Bochum. . Von umstrickten Bäumen über Poster und von Straßenmalkreide bis hin zu Sprühdosen: Die Bandbreite von Straßenkunst entwickelt sich auch im Ruhrgebiet stetig weiter. Doch was treibt Kunstschaffende in den öffentlichen Raum? Ein Interview mit zwei Künstlern.

Von umstrickten Bäumen über Poster und von Straßenmalkreide bis hin zu Sprühdosen: Die Bandbreite von Straßenkunst entwickelt sich auch im Ruhrgebiet stetig weiter. Doch was treibt Kunstschaffende in den öffentlichen Raum? Im Interview sprechen die Streetart-Künstler „Bender“ (26) und „Decycle“ über ihre Motivationen, die Werke und über die Grauzone zwischen Legalität und Straftat.

Eure Werke sind größtenteils plakatiert. Wieso habt ihr euch für diese Technik entschieden? Wie geht ihr vor?

Bender: Zur Zeit male ich ganz kleine Skizzen mit Tusche, die ich dann so groß kopiere wie es geht und als Poster aufhänge. Aber ich male auch mit Kreide oder Kohle auf Wände. Ich mag die Vergänglichkeit: Wenn meine Bilder bei Wind und Regen ganz langsam wieder verschwinden. Wenn man präsent sein will, muss man ständig aktiv sein. Deshalb bin ich so oft unterwegs wie es nur geht. Im Schnitt so etwa zweimal pro Woche. Im Winter funktioniert das Plakatieren bei kalten Temperaturen nicht, da sammelt man dann Ideen.

Decycle: Ich arbeite mit „Paste Ups“: Ich sprühe meine Sachen zu Hause mit Schablonen auf Papier und plakatiere sie draußen. Das Plakatieren ist nur eine Ordnungswidrigkeit und keine richtige Straftat. Ich bewege mich da in einer Grauzone. – Ob das legal ist, spielt für mich aber keine große Rolle. Hauptsache ist, dass meine Bilder wieder entfernt werden können. Ich benutze extra einen organischen Kleister und stelle damit sicher, dass sich das Bild irgendwann von selbst entfernt.

Streetart von Decycle in Bochum.
Streetart von Decycle in Bochum. © Anna Ernst

Wie seid ihr beide zur Streetart gekommen?

Bender: Gemalt habe ich schon immer. Als Kind kritzelt man ja herum. Aber ich habe damit nie aufgehört (lacht). Irgendwann bin ich über Graffiti zur Streetart gekommen. Heute bin ich freischaffender Künstler und studiere nebenbei Malerei und Grafik.

Decycle: Ich habe nichts in der Richtung studiert. Aber ich kannte die Sprühdose auch schon als Werkzeug aus Jugendzeiten. Als ich vor ein paar Jahren umgezogen bin, habe ich an meinen weißen Wänden ausprobiert, was ich mit einer Schablone so hinbekom me. Das hat echt Spaß gemacht. Irgendwann waren meine Wände dann so voll, dass nichts mehr hinpasste. Da habe ich mir dann gedacht: „Okay, dann gehst du damit auf die Straße.“

Was fasziniert euch daran, den öffentlichen Raum als „Ausstellungsfläche“ zu nutzen?

Bender: Der Gedanke dahinter ist: „Freie Kunst für alle“. Das Ziel ist, dass die Sachen von mehr Menschen gesehen werden.

Decycle: Mir ist es wichtig, dass ich mit meinen Bildern Leute erreiche, die sich sonst nicht für Kunst interessieren oder in Galerien und Museen gehen. Erst wenn diese Leute stehenbleiben, ist das wirklich interessant.

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Welche Stellen sucht ihr euch für eure Werke aus? Würdet ihr auch das Eigentum von Privatpersonen antasten?

Bender: Ich vermeide Sachbeschädigungen und arbeite deshalb auch nicht mit Lacken. Die Wände sollten möglichst öffentlich sein und nicht privat. Am liebsten sind mir Wände, die schon sehr mitgenommen aussehen.

Decycle: Ich suche mir Wände aus, bei denen ich davon ausgehen kann, dass meine Sachen gut dorthin passen und auch möglichst lange dranbleiben. Aber ich habe auch schon mal ein Bild an ein Bankgebäude geklebt. Da war ein Mann im Nadelstreifenanzug drauf, der sich statt der Krawatte einen Strick bindet. Das sollte natürlich provozieren. Aber am nächsten Tag war es schon wieder entfernt worden.

Wurdet ihr je auf der Straße beobachtet oder von der Polizei erwischt?

Bender: Wenn ich gerade bei der Arbeit bin, bleiben oft Leute stehen und schauen mir zu. Viele sagen mir, dass sie das toll finden. Einmal hat jemand aber in Witten scheinbar die Polizei gerufen. Die sind mit Blaulicht angerückt und haben meine Personalien aufgenommen. Aber als sie gesehen haben, dass ich nur mit Kreide male, war die Reaktion: „Wie, dafür sind wir extra herausgefahren? Machen Sie weiter.“

Der Londoner Künstler „Banksy“ hat die Streetart in den letzten Jahren populär gemacht. Wie bewertet ihr die Entwicklung?

Bender: Durch Banksy interessieren sich jetzt viel mehr Menschen für Streetart als bisher. Dadurch ist schon ein richtiger Hype entstanden.

Decycle: Da meine Technik relativ ähnlich ist, werde ich häufig mit Banksy verglichen. Aber die Kommerzialisierung von Streetart, die durch Banksy entstanden ist, finde ich schon „pervers“. Durch die extreme Massenaufmerksamkeit werden seine Sachen jetzt wahllos abfotografiert und im Internet als Kühlschrankmagneten verkauft. Auf der Straße sieht man auch immer mehr Werbung, die als „Streetart“ getarnt ist. Das ist die negative Seite der Medaille.

Streetart und Graffiti sind voneinander zu trennen 

Beide Formen kämpfen mit Vorurteilen, doch sie unterscheiden sich. „Wenn man Leuten sagt, dass man in der Graffiti-Szene aktiv ist, muss man immer gegen Vorurteile ankämpfen – selbst wenn man an legalen Flächen sprüht“, meint Fotograf und Sprayer Choko.

Streetart-Künstlern geht es ähnlich. Trotzdem gibt es zwischen ihnen und der Graffiti-Szene wesentliche Unterschiede. „Graffiti ist in der Öffentlichkeit bekannter und viele haben vorgefertigte Meinungen dazu“, bestätigt Künstler Decycle. „Für mich sind Streetart und Graffiti aber zwei völlig verschiedene Dinge.“ Der Unterschied läge insbesondere an den Motivationen: „Graffiti richtet sich meiner Meinung nach in erster Linie an sich selbst. Das ist ein geschlossener Kreis.“

Decycle will seine Stadt mitgestalten

Streetart hingegen habe viele Facetten: „Das ist nicht nur alles Gemalte, Gezeichnete oder Gesprayte, sondern darunter fallen auch Installationen oder Interventionen wie etwa das „Urban Hacking“. Dabei werden Gegenstände im öffentlichen Raum umfunktioniert oder zweckentfremdet, damit Neues entsteht.“

Die Parallele zur Graffiti-Szene sei der Charakter, etwas „Ungefragtes“ öffentlich zu platzieren. Aber, so Decycle: „Es geht nicht darum, Wände zu verunstalten, sondern die Städte nach eigener Vorstellung zu verschönern. Ich möchte nicht vordiktiert bekommen, wie die Stadt, in der ich lebe, auszusehen hat.“

Mehr Graffiti-Straftaten - Polizei meldet 388 Anzeigen seit Januar

Die angezeigten Straftaten, die von der Bochumer Polizei in den Deliktsbereich Graffiti eingeordnet werden, haben zugenommen. Von Januar bis Anfang Juli zählten die Beamten 388 Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum nur 295 Anzeigen.

„Häufig handelt es sich nicht um professionelle oder ansprechende Graffiti, sondern um einfache Farbschmierereien verschiedener Art, die von Kindern und Jugendlichen einfach so oder als Provokation aufgebracht wurden“, stellt Polizist Ralf Tietz fest. In einigen Fällen – darunter insbesondere in Langendreer – handle es sich auch um rechte oder linke Parolen.

Menschen melden Delikte online

Die gestiegene Zahl der Anzeigen hängt zudem mit der Aufklärungsar-beit der Polizei zusammen. So sei die Bereitschaft, Vorfälle zur Anzeige zu bringen, wesentlich gestiegen. „Hinzu kommt, dass Anzeigen auch im Online-Verfahren erstattet werden können, was zunehmend genutzt wird“, so Tietz. Die Aufklärungsquote allerdings liegt in diesem Jahr bislang bei unter zwölf Prozent.

Im Vergleich mit anderen Städten aber sei die Anzahl der Delikte sehr klein, betont Kriminalhauptkommissar Ulrich Neuhaus. Mit 21 Freiflächen, an denen Sprayer ihre Kunstwerke legal und teils unter Aufsicht von Sozialarbeitern anbringen dürfen, sei die Stadt Bochum bei der Prävention bestens aufgestellt. „Es gibt mittlerweile mehr legales als illegales Sprayen“, so Ulrich Neuhaus. Eigentümern, die ein Graffiti an ihrer Wand entdecken, empfiehlt der Polizist, sie zur Anzeige zu bringen und möglichst schnell entfernen zu lassen.

Tipps für Sprayer und Betroffene - Internetseite zum Thema Graffiti

Umfangreiches Informationsmaterial zum Thema Graffiti hat die Polizei Bochum in Zusammenarbeit mit der Stadt und einigen Studenten auf einem speziellen Internetportal zusammengestellt. Unter www.bochum.de/graffiti finden sich nicht nur Erklärungen über die Hintergründe und die Geschichte der Graffiti-Szene, sondern auch hilfreiche Hinweise zu den gesundheitlichen Risiken des Sprühens mit Lackdosen.

Eltern, Lehrer und Hausbesitzer bekommen dort Tipps zur Prävention, sowie zu Entfernungsmöglichkeiten der unerwünschten Schriftzüge. Für Sprayer listet das Portal zudem die Freiflächen auf, an denen sie ihr Hobby ohne rechtliche Folgen frei ausleben können.

Weitere Informationen zum legalen Sprühen in Bochum und zu den Nutzungsregeln für die bereitgestellten Flächen gibt es bei Jürgen Kotbusch vom Jugendamt unter: 02327/ 60 54 40.