drehte der Ehemann halt durch. Er sagte zu mir, wenn Sie nicht die Vorstellung ausfallen lassen, dann schieße ich die alle zusammen. Ich musste mich entscheiden, rufe ich den Polizeipräsidenten an oder nicht. Ich habe aber dann lieber die beiden Verursacher dieses Wahnsinns gebeten, sich krank schreiben zu lassen. Weil ich keinen Ärger wollte. Ich habe die Vorstellung ausfallen lassen, was schade war, weil sie ausverkauft war. Ich glaube, jeder andere Intendant hätte sich anders entschieden.