Bochum. . Sechs Wochen nach einem fürchterlichen Unfall kämpft sich ein fünfjähriger Junge aus Bochum langsam in sein altes Leben zurück. Er hatte einen Sessel, den jemand aus einem zehn Meter hohen Fenster geworfen hatte, auf den Kopf bekommen. Er lebt jetzt in einer Therapieklinik. „Mit anzusehen, wie er leidet, macht uns sehr zu schaffen“, sagte der Vater der WAZ.

Der 29. Mai war der schlimmste Tag im Leben der sechsköpfigen Familie aus Dahlhausen. Der fünfjährige Mussa spielte gerade mit einem Ball in der Einfahrt eines Nachbarhauses, als plötzlich ein Sessel mit voller Wucht auf seinen Kopf krachte und ihn niederstreckte.

Ein junger Mann hatte den Sessel beim Entrümpeln einer Wohnung aus einem zehn Meter hohen Fenster geworfen. Heute kämpft sich der Junge langsam, ganz langsam in sein altes Leben zurück. Dafür muss er noch monatelang, vielleicht ein Jahr, in einer Klinik im Rheinland stationär therapiert werden. „Der Unfall hat unser Leben gedreht“, sagte am Donnerstag der Vater des Kindes, Walid Mohamad (37), als die WAZ ihn zu Hause besuchte. „Ohne Mussa fehlt in der Wohnung etwas.“

Stundenlange OP rettete das Leben des Jungen

Der fünfjährige Mussa, der einen Sessel aus zehn Metern Höhe auf den Kopf bekommen hat.
Der fünfjährige Mussa, der einen Sessel aus zehn Metern Höhe auf den Kopf bekommen hat. © Ingo Otto/WAZ FotoPool

Es passierte damals gegen 18 Uhr an einer verkehrsberuhigten Straße. „Komm schnell runter, Mussa ist tot!“, habe seine Tochter (7) erschrocken gerufen, als ihr kleiner Bruder getroffen worden sei, erzählt der Vater. Mussas Zunge hing heraus, das Gesicht verfärbte sich, die Atmung setzte zeitweise aus. Der Vater stürzte zum Unglücksort, nahm sein Kind in den Arm und hielt - weil dem Notarzt eine falsche Adresse genannt worden sein soll - eine fremde Autofahrerin an und ließ sich ins Krankenhaus Linden fahren.

„Ich dachte, ich schaffe das nicht mit ihm.“ Ein Arzt habe ihm gesagt: „Kann sein, dass er heute nicht überleben wird.“ Bei einer stundenlangen OP im Knappschaftskrankenhaus wurde Mussa, von Natur aus ein starker Bursche, aber gerettet. Es sei „ein Wunder“, habe man nachher gesagt. Nach neun Tagen im künstlichen Koma wachte Mussa auf. „Als er dann einen Finger bewegt hat, war das für uns wie ein neugeborener Junge“, sagt der Vater.

„Er weint auch immer, dass er nicht laufen kann“

Wochenlang habe er am Bett des Kindes verbracht, Tag und Nacht. Seine Ehefrau (35) habe zu Hause die anderen drei Kinder (1, 6, 7) versorgt. Seit einer Woche ist es umgekehrt: Die Mutter lebt rund um die Uhr in der Klinik (und hat auch ihre einjährige Tochter dabei), während sich der Vater, der keine Arbeit hat, daheim um die anderen kümmert.

Mussa, bisher ein sehr lebhaftes Kind, sei heute auf einen Rollstuhl angewiesen, sagt der Vater. Das Laufen müsse er mit Hilfe anderer erst wieder lernen. Auch einen Arm könne er nur schwach bewegen. „Die Ärzte wissen nicht, was zurück kommt.“ Er, der Vater, solle sich vorbereiten, dass sein Sohn nicht zu 100 Prozent wieder so werde wie früher. „Mit anzusehen, wie er leidet, macht uns sehr zu schaffen“, sagt der 37-Jährige. „Er weint auch immer, dass er nicht laufen kann.“

Die Polizei hat die Ermittlungen abgeschlossen und die Akten in dieser Woche zur Staatsanwaltschaft geschickt. Es gibt drei Beschuldigte, wie Staatsanwalt Paul Jansen am Donnertstag der WAZ sagte. Wer diese Personen sind, wurde nicht bekannt. Das Verfahren läuft wegen fahrlässiger Körperverletzung. Wann ein möglicher Prozess läuft, ist unklar.

Der Weiße Ring unterstützt die Familie

Der „Weiße Ring“, der sich um Opfer von Straftaten kümmert, unterstützt die Familie. In diesem Fall leistet dies der ehrenamtliche Mitarbeiter Herbert Weber.

Ein Problem: Es gibt zwar ein Opferentschädigungsgesetz, das zum Beispiel die Zahlung einer Erwerbsminderungsrente oder Krankenkosten vorsieht. Gezahlt wird aber nur bei vorsätzlichen Taten vor, nicht bei fahrlässigen. Denkbar ist aber auch, dass ein Gericht einen bedingten Vorsatz feststellt (Inkaufnahme eigentlich gar nicht gewollter Tatfolgen).

Die Familie, die von Sozialhilfe lebt, hat kein Auto. Der Vater muss deshalb mühsam mit Bus und Bahn in die Klinik ins Rheinland fahren. Deshalb sucht er jetzt ein billiges (Leih-)Auto.