Bochum. . Eine zweifache Mutter (32) aus Bochum will jetzt endlich richtig lesen und schreiben lernen. Die Analphabetin besucht einen Kurs der VHS, wo am Freitag ein Aktionstag für Betroffene stattfand. Die 32-Jährige möchte ihrem kleinen Sohn (2) endlich ein Kinderbuch vorlesen können und in einem Altenheim Arbeit finden.

Ihre Not mit dem Lesen und Schreiben ist die 32-jährige Bochumerin endgültig leid. „Ich möchte das nicht mehr. Ich möchte ganz allein lesen und schreiben können und keine Hilfe mehr nötig haben. Ich möchte selbstständig werden“, sagte sie am Freitag in einem Gespräch mit der WAZ.

Die 32-Jährige war in der Volkshochschule unter den Besuchern eines Aktionstages der bundesweiten Kampagne „Lesen und Schreiben - mein Schlüssel zur Welt“. Nach Angaben des Veranstalters, des Bundesbildungsministeriums, gibt es in Deutschland allein unter den Erwerbsfähigen (18 bis 64) rund 7,5 Millionen Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können. Das sind 14,5 Prozent. „Als ich das gelesen habe, habe ich es eigentlich nicht glauben können“, sagte Bürgermeisterin Erika Stahl in der VHS. „Das Problem müsse „enttabuisiert“ werden. Die VHS ist ein Partner der Kampagne und präsentierte ihr so genanntes „Bochumer Modell“: Dazu gehören unter anderem Lese- und Schreibkurse speziell für Berufstätige, aber auch Kurse, die das Basiswissen für den Umgang mit Behörden und eine vernünftige Ernährung vermitteln.

Jene 32-jährige Bochumerin (sie will in der Zeitung anonym bleiben) nimmt seit September ebenfalls an einem Alphabetisierungskurs der VHS teil. An zwei Vormittagen pro Woche lernt sie, wie sie flüssiger lesen und schreiben kann. Einzelne Buchstaben kann sie gut erkennen, sie aber nur schlecht zu ganzen Wörtern zusammenführen.

Nie hatte sie ihrer Tochter ein Kinderbuch vorlesen können

Diese Schwäche behindert sie schon seit der Schulzeit. Die Hauptschule verließ sie ohne Abschluss. „Ich hatte zugemacht. Ich hatte keine Lust auf gar nichts gehabt.“ Zwar besuchte sie später mehrfach Alphabetisierungskurse der VHS, doch sie brach sie ab. Weil sie später Hilfspflegerin im Altenheim werden will, versucht sie es jetzt erneut.

Vor allem aber sind da ihr Sohn (2) und ihre Tochter. Die Elfjährige kann gut schreiben und lesen. Dass ihre Mutter dies nicht beherrscht, weiß sie schon seit Jahren. „Ich habe ihr gesagt, Mama kann das nicht so gut. Ich habe mich auch geschämt“ , sagt die 32-Jährige. Ihre Tochter habe ihr auch einmal eine SMS vorlesen müssen und die Speisekarte. Nie hatte sie dem Mädchen ein Kinderbuch vorlesen können. „Ich habe das immer so weggeschoben.“ Nun will die Bochumerin aber jedenfalls ihrem Sohn Bücher vorlesen. „Darauf freue ich mich schon.“

Zurzeit lebt sie von Hartz IV: Wenn sie richtig lesen und schreiben kann, hat sie auch Aussichten auf ihren Wunschberuf. Sie hatte früher schon einmal im Altenheim gearbeitet. Weil sie aber nicht lesen konnte, haperte es bei der individuellen Verteilung der Gerichte an bestimmte Bewohner. Kollegen hatten ihr als Hilfsmittel Schmetterlinge ans jeweilige Tablett geklebt. Sowas soll bald überflüssig werden.

Ausstellung bis 2. November in der VHS

Noch bis zum 2. November läuft die multimediale Ausstellung zur Kampagne in der VHS am Gustav-Heinemann-Platz neben dem Rathaus. Besucher erfahren dort, welche privaten und beruflichen Perspektiven das Lesen- und Schreibenlernen eröffnet und warum es nie zu spät ist, diesen „Schlüssel zur Welt“ selbst zu ergreifen. Außerdem gibt es Informationen über Hilfsangebote vor Ort. Ebenfalls kostenlos steht auch das „Alfa-Telefon“ des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung bereit: 0800-5333 4455